Wie Psychologin Inga Beig Menschen hilft, die suizidgefährdet sind

Jedes Jahr nehmen sich allein in Frankfurt 90 Menschen das Leben. Ein Aktionsnetzwerk setzt sich für Suizidprävention ein. Mit dabei: Psychologin Inga Beig.
Frankfurt - Ihre Vorträge leitet Inga Beig gerne mit Schätzfragen ein: Wie viele Menschen sterben in Deutschland pro Jahr bei Verkehrsunfällen? Und wie viele scheiden durch Suizid aus dem Leben? Wenn die Psychologin die Lösungen verrät, blickt sie oft in überraschte Gesichter. Denn die Zahl der Suizid-Opfer ist etwa dreimal so hoch wie diejenige der Verkehrstoten. In Deutschland sterben jedes Jahr etwa 10 000 Menschen durch eigene Hand. Allein in Frankfurt nehmen sich jedes Jahr rund 90 Männer und Frauen das Leben.
Vor diesem Hintergrund hat das Frankfurter Gesundheitsamt im Jahr 2014 das Frankfurter Netzwerk für Suizidprävention (Frans) gegründet. Eines seiner Ziele: Daten sammeln, um auf dieser Basis bessere Hilfsangebote machen zu können. Genaue Zahlen zu erhalten, das sei bei diesem Thema jedoch "unfassbar schwierig", sagt Frans-Ansprechpartnerin Inga Beig. Die Zahl der Suizidversuche beispielsweise sei weitgehend unklar, weil diese oft nicht erkannt würden. Nach Schätzungen liegt sie zehn- bis 20-mal höher als die Zahl der Suizide. Weil es darüber kaum Daten gebe, sei eine statistische Erfassung schwer möglich. Um das zu ändern, läuft seit gut zwei Jahren das "Frankfurter Projekt zur Prävention von Suiziden mittels evidenzbasierter Maßnahmen" (FraPPE), das an der Uniklinik angesiedelt ist und an dem sich auch das Gesundheitsamt beziehungsweise Frans beteiligt.
Psychologin aus Frankfurt: Männer begehen häufiger Suizid
Dabei versuche man unter anderem, Mitarbeiter von Feuerwehren und Rettungsdiensten besser zu schulen, sagt die Psychologin. Damit diese vielleicht genauer hinschauen, wenn sie beispielsweise zu einem älteren Menschen gerufen werden, der völlig dehydriert ist, weil er nichts mehr getrunken hat - möglicherweise mit dem Ziel, aus dem Leben zu scheiden. Oder der vielleicht mit der derselben Absicht seine Medikamente nicht genommen hat und deshalb zusammengebrochen ist.
Eines wissen Inga Beig und die Psychologin Nora Hauschild, die ebenfalls bei Frans mitarbeitet, mittlerweile jedoch ziemlich genau: Es sind deutlich mehr Männer als Frauen, die sich das Leben nehmen. Und es sind besonders die älteren Männer, die gefährdet sind. Ein Grund dafür könnte sein, dass es Männern häufig schwerer fällt, Probleme einzuräumen und Hilfe in Anspruch zu nehmen, sagen Beig und Hauschild. Das zeige sich beispielsweise bei Präventionsangeboten: "Da sehen wir viel mehr Frauen."
Psychologin aus Frankfurt zur Suizidprävention: Ran an die Männer
Ihr Ziel: "Wir müssen ran an die Männer." Aus diesem Grund organisierten sie vor einigen Wochen bei einem Heimspiel der Frankfurter Eintracht in der Commerzbank-Arena einen Infostand zum Thema Suizid. Unterstützt wurden sie dabei von der Robert-Enke-Stiftung - benannt nach dem früheren Torhüter der deutschen Nationalmannschaft, der sich vor gut zehn Jahren das Leben nahm. Natürlich habe mancher Fußballfan lieber einen Bogen um den Stand gemacht, erinnert sich Inga Beig.
Schließlich ist das Thema Suizid für viele immer noch ein Tabu. Doch sie habe auch überraschend viele positive Reaktionen erhalten. "Ich find's gut, dass Ihr hier seid", diesen Satz hörte sie an diesem Nachmittag nicht nur einmal. Oder: "Ich kenne auch jemanden, der davon betroffen ist." Kein Wunder, sagt die Psychologin: Schließlich besage eine Schätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO, dass jede suizidale Handlung zwischen 6 und 23 weitere Menschen - Freunde, Angehörige, Kollegen, Zeugen - mit betreffe.
Frankfurt: Oft ist es eine akute Krise, die zum Suizid führt
Das Argument "lasst doch die Leute einfach, wenn sie nicht mehr leben möchten" wollen beide Psychologinnen nicht gelten lassen: "In bis zu 90 Prozent der Fälle steckt hinter einem Suizid eine psychische Erkrankung oder eine akute Krise" sagt Inga Beig. "Das heißt, die Menschen sind nicht im Vollbesitz ihrer Wahlfreiheit und wollen in den meisten Fällen eigentlich gar nicht ihr Leben beenden, sondern nur aus der aktuellen Situation raus."
Um mehr Aufmerksamkeit und Sensibilität für das Thema zu schaffen, setzen Inga Beig und Nora Hauschild auf Aufklärung, etwa durch Lesungen, Filmvorführungen, Theaterprojekte, Plakatkampagnen und Fortbildungen - nach dem Motto "Reden kann Leben retten". Wenn jemand beispielsweise Andeutungen mache, dass er darüber nachdenke, sich das Leben zu nehmen, solle man ihn unbedingt darauf ansprechen - deutlich, aber respektvoll, raten beide: "Die Menschen sind total erleichtert, wenn sie sich das von der Seele reden können." Vorwürfe und Drohungen solle man dabei jedoch unbedingt vermeiden. Stattdessen könne man anbieten, dass man gemeinsam nach Hilfe suche. "Wichtig ist es, den Betroffenen nicht allein zu lassen", sagt Beig. "Und wenn es ganz akut ist - Polizei, Retungsdienst und die Institutsambulanzen an den psychiatrischen Kliniken sind immer erreichbar."
Gesundheitsamt Frankfurt hat Netzwerk für Suizidprävention initiiert
Das "Frankfurter Netzwerk für Suizidprävention" (Frans), initiiert von der Abteilung Psychiatrie am Frankfurter Gesundheitsamt, gibt es seit sechs Jahren. Rund 75 Institutionen und Organisationen wirken daran mit - von Feuerwehr und Krankenhäusern über Kirchen und Sozialverbände bis zu Vereinen und Selbsthilfegruppen. Auf Flyern und im Internet hat Frans zahlreiche Informationen zum Thema Suizid zusammengestellt, für Betroffene ebenso wie für Angehörige und Freunde sowie Trauernde: etwa über Hilfsangebote sowie darüber, wie man mit einem suizidgefährdeten Menschen umgehen kann.
Über seine Arbeit informiert das Netzwerk bei der "Gesund leben"-Messe am 29. Februar und 1. März in der Jahrhunderthalle. Die gesund leben ist eine regionale Publikumsmesse der Mediengruppe Frankfurt mit 70 Ausstellern, 55 Expertenvorträgen, 16 Stunden Fitnessprogramm, kostenfreien Gesundheitschecks und Informationen rund um Gesundheit, Fitness, Ernährung, Lifestyle, Reisen, Wellness & Beauty. Sie findet vom 29.02.-01.03.2020 in der Jahrhunderthalle Frankfurt statt. Mehr unter www.gesundleben-messe.de.
Schnelle Hilfe bei akuten Krisen gibt es zum Beispiel bei der Notfallhotline, über die die psychiatrischen Kliniken in Frankfurt rund um die Uhr erreichbar sind: Telefon (0 69) 63 01 31 13. Weitere Informationen im Internet unter www.frans-hilft.de.
Von Brigitte Degelmann