Kommt ein Hochbeet geflogen

Das Kirchplatzgärtchen in Frankfurt-Ginnheim muss Kabelarbeiten der Mainova ausweichen.
Frankfurt - Können Pflanzen fliegen? Blöde Frage, schließlich weiß jedes Kind, dass das Grün fest in der Erde wurzelt. In Ginnheim aber schwebten am gestrigen Donnerstag Salbei, Stockrosen und Co. ein gutes Stück über dem Boden, zumindest für Augenblicke. Dort unterstützten nämlich Mitarbeiter des Grünflächenamts den Verein Ginnheimer Kirchplatzgärtchen dabei, per Kran 32 Hochbeete zu versetzen – um Platz zu machen für Bauarbeiten. Ab Oktober verlegt die Mainova neue Kabel.
Ein Vorhaben, das den Gärtnern Kopfzerbrechen bereitet hat. Sie fürchteten, dass die knapp zehn Jahre alten Beet-Konstruktionen nicht stabil genug für eine Versetzung seien, erinnert sich Sybille Fuchs, Leiterin der Ginnheimer Klimawerkstatt, die vor vier Jahren aus dem Verein entstanden ist. Deshalb mussten sich die Mitglieder mit dem Gedanken vertraut machen, einen Teil der Beete abzubauen und Pflanzen sowie gut sechs Kubikmeter Erde mit nach Hause zu nehmen.
Zum Glück aber habe das Grünflächenamt ein offenes Ohr für diese Nöte gehabt, sagt Sybille Fuchs. Mehrere Mitarbeiter rückten gestern mit einem Kran an, und mit vereinten Kräften gelang es, jedes einzelne der bis zu 100 Kilogramm schweren Hochbeete samt Grün zu versetzen. „Für uns war es eine Riesenüberraschung, dass wir da so toll unterstützt worden sind“, freute sich Wiebke Kabel. Den Aktiven habe das nicht nur Arbeit erspart, sondern auch Ressourcen geschont, ergänzt Sybille Fuchs: „Sonst hätten wir im Frühjahr wieder von vorne anfangen müssen.“
So wie im Jahr 2013, als das Projekt startete. Damals, erinnert sich Sybille Fuchs’ Ehemann Jan Jacob Hofmann, sei das Areal in der Ginnheimer Ortsmitte noch kahl und leer gewesen: „Niemand hat das genutzt.“ Eine „Bausünde“, stimmt Wiebke Kabel zu: „Der Platz war komplett versiegelt.“ Als sich im Rahmen des Stadtlabors des Historischen Museums die Möglichkeit für Frankfurts erstes Urban-Gardening-Projekt auftat, überlegten Fuchs und Hofmann nicht lange.
Naturnah gärtnern und Inspiration zum Thema Selbstversorgung zu geben: Mit diesem Grundgedanken fanden sie schnell Gleichgesinnte. Von der ersten Idee, in den 32 Hochbeeten auch Gemüse zu ziehen, wichen sie jedoch bald ab. Zu aufwendig sei das regelmäßige Gießen gewesen, erzählt Sybille Fuchs. Stattdessen setzt man inzwischen vor allem auf Kräuter und Stauden, die auch Trockenperioden halbwegs gut überstehen können. Jeder der rund 15 Aktiven kümmert sich um ein oder mehrere Beete und entscheidet selbst, was dort angepflanzt wird. Das Spektrum ist bunt: In Jan Jacob Hofmanns Reich gedeiht ein Quittenbäumchen, in anderen Beeten wachsen Minze, Thymian, Zitronenmelisse, Flieder, Stockrosen und Johannisbeeren, dazu zwei prachtvolle Salbeipflanzen, die an diesem sonnigen Tag herb-würzige Düfte über den Platz schicken. Was viele genießen, sagt Hofmann: „Jetzt sitzen die Leute gerne da, Kinder spielen, das ist einfach schön.“
Einmal im Monat treffen sich die Vereinsmitglieder zum Gärtnern, in trockenen Sommerwochen kümmern sich einige auch um die Bewässerung. Außerdem gibt es im Frühling eine Staudentauschbörse und im Herbst ein Kartoffelfest. Das muss in diesem Jahr allerdings ausfallen – wegen der Bauarbeiten, die voraussichtlich bis Anfang 2023 dauern. Wenn sie beendet sind, sollen die Beete wieder auf ihren ursprünglichen Platz schweben. „Und dann“, kündigt Wiebke Kabel an, „wollen wir wieder loslegen.“ (Brigitte Degelmann)