Frankfurter Held: Mit dem Handy ein Menschenleben gerettet

Mit einem guten Rat rettete er ein Menschenleben, mit seinem Handy brachte er einen Messerstecher zur Strecke. Für seinen Mut und seine Zivilcourage erhielt der Frankfurter Stefan Tommek nun den XY-Preis.
Immer und immer wieder schaut sich Stefan Tommek dieses Foto auf seinem Handy an. Morgen werden das Bild des Mannes, das er darauf gespeichert hat, Millionen Menschen sehen. Noch einmal wird der Frankfurter erzählen, in welche Gefahr er sich für dieses Foto begeben hat. Und warum er auf keinen Fall zulassen konnte, dass der Fotografierte, der um ein Haar einen jungen Mann getötet hat, entkommt.
Stefan Tommek ist einer der vier Empfänger des diesjährigen XY-Preises, der seit 15 Jahren alljährlich in der Fernsehsendung „Aktenzeichen XY“ für besonders couragiertes Verhalten vergeben wird. Am Mittwochabend werden die Preisträger live im ZDF vorgestellt.
An die Ereignisse, um die es dann geht, wird sich mancher Zeitungsleser noch erinnern: Im Juni 2015 war ein Unbekannter in ein Sportgeschäft am Rossmarkt gegangen, zog ein langes Brotmesser aus seiner Tasche und rammte es dem damals 25 Jahre alten Filialleiter in die Seite. Warum, dafür gab es keinerlei Anhaltspunkte. Das Opfer brach auf dem Verkaufstresen zusammen und schrie vor Schmerz.
„Entsetzliche Schreie“
„Das waren entsetzliche Schreie“, erinnert sich Tommek. Der 46-Jährige arbeitet als Handelsvertreter für Garne, 700 Kilometer war er an diesem Tag gefahren, lief nun durch die Stadt und freute sich am warmen Sommerabend. Und dann diese Schreie. Er rennt in den Laden, sieht den blutenden Mann dort liegen, das Messer steckt noch immer in seinem Körper. „Keine Ahnung, warum ich das in diesem Moment so sicher wusste, aber ich habe ihm sofort gesagt: Lass das Messer da stecken, sonst verblutest du!“
Es war der klügste Rat, den Tommek je gegeben hat. Im späteren Gerichtsverfahren bestätigte ein Gutachter, dass der 25-Jährige gestorben wäre, hätte jemand das Messer aus der Wunde gezogen.
Aber der couragierte Mann tut noch mehr. Im Laden stehen zwei Frauen, „vor Schreck wie zu Eis erstarrt“. Tommek fordert sie auf, einen Krankenwagen zu rufen – und die Polizei. Als er dies sagt, rempelt ihn plötzlich jemand heftig an und geht dann aus dem Geschäft. „Ich hätte nicht eine Sekunde daran gedacht, dass der Täter noch im Laden sein könnte.“
Der Messerstecher, das ergibt sich später im Gerichtsverfahren, ist nach jahrelangem Drogenkonsum psychisch schwer krank; so stark, dass er nicht schuldfähig ist. Der damals 38-Jährige wurde in die Psychiatrie eingewiesen.
Der Täter ist ein kräftiger, breitschultriger Mann, an jenem Juniabend geht über den Rossmarkt in Richtung Taunusanlage. Tommek folgt ihm. Vor den Läden, an denen er vorbeikommt, spricht er Passanten und Wachleute an. „Ich wollte, dass sie mitkommen, aber niemand hat mir geholfen.“ Also geht er dem Messerstecher allein hinterher, er hält etwas Abstand, ruft immer wieder, der andere solle stehen bleiben. In der Hand hält er sein Handy. „Jetzt war ich schon so weit gegangen. Ich wollte unbedingt ein Foto von dem Mann.“ Aber der wendet ihm ja den Rücken zu.
In der Junghofstraße setzt Tommek alles auf eine Karte und ruft „Halt, Polizei, stehen bleiben!“ Und es klappt, der Täter dreht sich um. Als er versteht, dass Tommek nun ein Foto von ihm hat, droht er. Dann taucht er ab. Stefan Tommek rennt derweil zurück zum Tatort, dem ersten Polizisten, den er trifft, drückt er das Telefon mit dem Täterfoto in die Hand. Nur Stunden später steht es samt Fahndungsaufruf auf Zeitungsseiten und in sozialen Netzwerken.
Vollkommen am Ende
Der Held aber ist erstmal am Ende seiner Kräfte. Im Polizeipräsidium fällt ihm anfangs nicht einmal mehr die Telefonnummer von zu Hause ein. So viel Adrenalin hatte sein Körper ausgeschüttet, dass es dauerte, bis er wieder in einen „Normalbetrieb“ kam. „In meinem Kopf spukte nur die eine Frage: Wie geht es dem jungen Mann?“ Tagelang dauert diese Ungewissheit, dann steht fest, das Opfer überlebt. Inzwischen ist der 26-Jährige wieder fit, er hat geheiratet, ein Studium begonnen. Doch der Überfall wirkt nach. Wenn im Winter die Menschen die Hände in ihre Jackentaschen stecken, überkommt ihn Angst. In dieser Haltung war der Täter in den Laden getreten.
Dieser wird eine gute Woche nach der Tat am Flughafen festgenommen – dank des Fotos von Stefan Tommek. Denn zwischen Opfer und Täter gibt es keinerlei Beziehung, „die hätten den sonst nie fassen können“. Für Stefan Tommek scheint das Glück perfekt: Das Opfer auf dem Weg der Besserung, der Täter in Gewahrsam. „Das ist ein überwältigendes Glücksgefühl.“ Davon hätten die, die damals ängstlich wegschauten, keine Ahnung.
Aber in dem couragierten Helfer kommen auch andere Gefühle auf. Er ist plötzlich schlaflos, kriegt Panikattacken, isst nicht mehr. Tommek wendet sich an die Polizei, die vermittelt ihn an das Opfer- und Traumazentrum. „Die Gespräche dort haben mir unheimlich geholfen. Mein Leben ist wieder wie immer.“ Generell ist Tommek erstaunt, wie viele Menschen sich um ihn, der ja nicht Opfer war, bemüht haben. Die Kommissare von der Polizei, die Psychologin, die Sozialarbeiterinnen von der Zeugenbetreuungsstelle des Landgerichts. Ihnen will er nun mit einer Spende aus seinem Preisgeld von 10 000 Euro danken. „Sie haben mir alle Angst vor dem Prozess genommen.“
Da sitzt Tommek dem Täter gegenüber, sieht zum ersten Mal den Geschädigten wieder. „Ich hätte ihn beinahe nicht erkannt. Damals hatte er ja Todesangst im Gesicht.“ Dafür weiß der Jüngere nur zu genau, wen er vor sich hat – seinen Lebensretter. Er lädt ihn zu seiner Hochzeit ein, regelmäßig telefonieren die Männer miteinander.
„Und wenn das alles hier vorbei ist, gehen wir zusammen aus.“ Stefan Tommek ist der Rummel um seine Person etwas peinlich. „Aber vielleicht kann meine Geschichte andere wachrütteln. Wenn sie meine Erfahrung kennen, helfen sie beim nächsten Mal vielleicht selbst. Und sind nicht so ängstlich wie all diejenigen, die mich damals im Stich gelassen haben.“
Am Mittwoch, 16. November, 20.15 Uhr, sprechen die Preisträger in „Aktenzeichen XY... ungelöst“ mit Moderator Rudi Cerne.