Baumsterben: 97 Prozent der Frankfurter Bäume sind krank

Die Schäden, die der Hitzesommer 2018 hervorgerufen hat, zeigen sich jetzt. Bald jeder Baum in Frankfurt ist krank. Und die Situation wird schlimmer.
Frankfurt - In die alte Buche auf dem Waldspielplatz Louisa sind Herzen eingeritzt. "Elin + Oli" steht da, "Lea", "L+B". Generationen von Verliebten haben sich da verewigt. Obwohl: Nichts ist ewig.
Nach 89 Jahren muss die frei stehende, schattenspendende Hängebuche auf dem Spielplatz gefällt werden. Schon ist sie mit Bauzaungittern abgeriegelt. Niemand darf sich dem Stamm mehr als 16 Meter nähern. So hoch ist die Buche. Und obwohl sie auf den ersten Blick vital aussieht - bis zum Boden hängen die Zweige, voll mit Blättern - ist sie tot. Ausgehöhlt vom Zunderschwammpilz. Vier oder fünf der markanten Fruchtkörper sind von unten schon zu sehen.
Frankfurter Umweltdezernentin Rosemarie Heilig: "Der Zustand unserer Bäume ist katastrophal"
Für Tim Weber, einen von zehn Baumsachverständigen im Grünflächenamt, war es ein kleiner Schock: "Wir kontrollieren die Buche zweimal im Jahr. In diesem Sommer sind uns die Fruchtkörper aufgefallen." Genauere Untersuchungen bestätigten den Verdacht: Der Baum ist tot, der Stamm vom Pilz zerfressen. Davon zeugen auch lange, von oben nach unten gehende Risse in der Rinde. Dass der Baum noch so grün ist, liegt daran, dass die saftführende Borke intakt ist. Darunter ist alles vom Pilz zerfressen.
"Der Zustand unserer Bäume ist katastrophal", sagt Umweltdezernentin Rosemarie Heilig (Grüne). In den 80er Jahren hat sie ihre Diplomarbeit über die Buche und den Sauren Regen geschrieben. "Damals war das Problem klar, und es gab eine Lösung. Heute sehen wir die Folgen des Klimawandels, und es gibt keine Lösung."
97 Prozent der Frankfurter Bäume sind durch die trockenen Sommer 2018 und 2019 geschädigt
Dass 97 Prozent - 97 Prozent! - aller Bäume in Frankfurt geschädigt sind durch die trockenen Sommer 2018 und 2019 - das bisschen Regen zuletzt hat nur die obersten drei Zentimeter des Erdreichs genässt - führt Heilig auf den Klimawandel zurück. "Wie wir darauf reagieren können? Ich weiß es nicht", sagt die Biologin. "Aber es sieht so aus, als müssten wir uns von den Buchen und Eichen verabschieden, die unsere mitteleuropäischen Wälder in den vergangenen Jahrtausenden geprägt haben." Denn sie sind der Hitze und der Trockenheit nicht gewachsen.
"Die Trockenheit schwächt den Baum. Wie ein Mensch, der ohne Nahrung anfällig wird für Krankheiten, können sich Pilze oder Käfer nach solchen Trockenphasen einnisten und den Baum zerstören", so Heilig. Und wie gesagt: 97 Prozent aller Bäume im Stadtwald zeigen Zeichen des Trockenstresses: ausgedünnte Kronen. "Viele Buchen und Eichen haben in diesem Frühjahr gar keine Blätter mehr gebildet", sagt Stephan Heldmann, Leiter des Grünflächenamts. Er berichtet: "Wir haben in Parks und an den Straßen 195 661 Bäume in Frankfurt. In normalen Jahren fällen wir rund 1500 pro Jahr." Doch aktuell - 2018 und 2019 - sind es an manchen Standorten bis zu fünf Prozent der Bäume, die gefällt werden müssen. Die Zahl von 1500 Fällungen, so viel steht jetzt schon fest, wird am Ende diesen Jahres weit übertroffen sein. Alleine um die Verkehrssicherungspflicht zu erfüllen - Gefahrenabwehr für Spaziergänger -, müssen im Stadtwald in diesem Jahr bislang 33 000 Festmeter Holz geschlagen werden. "Normalerweise fällen wir im Rahmen der Bewirtschaftung 20 000 bis 23 000 Festmeter", erläuterte Heldmann. Die 33 000 Festmeter nur, weil die Bäume umzufallen drohen: "Holz zur Bewirtschaftung schlagen wir in diesem Jahr gar nicht mehr ein", so der Leiter des Grünflächenamts.
Not in den Parks und Wäldern in Frankfurt ist riesig – drei Monate Regel fehlen
Erschreckend ist das Tempo, mit dem sich der Wandel in den Wäldern und Parks zeigt. Der Baumsachverständige Peter Kistinger berichet: "Ich wurde zu einem Baum gerufen, der wenig Blätter hat. Es war Freitag, und ich dachte, wir beschneiden einen Teil der Krone. Drei Tage später, am Montag, hatte er schon komplett alle Blätter abgeworfen!" Die Not in den Wäldern und Parks ist riesig. Rosemarie Heilig, gefragt, wo der Unterschied zum Waldsterben in den 80ern liegt, antwortet: "Es ist dramatisch, wie schnell es heute schlimmer wird. So schnell ging es damals nicht."
Die Katastrophe liegt in der Trockenheit. Allein um die Grundwasserspiegel wieder anzuheben und die Bäume mit der normalen Wassermenge zu versorgen, so Heilig, müsste es "drei bis vier Monate am Stück" regnen.
Die Schäden auf den 5000 Hektar Stadtwald sind nicht überall gleich ausgeprägt. Auf sandigen Böden, so Heldmann, und an den Taunushängen sehe es schlimmer aus als an der Isenburger Schneise und in Oberrad, wo eher Tonböden anzutreffen sind, die das Wasser besser halten.
Immerhin, an der Louisa wird die alte Buche zwar gefällt, aber sie verschwindet nicht. Wie Volker Rothenburger vom Umweltamt berichtete, hat sich der seltene, unter Naturschutz stehende Körnerbock dort angesiedelt. "Der Körnerbock befällt Totholz" - ein weiterer Hinweis auf den schlechten Zustand des Baums - "und entwickelt darin seine Larven", so Rothenburger. Der Körnerbock sucht alte, urwaldähnliche Baumbestände auf und liebt die Wärme. Der Main ist die nördlichen Grenze seines Verbreitungsgebietes. Ihm zuliebe wird der Stamm der Hängebuche - 110 Zentimeter Durchmesser - zersägt. Die einzelnen Stamm-Stücke sollen in der Nähe aufstellt werden.
Von Thomas J. Schmitt
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