„Frankfurt ist eine religiöse Stadt“

Bruder Paulus Terwitte spricht über seinen Umzug nach München, den Franziskustreff und seine Hoffnung für die Welt
Bruder Paulus Terwitte ist das Gesicht der Kapuziner in Frankfurt. Er war 15 Jahre Guardian des Klosters, hat den Franziskustreff geleitet und dafür eine Stiftung aufgebaut. Er hat Enormes geleistet für obdachlose Menschen. Auch in den Medien ist er präsent, vertritt dort die Rolle des lächelnden und kritischen Geistlichen. Mit Ende des Monats verlässt Bruder Paulus Frankfurt. Redakteur Thomas J. Schmidt hat mit ihm darüber gesprochen.
Bruder Paulus, Sie wollen nach München gehen?
Der Kapuzinerorden ist ein franziskanischer Orden. Franziskus von Assisi hat im 13. Jahrhundert einen Wanderprediger-Orden gegründet. Die Mönche anderer Orden bleiben ein Leben lang in einem Kloster, aber wir sind Wandermönche.
Wenn die Zeit endet, dann bekommen Sie einen Befehl, woanders hinzugehen?
Wir sind eine Gemeinschaft, in der es bestimmte Notwendigkeiten gibt durch Veränderungen der Gesellschaft, der Kirche, der Zeit, der Personen. Dann entstehen neue Notwendigkeiten. Man wird mit einem gesprochen, und am Ende sagt der gesamtverantwortliche Provinzial, dass die Überlegung besteht, einen woanders hinzuschicken.
Kann es sein, dass Sie zu prominent geworden sind hier in Frankfurt?
Es gibt keine Gründe, die man jetzt nennen könnte wegen kritischer Sachen. Meine Zeit ist jetzt reif für einen neuen Aufbruch. Für mich beginnt eine Zeit, in Richtung Ruhestand zu denken. Ich bereite das ja schon einiger Jahre vor und habe die Franziskustreff-Stiftung dafür vorbereitet. Menschen halten manchmal zu lange an Positionen fest.
Der Friedhof ist voll von Menschen, die unentbehrlich waren.
Pater Amandus, der in Frankfurt sehr bekannt ist, hat ja mal ein Büchlein geschrieben mit dem Kapuzinermotto: Kurz hier, schnell fort, ewig dort. Die Meditation, dass alles zu Ende geht, hört sich pessimistisch an. Aber es ist eine Einladung, die Zeit jetzt zu nutzen, die Gegenwart.
Sie kommen ja nicht aus Frankfurt.
Ich bin im Dezember 1998 nach Frankfurt gekommen und war hier bis 2005. Dann war ich bis 2010 in Dieburg und Würzburg für die Nachwuchswerbung zuständig. 2010 bin ich zurückgekommen als Nachfolger des verstorbenen Bruders Wendelin, der ja den Franziskustreff gegründet hatte. Ich war dann hier von 2010 bis 2019 auch wieder Guardian.
Guardian, ist was ist genau?
Es ist der Hausobere.
Sind Sie in München wieder Guardian?
Ja, ich werde der Leiter für eine Gemeinschaft von sechs Brüdern und vier einzeln lebende Mönche sein.
Einzeln Lebende?
Ja, es sind Brüder, die ihren Lebensort andernorts gewählt haben.
Was war denn in Frankfurt das Besondere?
Es war eine wunderbare Erfahrung, dass Menschen interkulturell zusammenleben können. Die Interreligiösität hat mich sehr beeindruckt. Ich war darauf vorbereitet dadurch, dass ich von 1992 bis 1998 in Thüringen gelebt habe, in Gera, einer Stadt, die kaum noch religiös geprägt ist. Verglichen damit ist Frankfurt eine Stadt der Gläubigen.
Gab es Höhepunkte?
Die Verleihung der Ehrenplakette der Stadt Frankfurt und später des Bundesverdienstkreuzes haben eine gesellschaftliche Anerkennung gebracht für etwas, was viele andere mit mir gemeinsam aufgebaut haben. Der Franziskustreff, die Sorge um die armen und obdachlosen Menschen, die Liebfrauenkirche, die Gottesdienste, Beichtangebot und Seelsorgegespräch - das gibt schon vielen Menschen Hilfe und Heimat. Der Franziskustreff mit 160 Gästen täglich zu Frühstück und der Sozialberatung beeindruckt mich immer neu. Und wenn ich noch etwas nennen darf: Die Evangelienspiele des Pater Amandus, bei denen ich mitgespielt habe, waren eine neue Erfahrung, zu sehen, wie dieser erfahrene Bruder etwas bewegt hat im historischen Garten und später auf dem Hof der Liebfrauenschule. Als Drittes nenne ich die Opern- und Theaterbesuche in Frankfurt - das war immer etwas Besonderes. Ich war nicht oft da, aber fünfmal im Jahr sicher, und es hat mir immer gut gefallen. Frankfurt ist für mich eine Stadt mit Flair, eine Kleinstadt mit zwölf Türmen, eine kulturelle Vielfalt, so viel Kunst auf engem Raum: Das ist schon etwas Besonderes. Ich bin ein bisschen traurig, dass diese Diskussion um die Bühne so immer noch ohne Ergebnis ist ...
Und deswegen gehen Sie?
(Lacht). Auch das muss irgendwann entschieden werden, und es wird manchen auch wehtun. Aber es muss da mal zu einem Bekenntnis kommen. Also, soweit zu den Höhepunkten. Es gab aber auch Tiefpunkte: Frankfurt ist eine Stadt, die sehr viel von außen besucht wird, 500- bis 600 000 Menschen täglich, die mit der Stadt nichts zu tun haben, sie aber genießen wollen. Und entsprechend sehen die Straßen und Parks aus, wenn da alle ihren Dreck hinterlassen. Ist Ordnung so schwer? Da muss ich jetzt ja auch noch einen Tiefpunkt nennen: In der Presse war viel die Rede vom Eisenbahn-Reiner. Das berührt ebenfalls die Frage, wie wir miteinander leben wollen in Frankfurt. Was darf man vom Einzelnen verlangen und was nicht? Die Aussage, dass jemand so leben soll, wenn er so leben will - das wird niemand sagen, der sieht, dass ein anderer dies vor seinem eigenen Garten tut. Wir brauchen Rechte und Pflichten. Ich verstehe nicht, dass man einen obdachlosen Menschen zugrunde gehen lässt, nur weil er es so will - und dazu eine Nachbarschaft belastet, und alle anderen unbelastet lässt.
Ist das Freiheit?
Das ist ein falscher Freiheitsbegriff und ein falsches Verständnis von Liebe. Liebe möchte jeden in Gerechtigkeit und Wahrheit wertschätzen.
Ihr Interesse ist, die Obdachlosigkeit zu bekämpfen?
Das ist auch das Interesse der Sozialpolitik...
Sie helfen ja auch Wohnungen zu finden.
Ja. Der deutsche Sozialstaat beruht auf der katholischen Soziallehre. Das darf man ja mal sagen. Das ist die Solidarität, Subsidiarität und Personalität. Das bedeutet: Jeder Mensch ist eine Person, das heißt, er hat es verdient, dass ich mit ihm in Wahrheit umgehe. Das zweite ist, wir sind solidarisch miteinander, und zwar mit allen, in Gerechtigkeit. Und das dritte ist, wenn jemand etwas nicht kann, weil er es nicht vermag, dann unterstützen wir ihn - statt zu sagen, wir erklären Unordnung jetzt für in Ordnung. Von daher würde ich mir wünschen, dass wir jeden lieben, aber nicht immer so, wie er will. Das ist das normalste der Welt. Ich war damals erstaunt, dass es so einen Aufruhr gab um den Eisenbahn-Reiner. Es ist wichtig, den anderen zu lieben, aber es ist auch wichtig zu sagen, was man selbst für Bedürfnisse hat. Ich habe ein Bedürfnis nach Ordnung. Das sage ich an einem anderen Beispiel: Schauen Sie mal, wie es samstagabends vor der Kleinmarkthalle aussieht. Furchtbar. Ich bin dafür, dass wir anständig miteinander umgehen. Das heißt nicht, dass wir in allem nachgeben, sondern dass man jedem so umgehen, dass er menschenwürdig leben kann. Herr Schad lebt in einer Weise, dass man sagen kann, wir wollen das so nicht akzeptieren. Wenn er nicht anders will, werden ihm wie anderen auch mit den Instrumenten des Sozialstaates zur Seite springen. Eine Wohnung habe ich ihm persönlich schon mindestens dreimal angeboten ...
Was werden Sie in München tun?
Ich verlege meinen Lebensmittelpunkt nach München und werde ab Anfang Herbst das Kloster Sankt Anton leiten. Dort werde ich meine Erfahrung zur Verfügung stellen für den Umgang mit Menschen, die den Kapuzinern in Deutschland und darüber hinaus Gutes tun für ihre Leben und ihre Werke. Es gibt viele Menschen, die sagen, es ist toll, dass ihr junger Menschen ausbildet, dass ihr in Indonesien und Albanien tätig seid, und wie ihr miteinander lebt.
Sie sind auf Spenden angewiesen?
Ja, wir sind ja Bettelmönche. Wir sind eine Brüdergemeinschaft von deutschlandweit 105 Mitgliedern, von denen etwa 30 noch unter 70 sind. Wir können unser Leben nur führen, weil uns andere unterstützen. Oft sind darunter auch Leute, die aus der Kirche ausgetreten sind, oder es sind auch evangelische Christen, die sagen: Das sind Männer guten Willens. Sie wollen nichts für sich haben. Ich habe ja persönlich kein Haus, kein Konto, ich habe mir mein Zimmer nicht ausgesucht, in das ich nun ziehen werde. Diese Lebensform fand ich immer schon faszinierend, schon als ich 19 war. In München gibt es andere Mitbrüder, die auch so leben wollen wie ich, und ich werde dort meine Fähigkeit in der Vernetzung von Menschen vorantreiben, die mit uns franziskanisch glücklich werden können, auch, in dem Sie für uns unterstützen und das, was wir tun.
Haben Sie denn in Frankfurt junge Leute gewinnen können für das Klosterleben?
Nein, von Frankfurt aus nicht. Wir haben vier Leute in der Grundausbildung und einen Interessierten. Es geht uns wie der Stadt und der Helaba und der FNP: Alle suchen Nachwuchs. Doch woher soll der kommen? Wie können Familien in Frankfurt leben? Wie kann verhindert werden, dass zum Beispiel in der Josefstadt nur reiche Leute wohnen werden? Ich hätte mich gern in die Planungen mit eingebracht: Wird eine Gemeinschaftsküche angeboten? Ein Festplatz? Die meisten Wohnungen in Frankfurt sind Singlewohnungen - wie sollen denn da Kinder zur Welt kommen? Plant also günstigen Familienwohnraum, dass wenig Kinder gewollt werden, ist ein schreckliches Zeichen von Hoffnungslosigkeit.
Warum redet ein Mönche von Kindern?
Der Grund, weshalb ich ins Kloster gegangen bin, ist der gleiche, warum Menschen eine Familie gründen. Ich habe eine Hoffnung für die Welt. Dass ich von mir absehe und ein Opfer bringen will - und Kinder kriegen ist ja auch ein Opfer, aber - davon darf heute gar nicht mehr gesprochen werden. Es wird ja als Lifestyle-Ad-On gesehen. Wie der Partner, die Partnerin. Und wehe, die sind nicht so, wie ich es mir vorstelle. Diese Design-Vorstellungen sind so schrecklich, dass die Menschen sich der Familiengründung verweigern. Ich sage dann immer, fangt doch einfach an zu leben. Der Rest wird sich entwickeln. Diese innere Zuversicht haben zu wenige Menschen. Damit bin ich bei der Aufgabe der Religionen, denn diese Zuversicht gründet auf etwas, was nicht von dieser Welt kommt.
Wenn wir von Ihren Nachwuchskräften sprechen: Wie sieht deren Ausbildung aus?
Zwei von ihnen wollen Priester werden und studieren Theologie in Salzburg.
Sie gehen an die Uni und machen ihre Scheine?
Ja genau. Das kann sich alles noch ändern, die Ausbildungswünsche sind ja flexibel, und wir haben immer ein Interesse an gut ausgebildeten Mitgliedern. Wir unterstützen auch Berufsausbildungen. Man könnte auch Schreiner werden oder Bäcker oder Koch. Koch wäre besonders gut... Wir haben unterschiedliche Berufungen. Unter uns gibt es keine großen Standesunterschiede.
Glauben Sie denn, dass Frankfurt religiös ist?
Frankfurt hat was von Jerusalem und von Babylon. Es ist mit 180 Nationen ein Bild des himmlischen Jerusalem, es gibt keine Gentrifizierung und keine Ghettos. Das ist sehr gut. Frankfurt hat aber auch was von Babylon. Man spürt hier zu oft den fürchterlichen liberalistischen Irrglauben, dass, wenn jeder an sich selbst denkt, an alle gedacht sei. Das ist Ego-Babylon. Am Ende muss ich mich dann auch noch selber wegmachen per Bestattungsvorsorge, weil keiner für mich sorgt. Das ist doch schrecklich. Trotzdem, meine Erfahrung ist: Jerusalem überwiegt. Frankfurt ist eine religiöse Stadt. Wie wir hier Feste feiern können, das Museumsuferfest, der Karneval - Frankfurt ist eine tolle Stadt, eine bunte Stadt und eine religiöse Stadt.
Ihr Abschied hier wird eine große Sache werden...
Wir werden mit geladenen Gästen Ende Juni in der Franziskustreff-Stiftung einen Wechsel in der Geschäftsführung vornehmen. Ich war ja bis jetzt geschäftsführender Vorstand. Zum 1. Juli werden Bruder Michael Wies als Geschäftsführer für Strategie und Sozialpolitik und Thomas Koch als Geschäftsführer für Finanzen und Personal die Führung der Stiftungsgeschäfte übernehmen, als Angestellte der Stiftung. Ich selbst bleibe noch 18 Monate Vorstand. Liebfrauen wird öffentlich am 2. Juli um 11 Uhr einen Gottesdienst feiern, in dem ich verabschiedet werde vom Kirchort Liebfrauen.