Entkriminalisierung des Schwarzfahrens? RMV und VGF winken ab
Der hessische Justizminister ist offen für eine rechtliche Neubewertung des Schwarzfahrens. Die Verkehrsbetriebe in Frankfurt sehen das kritisch.
Frankfurt - Dass Schwarzfahren bald keine Straftat mehr sein könnte, stößt bei den beiden großen Verkehrsbetrieben in Frankfurt auf Ablehnung. Der Rhein-Main-Verkehrsbund (RMV) teilte am Freitag (14. Oktober) auf Anfrage mit: „Ohne gültigen Fahrschein zu fahren, ist nichts anderes, als ein Stück Butter ohne zu zahlen, in die eigene Tasche wandern zu lassen. Senkt man diese Schwelle, wird der ÖPNV am Ende für alle teurer, weil die verlorenen Einnahmen aus anderer Quelle kompensiert werden müssen.“
Rund drei bis fünf Prozent der Fahrgäste sind nach Unternehmensangaben ohne gültiges Ticket unterwegs. Dem RMV entgingen dadurch jedes Jahr Einnahmen in Millionenhöhe. Diese fehlten später für die Finanzierung des Betriebs der Busse und Bahnen in Hessen. „Fährt jemand ohne gültige Fahrkarte, tut er dies zulasten der ehrlichen Fahrgäste und der Steuerzahler. Ihnen gegenüber wäre es nicht fair, das Fahren ohne Ticket nicht weiterzuverfolgen“, hieß es aus der Pressestelle.
Schwarzfahren bald keine Straftat mehr: Wenig Begeisterung in Frankfurt
Ähnlich kritisch äußerte sich auf Anfrage auch die städtische Verkehrsgesellschaft Frankfurt (VGF), die Schwarzfahren ebenfalls mit Diebstahlstraftaten verglich: „Es gibt kein Vertun, wie eingeschätzt wird, wenn man – und sei es zum ersten Mal – im Supermarkt ein Paket Butter ‚mitgehen‘ lässt. Warum Fahren ohne gültigen Fahrausweis, also die Inanspruchnahme einer Dienstleistung, deren Erstellung die öffentliche Hand viel Geld kostet, anders und mit mehr Nachsicht behandelt werden sollte, erschließt sich uns nicht.“
Am Dienstag (11. Oktober) hatte sich Hessens Justizminister Roman Poseck (CDU) in einer Regierungserklärung dafür offen gezeigt, das Schwarzfahren von einer Straftat auf eine Ordnungswidrigkeit herabzustufen. Dazu müsste der Paragraf 265a des Strafgesetzbuchs (StGB) geändert oder gestrichen werden, landläufig auch als Schwarzfahrer-Paragraf bekannt. Die strafrechtliche Verfolgung von Schwarzfahrern binde „erhebliche und eben möglicherweise auch unverhältnismäßige Ressourcen“, so Poseck.

Das hessische Justizministerium sagte der Bild, derzeit befassten sich die Amtschefs der Justizministerien des Bundes und der Länder mit dem Thema: „Es gibt Überlegungen, das erstmalige Schwarzfahren nicht mehr als Straftat, sondern als Ordnungswidrigkeit zu ahnden. Wiederholungstaten könnten aber weiter Straftaten sein.“ Die Ergebnisse der Beratungen stünden noch aus, sie laufen in aktueller Form seit einer gemeinsamen Konferenz im Juni.
Schwarzfahrer-Paragraf in Hessen: Über 3000 Verurteilte im Jahr 2020
Den Schwarzfahrer-Paragrafen zu ändern, könnte aus Sicht des hessischen Justizministers also den Justizapparat und die Polizei entlasten. 2020 wurden in Hessen beispielsweise 3019 Menschen auf Basis des Gesetzestextes verurteilt, wie das Justizministerium dem Hessischen Rundfunk (hr) mitteilte. 2816 Verurteilte mussten demnach eine Geldstrafe zahlen, 203 bekamen eine „sonstige Strafe“ – das kann eine Freiheitsstrafe sein, aber auch eine Strafe nach dem Jugendstrafrecht.
Wie viele Menschen tatsächlich das Worst-Case-Szenario erleben, wegen eines Schwarzfahrdeliktes ins Gefängnis zukommen, wird nicht statistisch erfasst. Schätzungen zufolge sind es bundesweit jährlich mehrere tausend, die hinter Gittern landen, weil sie mindestens einmal ohne Ticket erwischt wurden, wie Recherchen der ZDF-Sendung „ZDFMagazin Royale“ und des Portals „FragDenStaat“ ergaben. Besonders häufig betroffen seien „Menschen, die wenig oder gar kein Geld haben“.
Schwarzfahren als Straftat: Bundesjustizminister drängt auf Änderung
Der Schwarzfahrer-Paragraf sieht als Strafmaß bis zu ein Jahr Haft oder eine Geldstrafe vor. Eine direkt verhängte Haftstrafe ist zwar selten, wer aber die Geldstrafe nicht aufbringen kann, dem droht eine Ersatzfreiheitsstrafe – statt zu zahlen, muss er oder sie also ins Gefängnis. Der Westdeutsche Rundfunk (WDR) ermittelte anhand offizieller Daten, dass in Nordrhein-Westfalen (NRW) 2021 so mehr als 700 Menschen wegen Schwarzfahrens in Haft gewesen sein könnten.
Der Ruf nach einer teilweisen Entkriminalisierung des Schwarzfahrens ist nicht neu, vor allem Linke und SPD sprachen sich zuletzt dafür aus. Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) kündigte im Sommer an, kritisch prüfen zu lassen, ob das Strafgesetzbuch in dieser Hinsicht noch zeitgemäß sei. Er sagte, es säßen „viel zu viele Menschen im Gefängnis für Delikte, bei denen sich der Gesetzgeber eigentlich wünscht, dass die Menschen eine Geldbuße zahlen - und nicht im Knast landen.“ (ag)