1. Startseite
  2. Frankfurt

Antonio (†6) stirbt nach Stromschlag: Elektriker „hätten Tod vermeiden können“

Erstellt:

Von: Mark-Joachim Obert, Florian Dörr

Kommentare

Wurde nur sechs Jahre alt: Der kleine Antonio starb 2019 an einem Stromschlag im Kindergarten.
Wurde nur sechs Jahre alt: Der kleine Antonio starb 2019 an einem Stromschlag in einem Kindergarten in Frankfurt. © Hamerski

Antonio ist sechs Jahre alt, als er 2019 an einem Stromschlag in einer Kita in Frankfurt stirbt. Jetzt werden drei Männer wegen fahrlässiger Tötung angeklagt.

Update vom Montag, 12. September, 12.23 Uhr: Nun ist es offiziell. Wie bereits vorab berichtet (siehe Erstmeldung vom 3. September), hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt Anklage im Fall des tödlich verletzten Antonio C. erhoben. Der Sechsjährige war 2019 in seiner Kita am Atzelberg zusammengebrochen, nachdem er mit einer Steckdose in Kontakt gekommen war.

Bei den Angeschuldigten handelt es sich um den 70-jährigen Inhaber eines familiengeführten Frankfurter Elektrounternehmens sowie seine 45 und 40 Jahre alten Söhne und Mitarbeiter. Den beiden Letzteren wird vorgeworfen, den Tod des Kindes durch die „sorgfaltswidrige“ Installation einer Steckdose und damit aktives Tun fahrlässig verursacht zu haben. Dem Firmeninhaber, der selbst keine Elektroarbeiten durchführte, sondern diese nur kontrollierte, wird fahrlässige Tötung durch Unterlassen zur Last gelegt.

Frankfurt: Freiliegende Stromleitung in Kita - Antonio C. kommt ums Leben

Bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt heißt es zu den Hintergründen der Anklage: „Im Zeitraum Mitte Juli bis Ende August 2019 führte die besagte Elektrofirma in der städtischen Kindertagesstätte im Frankfurter Stadtteil Seckbach Modernisierungsarbeiten durch. Neben weiteren Werkleistungen überprüften die beiden angeklagten Mitarbeiter sämtliche Steckdosen. 24 bereits vorhandene Steckdosen wurden durch solche mit integrierter Fehlerstromschutzschaltung ausgetauscht und mit Krallen (und ohne Schrauben) angebracht. Dem Ermittlungsergebnis zufolge wurde eine Steckdose im Umkleidebereich der Kindestagesstätte jedoch fehlerhaft installiert.“

Diese mutmaßlich fehlerhafte Installation wurde dem Sechsjährigen zum Verhängnis: Am 29. Oktober 2019 versteckte sich Antonio C. nach Angaben der Staatsanwaltschaft Frankfurt spielerisch vor seiner Mutter. Zu diesem Zeitpunkt soll die zwischen zwei Garderobenbänken installierte Steckdose bereits schräg nach unten aus der Einbauöffnung gehangen haben. Der Junge kam mit einer offenliegenden Stromleitung in Berührung und erlitt einen Schlag. Trotz unmittelbar danach begonnener Reanimationsmaßnahmen verstarb er wenig später im Krankenhaus aufgrund von Kammerflimmern.

Die Staatsanwaltschaft Frankfurt geht davon aus, „dass die Steckdose bei fachgerechter Installation bzw. ordnungsgemäßer Kontrolle der Arbeiten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht herausgefallen wäre und die Angeschuldigten als Elektrofachkräfte die Einbaumängel hätten erkennen und damit den Tod des Kindes vermeiden können.“

Antonio (†6) tot nach Stromschlag in Kita: Elektriker werden in Frankfurt angeklagt

Erstmeldung vom Samstag, 3. September, 20.50 Uhr: Im Fall des vor fast drei Jahren in einer Kita in Seckbach tödlich verunglückten Antonio C. hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt nun Anklage erhoben. Nach Informationen, die dieser Zeitung vorliegen, wird drei Männern eines Frankfurter Elektrobetriebs "gemeinschaftliche fahrlässige Tötung" vorgeworfen. Ihre Arbeit an einer Steckdose sei "nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden". Offiziell bestätigt worden ist das bislang nicht, weder von der Staatsanwaltschaft, noch vom Amtsgericht.

Der sechsjährige Antonio C. hat am 29. Oktober 2019 in seiner Kindertagesstätte am Atzelberg plötzlich gezittert und war dann zusammengebrochen. Die Ärzte konnten später nur noch den Tod des Jungen feststellen. Bereits einen Tag nach dem Unglück verfestigte sich schnell ein Verdacht: Dass Antonio mit einer Steckdose in Kontakt gekommen war, die in der Garderobe der Kinder angebracht war. Väter anderer Jungen und Mädchen hatten von "blauen Blitzen" gesprochen, einer wollte lose Kabel gesehen haben.

Kita in Seckbach: Antonio an Stromschlag gestorben - Drei Elektriker aus Frankfurt angeklagt

Dies bestätigte zwei Tage später auch erstmals die Unfallkasse Hessen im Gespräch. Zwei Sachverständige hätten in der Kita festgestellt, dass alle Steckdosen felsenfest und damit kindersicher montiert worden seien - bis auf diese eine. Ein Foto, das die Sachverständigen damals gemacht hatten, zeigte eine etwas heraushängende Steckdose und hinter einer Lücke, durch die vermutlich eine Kinderhand gepasst hat, frei liegende Kabel. Von "möglichem Pfusch" sprach damals eine Sprecherin der Unfallkasse Hessen.

Zu diesem Zeitpunkt war die Steckdose bereits im Visier der Staatsanwaltschaft gewesen. Denn mittlerweile hatte die Obduktion bestätigt, dass Antonio C. an einem Stromschlag gestorben war.

Zu vermuten ist, dass es sich bei den drei nun angeklagten Männern um jene Elektriker handelt, die wenige Monate vor dem Unglück an der Rundum-Sanierung der Seckbacher Kita beteiligt waren. Ihr Elektrobetrieb ist familiengeführt, die drei Männer sind 70, 45 und 40 Jahre alt und haben denselben Nachnamen. Ob es sich um Vater und Söhne handelt, ist nicht klar. Klar hingegen ist, dass ihnen die Anklageschrift in den nächsten Tagen zugeschickt wird.

Frankfurt: Prozessbeginn wohl erst 2023 - Mutter von Antonio als Nebenklägerin?

Der Prozess wird vor einem Schöffengericht des Amtsgerichts Frankfurt geführt werden, vermutlich beginnt er erst 2023. Drei, vier Sachverständige hätten Gutachten verfasst, auch deshalb hätte die Anklageschrift fast drei Jahre auf sich warten lassen, heißt es aus Justizkreisen.

Möglicherweise wird die Mutter des verunglückten Jungen in dem Prozess als Nebenklägerin auftreten. "Diese Leute werden dafür bezahlen", hat sie einen Tag nach Antonios Tod in einer Trauerstunde nahe der Kita in Richtung der Verantwortlichen gesagt, ohne jemanden konkret zu beschuldigen.

Die Frage nach Verantwortlichen, nach der Schuld, machte damals auch in der Frankfurter Politik die Runde. Schließlich betreibt die städtische Gesellschaft Kita Frankfurt die Einrichtung in Seckbach. Wenn die Steckdose vorher schon locker war, habe die Stadt ein ernstes Problem, war damals aus dem Römer mehrfach hinter vorgehaltener Hand zu hören gewesen. Ähnlich hatte sich auch die Unfallkasse Hessen im Gespräch mit dieser Zeitung geäußert. Gestern teilte sie auf Anfrage mit, dass sie Entschädigungsleistungen in Form von Sterbegeld und Überführungskosten im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben geleistet habe.

Staatsanwaltschaft erhebt Anklage - Hat Stadt Frankfurt Elektroarbeiten abgenommen?

Ob die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft über die drei jetzt Angeklagten hinaus gehen werden oder im Zuge des Prozesses noch ausgeweitet werden, bleibt abzuwarten. Eine Frage, die sich stellt: Hatten von der Stadt beauftragte Elektro-Sachverständige die Modernisierungsarbeiten in der Seckbacher Kita abgenommen?

Bildungsdezernentin Sylvia Weber (SPD) teilte dazu auf Anfrage allgemein mit, dass städtische Einrichtungen alle drei Jahre auf Gefahren hin untersucht und alle vier Jahre fest montierte Elektroanlagen kontrolliert würden. Das Liegenschaftsmanagement und geschulte Sicherheitsbeauftragte in den Einrichtungen achteten darüber hinaus stets auf mögliche Gefahrenquellen. "Wir haben keine Kenntnis darüber, dass vor Eintritt des Unglücks die Steckdose nicht befestigt gewesen ist oder ein Kabel aus der Wand hing", so Weber gestern.

In ihren ersten Stellungnahmen drei Tage nach dem Unglück wollte sich die Staatsanwaltschaft zu der Frage, ob und wie die Steckdose aus ihrer Fassung gelangte, nicht äußern. Womöglich habe der Junge das irgendwie geschafft, hieß es damals. Die Sachverständigen der Unfallkasse hielten das für unmöglich, sollte die Steckdose so kindersicher montiert worden sein wie die anderen. Um diesen Punkt also wird es nun vor allem im Prozess gehen.

Frankfurt: Personal wechselte nach Tod von Antonio - Kita Seckbach acht Monate geschlossen

Dass das Kita-Personal in diesem Fall eine möglicherweise offensichtlich lose Steckdose nicht bemerkt haben könnte, ließe sich erklären. Die Steckdose war wohl zumeist von Jacken und anderen in der Garderobe verstauten Gegenständen der Kinder verborgen, erzählten seinerzeit Eltern. Oft, wenn seine Mutter ihn abholte, versteckte sich Antonio aus Spaß. Am Tag seines Todes versteckte er sich in der Garderobe, dort, wo die Steckdose war.

Das damalige Personal ist in andere Kitas gewechselt. Erst im Juni 2020, acht Monate nach Antonios Tod, hat die Kita am Atzelberg in Seckbach wieder aufgemacht. (Matthias Gerhart und Mark Obert)

Auch interessant

Kommentare

Liebe Leserinnen und Leser,
wir bitten um Verständnis, dass es im Unterschied zu vielen anderen Artikeln auf unserem Portal unter diesem Artikel keine Kommentarfunktion gibt. Bei einzelnen Themen behält sich die Redaktion vor, die Kommentarmöglichkeiten einzuschränken.
Die Redaktion