"Ins eigene Bett kommt mir so jemand nicht": Domina berichtet bei Führungen durchs Bahnhofsviertel
Domina "Vanessa" ist eine der Frauen, die man bei Touren durch Laufhäuser trifft. Ein Kenner des Frankfurter Bahnhofsviertels führt die Teilnehmer.
Frankfurt - Wenn der geneigte Frankfurter vom "Treppensteigen" nach Hause kommt, hat er wahrscheinlich auch die steile Wendeltreppe der Taunusstraße 26 erklommen. Um diese Treppe gruppiert sich ein fürs Frankfurter Bahnhofsviertel typischer Mikrokosmos: vorne links die Animierbar "My Way". Dahinter, baulich getrennt, die Kantine des Laufhauses, zu dem die Treppe gehört, und das Zimmer von Ilja, der auf die Frauen aufpasst, die dort ihre Dienste anbieten. Die Treppe selbst führt zu den 34 Zimmern des Hauses, einem von zwölf Bordellen im Bahnhofsviertel, in dem vorwiegend rumänische und bulgarische Frauen arbeiten. Und Domina Vanessa, deren Tätigkeitsfeld deutlich anders ist.
An einem lauen Sommerabend betritt sie im Nirvana-T-Shirt die Kantine. Vom Frühstück sind noch ein paar Croissants übrig, im Kühlschrank stehen Marmelade und Nutella, Würstchen, Streichkäse und Milch. Am anderen Ende des Tresens ein Kaffeevollautomat, hinten schließt sich eine kleine Edelstahlküche an. "Ein einfaches Frühstück ist in der Miete enthalten", sagt Ulrich Mattner, ehemaliger FAZ-Journalist und Fotograf, der seit Jahren Menschen durchs Bahnhofsviertel führt. 4200 Euro Miete kostet ein Zimmer im Monat, oder 120 Euro pro Tag. 15 davon gehen pauschal ans Finanzamt, der Rest bleibt beim Vermieter, der den Umsatz, wie Ilja betont, ebenfalls noch versteuert.
Frankfurt: Führungen durchs Bahnhofsviertel - Hauswirtschaftler und Domina geben Einblicke
Der Hauswirtschafter sitzt vor sechs Monitoren, die den Eingang, die Treppe und die Flure der Stockwerke zeigen, wo die Frauen in den Türrahmen lehnen oder sitzen und auf Kunden warten. Auf dem siebten Monitor in der Mitte schaut er Fußball. "Ich arbeite schon 14 Jahre hier, wenn was ist, erkenne ich das aus dem Augenwinkel", sagt der gebürtige Kosovo-Albaner. Außerdem habe jedes Zimmer Alarmknöpfe. Er zieht einen hölzernen Baseballschlager aus der Ecke hervor. "Zum Angst machen", sagt er und grinst gutmütig. Benutzen dürfe er ihn nicht. Seine Statur reicht in den meisten Fällen vermutlich sowieso aus.
Auch in seinem Zimmer gibt es einen Kühlschrank, jede Frau bekommt täglich Getränke, Klopapier und zehn Kondome, alles ebenfalls in der Miete enthalten. Rund 80 Prozent der Prostituierten im Bahnhofsviertel und wohl noch etwas mehr in der Taunusstraße 26 kommen aus den armen Ländern Südosteuropas und wissen keinen anderen Ausweg, als ihren Körper anzubieten, um an Geld zu kommen. Für 15 Minuten Sex bekommt eine Prostituierte im Laufhaus in der Regel 30 Euro, wer ungeduscht ist, zahlt oft mehr, wer früher kommt, muss früher gehen. Frauen, die auf der Straße leben, verlangen meist weniger.
Laufhaus im Frankfurter Bahnhofsviertel: 800 bis 1500 Männer steigen täglich die Treppe hoch
Außerdem gibt es in Iljas Zimmer ein Bord mit 34 Schlüsselhaken, unter denen fein säuberlich aufgelistet steht, wann die jeweilige Bewohnerin zum nächsten Gesundheitscheck ins Gesundheitsamt muss, und wann sie einen neuen "Hurenpass" braucht - eine für jeweils zwei Jahre gültige Anmeldebescheinigung, die Voraussetzung dafür ist, um in einem Laufhaus Sex anbieten zu dürfen. Viel praktischer sei aber die Bordell-App, in der ablaufende Fristen gelb und abgelaufene rot angezeigt werden, sagt Ilja, und zückt sein Handy. Wenn er einer roten Dame ein Zimmer vermietet, muss das Haus Strafe bezahlen.

Auf den Monitoren wuseln Männer. Zwischen 800 und 1500 gehen pro Tag die Treppe hinauf, drei Viertel schauen, das übrige Viertel betritt eins der Zimmer. Die meisten sind jung, "die haben Druck", sagt Mattner. Bei Männern zwischen 18 und 30 Jahren ist der Testosteronspiegel bei Weitem am höchsten.
Das Männlichkeitshormon und Alkohol sind die Triebfedern, die auch die Animierbars des Bahnhofsviertels am Laufen halten. Sex ist hier streng verboten, "aber die Männer bekommen Wertschätzung, solange was im Glas ist", sagt Mattner. Im "My Way" verkauft Claudia das Glas Bier für 2,50 Euro. Ein Bier für die Animierdame kostet das Siebenfache, hinten im Separee das 80-fache. Die Animierdamen werden in der Regel mit einem Drittel am Umsatz beteiligt. Warum das klappt? "Die Männer denken, dass die Frauen dumm sind", sagt Claudia, die seit elf Jahren im "My Way" arbeitet. Dabei gilt das "Pure Platinum" einige Meter die Straße hinunter als europäischer Hotspot für Tabledancerinnen. Wer dort animiert, kann sich verkaufen wie kaum jemand anders in der Branche.
Domina Vanessa erzählt von ihrem Alltag: „Viele Männer gehen wieder, wenn sie merken, dass es wirklich wehtut“
Auch Domina Vanessa hat sich mittlerweile in Schale geworfen. Ganz in schwarz mit einem Rohrstock in der Hand wartet sie im zweiten Stock auf Kunden. Neben dem Bett ist ein schwarzes Andreaskreuz montiert, die Wand gegenüber zieren unzählige ätherische Marienbilder. "Die gehören Dani", sagt Vanessa, also der Frau, mit der sie sich das Zimmer teilt. Vor ihr steht ein mit schwarzem Kunstleder überzogener Strafbock, der, wenn man sich darüber beugt, das Gesäß zum höchsten Punkt des Körpers, und damit zu einem guten Ziel für den Rohrstock macht. "Viele Männer schauen sich das in Pornos an, gehen dann aber schnell wieder, wenn sie merken, dass es wirklich wehtut", sagt Vanessa. Sie selbst finde das sogenannte spanking (auf deutsch: hauen) hingegen "sehr befreiend". "Danach fühle ich mich immer besser."
Wie in den Animierbars ist auch bei ihr Sex nicht drin. Das sei aber in der Regel auch nicht das Ziel der Kunden. Bei ihr gehe es eher um Kontrollverlust. Physisch, wie beim spanking, oder psychisch. Einer ihrer Kunden liebe es beispielsweise, ans Andreaskreuz gefesselt und ignoriert zu werden. Ein anderer spiele gerne einen kleinen Jungen, der von seiner Mutter bestraft wird, weil er beim Klauen erwischt wurde.
„Das ganze Babbeln war mir viel zu anstrengend“ - Von der Animierdame zur Domina im Frankfurter Bahnhofsviertel
Einige Kunden kämen auch nur, um zu reden oder um sich ihr in Frauenkleidern zu präsentieren. Gefährliche oder unangenehme Praktiken wie Atemreduktion oder das Spiel mit Kot lehnt sie ab. Für letzteres verlangen andere Dominas im Bahnhofsviertel bis zu 1000 Euro. Eine Stunde mit Vanessa kostet 150 Euro.
Respekt habe sie vor den Männern, die zu ihr kämen, nicht, sagt sie. Und auch in ihr eigenes Bett "käme so jemand nicht". Tauschen wolle sie aber auch nicht. "Einmal habe ich es als Animierdame versucht. Aber dieses ganze Babbeln in der Bar war mir viel zu anstrengend." Und außerdem sei ihr Job immer noch besser als das, was im Haus gegenüber passiere. "Da gibt es zwei, drei Frauen, die sehen aus, als ob sie zwölf Jahre alt wären. Die verdienen sich damit dumm und dämlich." Infos und weitere Termine unter www.umattner.de (Sarah Bernhard)
In einem Hotel im Frankfurter Bahnhofsviertel hat ein Mann eine 22-jährige Frau angegriffen und Geld geraubt.