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Zu Besuch auf der Frühchen-Intensivstation: Mädchen sind die größeren Kämpfer

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Winzige Fingerchen, zerbrechliche Gliedmaßen - laut einer aktuellen WHO-Studie wird eins von zehn Babys weltweit zu früh geboren. In Deutschland liegt die Frühgeborenen-Rate bei 9,2 Prozent.
Winzige Fingerchen, zerbrechliche Gliedmaßen - laut einer aktuellen WHO-Studie wird eins von zehn Babys weltweit zu früh geboren. In Deutschland liegt die Frühgeborenen-Rate bei 9,2 Prozent. © Maik Reuß

Die Frühchen-Intensivstation im Klinikum Höchst in Frankfurt fordert höchsten Einsatz und Verantwortung. Das Schicksal der winzigen Babys bewegt.

Frankfurt – Rettungsrucksäcke stehen direkt an der Eingangstür von Station 32 B im Klinikum Höchst. Dahinter steht auf einer fahrbaren Transportliege ein Brutkasten mit Technik zur Beatmung und für Infusionspumpen. Für Geburts-Notfälle im nahe gelegenen Kreißsaal. Es ist leise auf dem langen Gang mit gelben Wänden. Bis auf das Piepsen, das aufschreckt. Auf der Intensivstation für Frühchen wird leise gesprochen.

Frankfurt Klinikum Höchst: Es ist leise in der Frühchen-Intensivstation

Die Schuhe von Ärzten und Pflegern sind geräuschlos. Auch wenn Oberarzt Johannes Eisen (39) schnellen Schrittes in eines der Zimmer mit kleinen Brutkästen eilt, ist es leise. "Man weiß nie, was einen erwartet. Frühchen sind wie rohe Eier. Man muss sehr vorsichtig und sensibel mit den Frühchen und ihren Eltern umgehen", sagt der Doktor.

Als Frühchen gelten alle Babys, die vor der 37. Schwangerschaftswoche zur Welt kommen. Extreme Frühchen werden die Babys genannt, die bei der Geburt weniger als 500 Gramm wiegen. Auf den Brutkästen, die medizinisch Inkubatoren genannt werden, steht das Wort "Giraffe". In einem liegt Sevincha.

Frühchen-Station im Frankfurter Klinikum Höchst: Der Nabelschnur nachempfunden

Sie kam 17 Wochen zu früh zur Welt und wog bei ihrer Geburt vor vier Wochen 480 Gramm. Der Daumennagel des Arztes ist halb so groß wie ihr Köpfchen, obwohl sie bereits 655 Gramm wiegt.

Ihre winzigen Finger halten sich an einem Tentakel einer gehäkelten Krake fest. "Das ist der Nabelschnur nachempfunden und gibt ihr Sicherheit", sagt Fachkinderkrankenpfleger Felix Fischers-Wasels (30). Ebenso haben die Winzlinge kleine Nester in ihren Brutkästen, die mit Decken abgedunkelt sind. "Das imitiert den Mutterbauch und gibt ihnen Ruhe", erklärt der Pfleger. Zwei Räume weiter "känguruhen" die Zwillinge Aseel und Ashur. Sie kamen in der 27. statt 40. Schwangerschaftswoche per Kaiserschnitt zur Welt - mit 990 Gramm Gewicht. Unter weißen Tüchern liegen die Winzlinge auf der Brust von Mama und Papa. Sanft streichen sie über die kleinen Rücken.

"Sie können schon alleine atmen", sagt Mutter Tayama (24) mit liebevollem Blick. "Es war eine harte Zeit". Ihr Mann Maher (32) nickt. "Sie sind stark", meint er, während Ashur mit seinen Füßchen strampelt. Stundenlang liegen die Eltern mit ihren Schätzen auf dem Bauch - das wird "känguruhen" genannt. "Dieser Hautkontakt zu den Eltern ist enorm wichtig. Sowohl für die Babys, als auch für sie selber", so Eisen.

Klinikum Höchst in Frankfurt: Ein Auf und Ab über mehrere Monate in der Frühchen-Intensivstation

Das Perinatalzentrum Level 1 am Klinikum Höchst ist anerkannt für die Versorgung sämtlicher Risikoschwangerschaften. Es hat mehr als 60 Betten für Früh- und Neugeborene und 12 Beatmungsplätze auf der Intensivstation - plus Notfallaufnahme. Im Moment sind sechs Frühchen bei Eisen auf Station. "Und große natürlich", sagt er. "Groß" nennt er alle, die nicht neu- oder frühgeboren sind. Gerade bei Frühchen gehört die Betreuung der Eltern dazu. "Bei bekannten Frühgeburten reden wir vorher mit den Eltern. Wie wollen ihnen den Gang ins Unbekannte leichter machen und ihnen Angst nehmen. Sie können sich die Frühchen-Station vorher ansehen und wir erklären alles", sagt Fischers-Wasels.

Dr. Johannes Eisen schaut zu, wie Fachkinderkrankenpfleger Felix Fischers-Wasels vorsichtig das kleine Leben aus dem Brutkasten hebt.
Dr. Johannes Eisen schaut zu, wie Fachkinderkrankenpfleger Felix Fischers-Wasels vorsichtig das kleine Leben aus dem Brutkasten hebt. © Maik Reuß

"Sie sollen wissen, was sie erwartet." Eisen nickt. "Wir beziehen die Eltern von Anfang an voll mit ein. Vom Dufttuch, das Mütter vor der Geburt tragen dürfen, bis zur Pflegehilfe beim Wickeln und Känguruhen." Die Überlebenschancen von Frühchen sind deutlich gestiegen. "Dennoch ist es ein ständiges Auf und Ab. Oft über Monate". Das Team bietet permanente Hilfe an. Psychologische, ebenso wie Unterstützung, wenn es endlich nach Hause geht. Mädchen, so sagen sie, sind die größeren Kämpfer.

Klinikum Höchst in Frankfurt: „Es sind auch ethisch schwierige Entscheidungen zu treffen“

"Es sind auch ethisch schwierige Entscheidungen zu treffen. Wir wissen nicht, ob die Kleinen es schaffen, und das nimmt man auch ab und zu mit nach Hause", so Eisen. "Nicht jeder will in dieses Fach." Das Team hört immer wieder, dass auch Kollegen sagen, sie könnten das nicht, Kinder so leiden zu sehen, wenn sie auf der Intensivstation sind.

Denn der Anblick dieser winzigen Menschen mit hauchdünnen Schläuchen in ihren stecknadelgroßen Nasenlöchern ist hart. Manchmal blinzeln sie mit einem Auge oder lächeln. Sie strampeln und sie greifen. Das lässt lächeln. Johannes Eisen und Felix Fischers-Wasels können sich nichts anderes vorstellen. Die Mediziner lieben und leben ihren Beruf. Und sie sagen: "Wir helfen und tun Gutes. Wenn man die Frühchen nach Jahren gesund und groß wiedersieht, stellt sich keine Sinnfrage."

VON SABINE SCHRAMEK

Große negative mediale Aufmerksamkeit erhielt das Klinikum in der Vergangenheit. Eine RTL-Reportage hatte katastrophale Zustände im Klinikum Höchst in Frankfurt aufgedeckt, die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen des Verdachts auf Freiheitsberaubung.

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