1. Startseite
  2. Frankfurt

„Renaturierung geht hier gar nicht“: Liederbach-Anrainer fürchten um ihre Häuser

Erstellt:

Von: Thomas J. Schmidt

Kommentare

Die Wasserschutzmauer war einmal höher: Seit 14 Monaten warten Karl-Otto Müller und seine Nachbarn darauf, dass die Hochwasserschäden von 2020 endlich beseitigt werden. Dies ist die Aufgabe der Stadt - und Müller erwartet, dass bald etwas passiert. FOTO: Maik Reuß
Die Wasserschutzmauer war einmal höher: Seit 14 Monaten warten Karl-Otto Müller und seine Nachbarn darauf, dass die Hochwasserschäden von 2020 endlich beseitigt werden. Dies ist die Aufgabe der Stadt - und Müller erwartet, dass bald etwas passiert. © Maik Reuß

Die Stützmauer am Liederbach in Frankfurt ist noch immer nicht repariert. Die Anwohner befürchten die Risiken von weiteren Überschwemmungen selbst tragen zu müssen.

Frankfurt – Was aus seinem Garten wird, kann Karl-Otto Müller noch immer nicht abschätzen. Vor mehr als einem Jahr hat eine Sturzflut des Liederbachs die Stützmauer beschädigt. Der Inhaber des Gasthauses „Zum Goldenen Löwen“ in Unterliederbach fürchtet: „Wir Anlieger am Bach müssen um unsere Grundstücke fürchten.“ Verantwortlich für die Mauer ist die Stadtentwässerung. Ob und wann sie die Mauer repariert, das wissen Müller und seine Nachbarn bis heute nicht.

Dafür stellt die Stadt Frankfurt aber am Mittwoch (27.10.2021) ihre neue Starkregenkarte vor. Darin sind alle Gebiete verzeichnet, in denen die Anwohner mit mehr als nur nassen Füßen rechnen müssen. Wahrscheinlich dürfte auch die Uferzone des Liederbachs zum Überschwemmungsgebiet zählen. Ob dies für die Anlieger Folgen hat, wird im Einzelfall betrachtet.

Frankfurt: Besondere Lage sorgt für Schwierigkeiten bei Hochwasserschutz am Liederbach

Hochwasserschutz braucht Platz. Im Idealfall können Retentionsflächen ausgewiesen werden, um bei Starkregen das Übermaß an Wasser aufzunehmen. Für die Anlieger des Liederbachs gilt jedoch eine besondere Lage: Der Bach entspringt bei Königstein und fließt durch den Main-Taunus-Kreis. Erst ab der Autobahn 66 fließt er auf Frankfurter Gemarkung. Erst hier könnte die Stadt für die Anlieger Sicherheit schaffen durch die Einrichtung von Sickerflächen. Allerdings wird das Gebiet landwirtschaftlich genutzt.

Und so fürchten die Anrainer des Liederbachs, dass sie es sind, die die Risiken von Überschwemmungen tragen müssen. "Die Stadt will nur den Bachlauf renaturieren", befürchtet Hartmut Neumann. Seine Tante wohnt ebenfalls am Liederbach, und ist auch davon betroffen, dass die Mauer teils weggespült wurde.

Sie und andere Anwohner fordern mehr als ein Jahr nach der Überschwemmung am Liederbach in Frankfurt noch immer Hochwasserschutz ein: Es könne nicht sein, dass jahrhundertealte Gebäude jetzt in Retentionsflächen liegen. "In Folge des Hochwassers vom Juni 1981 wurden wir Bachanrainer - ohne unser Wissen und gegen unseren Willen - in ein Überschwemmungsgebiet eingeteilt. Wir sollen einfach zugucken wie jedes Mal unsere Keller und Höfe volllaufen und können uns nicht mal versichern", kritisiert Neumann.

Frankfurt: Mauer am Liederbach beschädigt – Garten könnte in Bach abrutschen

Auch Müller findet das absurd. „Renaturierung geht hier doch gar nicht“, sagt er und zeigt auf die Mauer. Bruchsteine liegen im Bachbett. Beim letzten Hochwasser vor über einem Jahr wurde die Mauer an vielen Stellen entlang des Bachlaufs beschädigt, nicht nur hinter seinem Haus. „Der Bach verlief früher anders. Er wurde erst im 19. Jahrhundert aus dem Dorf hier entlang gelegt. Die Häuser standen zuerst hier - der Bach kam später“, sagt Müller.

Entsprechend stützt die etwa zwei Meter hohe Mauer die Grundstücke gegen den Bach ab. Der fließt - derzeit friedlich - etwa zwei Meter tiefer als die Grundstücksohle. "Wie soll das künftig gehen ohne Mauer?", fragt Müller. Er fürchtet, dass der Garten ins Bachbett abrutschen könnte. Vielleicht seien sogar die Fundamente der Häuser gefährdet.

Klar ist aber auch: Wenn der Liederbach nach einem extremen Gewitter wie zuletzt im August 2020 voller Wasser ist und dieses durch den engen Bachlauf drückt, kommt es zu Schäden. Der Bach müsste schon vor den Toren der Stadt „entschärft“ werden, fordern Anrainer. Damals regnete es stark in Kelkheim und in Bad Soden - in Frankfurt fiel hingegen kein Tropfen.

Frankfurt: Liederbach Teil von Programm zur Renaturierung

Doch der kleine Liederbach war zu einem entfesselten Wildbach geworden - im Main-Taunus-Kreis, durch den der in Höhe des Königsteiner Freibades aus Woog- und Rombach entstehende Liederbach fließt, ist das Bachbett reguliert und mit Basaltblöcken ausgekleidet. Die Strömungsgeschwindigkeit ist in der Folge sehr hoch. Ausgewiesene Überschwemmungsgebiete gibt es noch nicht zwischen Königstein und Frankfurt.

Das könnte sich ändern. Seit 2020 ist der Liederbach Bestandteil des Programms "100 wilde Bäche" des hessischen Umweltministeriums. Auch der Urselbach und der Eschbach sind in diesem Programm, das die von der EU ohnehin bis 2027 vorgeschriebene Renaturierung der Gewässer beschleunigen soll. Das Land zahlt 95 Prozent der Kosten.

Frankfurt: Liederbach soll ins alte Bette gebracht werden

Begradigungs- und Kanalisierungsmaßnahmen, vor rund 100 Jahren gebaut, sollen rückgängig gemacht, die Bäche ins alte Bett zurückgebracht werden. Das Programm soll die Kommunen dabei unterstützen. Neue Naherholungsgebiete und besserer Artenschutz sind das Ziel. Die Experten erhoffen sich durch die verringerte Fließgeschwindigkeit der Bäche eine bessere Reinigungswirkung.

Es sollen sich Auen bilden, das Wasser die Möglichkeit der Überflutung und Versickerung erhalten. Am Liederbach sind die Kommunen, durch die der Bach fließt, involviert. Dort müssen die Grundstücke bereitgestellt werden, um Retentionsflächen zu erhalten. (Thomas J. Schmidt)

Auch interessant

Kommentare