Sind die Schüler klüger als die Schulen? "Fridays For Future" Demos spalten die Meinungen

Auch heute morgen verlassen wieder Hunderte Schüler ihre Klassen, um für eine bessere Umweltpolitik zu demonstrieren. Schulen und Eltern bleiben gelassen. Mancher wünscht sich sogar mehr zivilen Ungehorsam.
Dass Gymnasiast Luca Peters freitags nach der zweiten Stunde den Unterricht schwänzt, ist wie ein Ritual. Es ist halt so. Es regt niemanden auf. Ist das nun gut oder schlecht?
„Gute Frage“, sagt Luca Peters. Der Schüler schwänzt fürs Klima, so wie jeden Freitag Hunderte andere Frankfurter Schüler auch. Luca Peters ist so etwas wie ein Sprecher der lokalen Bewegung von "Fridays for Future" geworden, in den Medien ist sein Name schon öfter
"Fridays for Future" in Frankfurt
Als sie Ende November erstmals dem Vorbild der Schwedin Greta Thunberg und ihrer Initiative „Fridays for Future“ folgten, bildeten Frankfurts Schüler einen Organisationkreis. Dem gehört Peters an.
Er kümmert sich um die wöchentlichen Märsche von der Bockenheimer Warte zum Römer, wo er hin und wieder lautstark das Wort ergreift. Den Kohleausstieg vor 2038 hat er da gefordert, eine insgesamt radikalere Klimapolitik.
Die Forderungen stehen in einem Konsenspapier, das die Schüler verfasst haben. Ein Minimalkonsens ist es, schließlich sollen sich möglichst viele mit den Zielen identifizieren. „Als ich mal sagte, dass Klimaschutz im Kapitalismus nicht möglich ist, fanden das manche nicht mehr gut“, erzählt Peters.
Schule schwänzen für Fridays for Future
Auf die Wöhlerschule am Dornbusch geht er, sein Abitur schreibt er in diesem Jahr, zwei Stunden Mathe lässt er freitags sausen. Die Lehrerin habe damit kein Problem, seine Mutter unterstütze ihn.
Sich eine eigene Meinung zu bilden und sie zu vertreten, dazu sei er erzogen worden. Seine Meinung macht er mit einem Greta-Thunberg-Zitat deutlich: „Warum sollten wir für eine Zukunft lernen, die es bald nicht mehr geben wird?“
In seinem Fall heißt das: „Es gibt wichtigeres als eine gute Mathe-Note!“
Demos gegen Klimawandel werden totgeschwiegen
Luca Peters ist volljährig, der Schulpflicht unterliegt er nicht mehr, seine Entschuldigungen schreibt er selbst. Dass dies wie nebenbei geschieht, mag auch damit zu tun haben, dass Peters nicht eben für Klassenwanderungen sorgt.
Nur wenige Schulkameraden schließen sich ihm an. Und das, obwohl die Wöhlerschule als betont naturverbunden gilt. Umweltbewusstsein zu schärfen und in Projekten zu vertiefen, gehört zum Anspruch des Gymnasiums, das auch deswegen den Ruf genießt, Engagement zu fördern.
Sein Politiklehrer habe ihm mal erlaubt, die Demos vorzustellen, sagt Peters, „aber ansonsten gibt es keine Diskussionen, keine Gespräche, keine große Bühne“.
Demonstrationen eigentlich Potential für den Unterricht
Dabei würden der Klimawandel und Schülerdemos beste Anschauung bieten für lebensnahe und lebendige Auseinandersetzungen über Interessen, Bürgerrechte

und Demokratie. Doch so wie die Wöhlerschule halten es die meisten Gymnasien: Das Thema wird nicht an die große Glocke gehängt, die Schwänzerei als Privatsache behandelt – gerade so, als hätte es Greta Thunbergs weltweit beachteten Auftritt beim Weltwirtschaftsforum nie gegeben, als würden nicht Schüler weltweit zu zivilem Ungehorsam aufrufen.
Schwänzen für Fridays For Future keine Lösung
Das hessische Kultusministerium hat sich vor Wochenfrist eher entspannt und verständnisvoll geäußert. Entsprechend offenbart eine kleine Umfrage unter Frankfurts Schulleitern diplomatische Unentschiedenheit:
Ja, man heiße die Ziele der Schüler gut. Ja, man freue sich über politisches Engagement. Aber nein, Unterricht zu schwänzen, sei auf Dauer keine angemessene Form. Und nein, mehr gebe es dazu eigentlich nicht zu sagen.
Schließlich, darauf weisen alle hin, bekäme man gar nicht mit, wer da freitags zur Demo verschwinde. „Bei uns sind es nur wenige und schon gar keine Schüler der Mittelstufe“, hört man allenthalben.
Demos in Frankfurt gut besucht
Fotos von den Demonstrationen erwecken einen anderen Eindruck. Laszlo Boroffka, Student im zweiten Semester, aktiv bei der grünen Jugend, dokumentiert die Frankfurter Bewegung seit ihren Anfängen. Auf seinen Bildern sind überall sehr junge Gesichter zu erkennen.
Manche der Fotos waren schon in Zeitungen zu sehen. Wohl auch deswegen meditiert auch in Frankfurt die Erwachsenenwelt über Sinn und Unsinn der Demos, über den schmalen Grat zwischen wohlwollender Nachsicht und Verletzung der Aufsichtspflicht.
Warum bleiben Schulen in Frankfurt so still?
Im Stadtelternbeirat jedenfalls wundern sie sich über die Passivität der Schulen. „Eltern müssen sich darauf verlassen können, dass die Schüler im Unterricht sind“, sagt dessen Vorsitzender Eckhard Gathof. „Andernfalls müssten die Eltern informiert werden. Aber das passiert nicht.“
Wenn Schüler sich wegen angeblichen Unwohlseins abmeldeten, könne die Schule ohnehin nichts tun, räumt auch Gathof ein. „Dafür braucht es ja keine Entschuldigungen.“
Klimawandel zählt mehr als Fehlstunden
Demonstrant Peters findet es typisch, dass mehr über Schulrecht als über das Klima geredet wird. Was kann schon passieren?, fragt er sich. Schlimmstenfalls weise das Zeugnis unentschuldigte Fehltage auf. „Arbeitgeber achten zwar darauf“, sagt Peters, „aber wer denkt jetzt schon so weit.“
Jannik V., der erst 15 Jahre alt ist, weswegen sein vollständiger Name hier nicht erwähnt wird, macht es deshalb wie wohl die meisten Mitstreiter seines Alters. Er lässt sich zu Hause eine Entschuldigung schreiben.
Seine Eltern finden gut, dass er für die Demos schwänzt. Einer seiner Lehrer ebenfalls. „Der hat mich ja erst auf Greta aufmerksam gemacht und gesagt, dass er demonstrieren würde, wenn er noch jung wäre.“
Kein Verständnis der Schulen in Frankfurt
Claudia Wolff, Leiterin der Schillerschule in Sachsenhausen, findet allzu viel Verständnis unangemessen. Sie hat eine klare Regel ausgegeben: Schüler der Mittelstufe dürfen nicht zur Demo.
Auch an ihrer Schule sei die Bewegung bislang kein Thema, sagt Wolff, obwohl sie durchaus Klärungsbedarf sieht.
„Für mich ist es ein Widerspruch, dass die Schüler ihr Recht auf Bildung opfern, um ihr Recht auf Demonstration in Anspruch zu nehmen“, sagt sie.
Schüler sind noch zu brav bei den Demos
An der Schillerschule wird Klimaschutz großgeschrieben – nicht nur in der Theorie, auch in eigenen Energiespar-Projekten. Und weil ihr Anliegen tatsächlich dringlich sei, findet Claudia Wolff die Schüler noch viel zu brav.
„Es müsste wehtun“, sagt sie und erinnert sich an Zeiten, als sie selbst an Blockaden und ähnlichen Protesten teilgenommen hat, um die Gesellschaft aufzurütteln.
„Wenn die Schüler nachmittags eine Hauptverkehrsstraße blockieren und die ganzen Abgasverursacher ausbremsen würden, wäre das wirkungsvoller, als morgens durch die Innenstadt zu laufen. Das ist zu bequem, das tut niemandem weh.“
Luca Peters glaubt nicht, dass seine Altersgenossen dazu bereit wären. „Wir zielen auf Masse“, sagt er, „wenn wir zu radikal wären, würden wir viel zu viele Schüler abschrecken.“
"Die Schüler sind klüger als die Schulen"
Vermutlich nicht nur die. Eine der prominenten Unterstützerinnen würde sich mit Sicherheit nicht auf den Alleenring setzen. Frankfurts Umweltdezernentin Rosemarie Heilig (Grüne) hat neulich bei Peters angefragt, ob sie mal zu den schwänzenden Demonstranten sprechen dürfe.
Sie darf, sagt Peters, vorausgesetzt sie mache keine Parteiwerbung. Heilig ist begeistert, „endlich passiert was“, ruft sie aus und meint damit das „längst fällige Aufbegehren“, das gerade Erwachsene mit Protest-Vergangenheit bei der Jugend so lange schon vermissen.
Dass die Demos in den Schulen keine Debatten über Klima und Zukunft entfachen, verdeutlicht für die Umweltpolitikerin einen Teil des Problems: „Die Schulleiter erkennen die Brisanz nicht. Die Schüler sind klüger“.