Frankfurter Forscher: Der Staat soll Cannabis anbauen
Eine Reform des Betäubungsmittelgesetzes fordern die Frankfurter Wissenschaftler Heino Stöver und Bernd Werse. Sie halten es für mitverantwortlich für die Schäden, die durch Drogenkonsum entstehen. Unter anderem setzen sie sich für eine kontrollierte Abgabe von Cannabis-Produkten ein.
Die Kernaussage des „2. Alternativen Drogen- und Suchtberichts“, der in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde, ist deutlich: Der Markt für illegale Drogen müsse reguliert werden, um ihn nicht länger der organisierten Kriminalität zu überlassen. Verbotspolitik und Repression seien gescheitert, weshalb das Betäubungsmittelgesetz dringend reformbedürftig sei. An den Inhalten des Berichts waren die Frankfurter Wissenschaftler Prof. Dr. Heino Stöver vom Institut für Suchtforschung der Frankfurt University of Applied Sciences (früher Fachhochschule) sowie Dr. Bernd Werse vom Centre For Drug Research der Goethe-Universität Frankfurt beteiligt.
„Verbote helfen nicht“
Ihrer Ansicht nach verfehlt das Betäubungsmittelgesetz nicht nur das Ziel, Drogenkonsum und dessen schädliche Folgen für Individuen und Gesellschaft zu verhindern, sondern sei Mitverursacher dieser Schäden. Drogenverbote verdrängten das Geschehen lediglich ins Verborgene: Menschen, die Drogen konsumieren, würden in die Illegalität gedrängt, wo sie für Hilfsangebote schwer erreichbar seien. Organisierte Kriminalität und Schwarzmarktpreise zögen Beschaffungskriminalität nach sich. Für inhaftierte Drogenkonsumenten sei die Wahrscheinlichkeit hoch, sich mit HIV oder Hepatitis zu infizieren, weil keine sauberen Spritzen zur Verfügung stehen. Auch sei die Qualität illegaler Substanzen nicht kontrollierbar, oft seien den Drogen gefährliche Strecksubstanzen beigemischt. Das Betäubungsmittelgesetz behindere Prävention, Schadensbegrenzung und Therapie und koste damit viele Menschen ihre Gesundheit.
Mit einer staatlich kontrollierten Produktion und Abgabe von Cannabis-Produkten und einem ausgebauten Zugang zu Diamorphin (pharmazeutisch erzeugtem Heroin) über das Medizinsystem könnten nach Ansicht der Forscher mehrere Probleme gelöst werden. Durch Angebote zur Untersuchung der Zusammensetzung von Drogen könnte der Verbraucherschutz gestärkt werden. Auch müsste der Zugang zu Konsumutensilien, vor allem sterilen Spritzen, in Haft ermöglicht werden. Auch die rechtlichen Rahmenbedingungen für Ärzte, die Abhängigen Ersatzdrogen verschreiben, müssten verbessert und Substitutionsbehandlungen bundesweit als Therapie anerkannt werden.
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Vorbild Frankfurt
Die Wissenschaftler verweisen auf Erfolge der Frankfurter Suchthilfe: 2014 habe es in der Stadt nur 23 Drogentote gegeben – weniger als in vergleichbaren Städten. Das liege an den vielfältigen Suchthilfe-Angeboten: Europas größte Drogenhilfeeinrichtung, Eastside, befindet sich im Frankfurter Osthafen. Dort leben, wohnen und arbeiten Drogenabhängige unter einem Dach. Im Eastside werden auch Menschen begleitet, die durch ihre langjährige Drogenabhängigkeit unter schweren physischen und psychischen Erkrankungen leiden. Zudem wurde in Frankfurt die Heroin-Abgabe unter ärztlicher Aufsicht durchgesetzt, was aktuell rund 100 schwerabhängige Menschen betrifft, bei denen die Stabilisierung durch Opioide wie Methadon nicht funktionierte. So soll deren Verelendung verhindert und ihr Leben stabilisiert werden.
Aber: Durch die Suchthilfe-Einrichtungen sei das Drogenproblem nicht mehr im Alltagsgeschehen sichtbar, was es den Einrichtungen erschwere, Gelder für Suchthilfe zu erhalten. Auffällig hoch seien in Frankfurt die HIV-Infektionen: Rund neun Prozent aller Heroin-Abhängigen seien HIV-positiv; in anderen Städten seien es hingegen nur ein bis drei Prozent. Trotz vielfältiger Angebote bestehe hier ein dringender Handlungsbedarf.
(red)