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Frankfurts U-Bahn-Chefin warnt: „Ohne Personal gibt es keine Verkehrswende“

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Erstmals eine Frau in der Chefetage der Stadtwerke-Verkehrsgesellschaft: VGF-Arbeitsdirektorin Kerstin Jerchel im Interview.
Erstmals eine Frau in der Chefetage der Stadtwerke-Verkehrsgesellschaft: VGF-Arbeitsdirektorin Kerstin Jerchel im Interview. © Enrico Sauda

Personalnot führt seit Monaten zu Ausfällen bei Bahnen und Bussen in Frankfurt. Die Arbeitsdirektorin der Verkehrgesellschaft VGF warnt eindrücklich.

Frankfurt -Zum ersten Mal gehört eine Frau zum Führungsteam der Verkehrsgesellschaft Frankfurt (VGF). Seit Mai ist Kerstin Jerchel (51) dort Arbeitsdirektorin und Geschäftsführerin. Im Interview mit Redakteur Dennis Pfeiffer-Goldmann spricht die ehemalige Gewerkschafterin über die großen Herausforderungen der nächsten Jahre, damit U-Bahnen und Trams weiter rollen können, und ihren eigenen Rollenwechsel.

Sie sind jetzt seit etwas mehr als 100 Tagen bei der VGF. Wie ist Ihr erster Eindruck vom Unternehmen, Frau Jerchel?

Ein sehr positiver. Der Slogan „Alle fahren mit“ funktioniert hier, auch unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Themen, die auf mich zugerollt sind, zeigen mir: Es gibt vielfältige Herausforderungen, es gibt eine ganze Menge zu tun.

Was könnte die größte Herausforderung sein?

Als Arbeitsdirektorin sehe ich die Demografie als eine große Herausforderung, die in den nächsten Jahren zuschlagen wird. Wir haben mit dem Renteneintritt der Boomerjahrgänge einen Wandel in der Altersstruktur vor uns, der auch vor der VGF nicht haltmacht.

Bei der VGF gehen bis 2028 zwölf Prozent in Rente

Wie stark wirkt sich das aus?

Zahlenmäßig wird das heftig bei uns, aber das ist auch bei allen Mobilitätsunternehmen so, im öffentlichen Dienst und bei privaten Unternehmen. Wir müssen damit rechnen, dass bis 2028 zwölf Prozent unserer 2800 Beschäftigten in Rente gehen werden - über alle Berufsgruppen hinweg, also aus den beinahe 700 technischen Angestellten, den 1100 kaufmännischen und den 900 im Fahrdienst.

Wie geht die VGF damit um?

Wir arbeiten gerade mit Hochdruck an einer strategischen Nachfolgeplanung, um frei werdende Stellen möglichst schnell wieder besetzen zu können. Da müssen wir schnellstmöglich zu Ergebnissen kommen.

„Wir müssen noch bessere Arbeitsbedingungen anbieten“

Was muss die VGF tun, um künftig als Arbeitgeber attraktiv zu sein?

Was den Fahrdienst angeht, stehen wir immer wieder vor der Herausforderung, noch bessere Arbeitszeiten anbieten zu müssen. Das ist bei einem 24/7-Geschäft nicht so einfach. Hier ist noch mehr Ideenreichtum gefragt. Dazu wurden schon vor meiner Zeit Projekte angestoßen. Das andere Thema ist die Bezahlung. Wir werden nicht drum herumkommen, darüber neu zu sprechen. Die Entgeltverhandlungen sind zwar aktuell vom Tisch durch den Abschluss im öffentlichen Dienst. Aber beim nächsten Mal wird man sich auch über die Arbeitsbedingungen unterhalten müssen. Die nicht monetären Dinge wie eine planbare Arbeitszeit, Urlaube, mobiles Arbeiten, auch Urlaubstage statt Gehaltserhöhung werden immer stärker nachgefragt.

Wie wird die VGF für junge Leute attraktiv?

Die VGF muss noch mehr nach vorne stellen, was immer schon so war: Öffentlicher Personennahverkehr ist nachhaltig. Er ist umweltschonend, er ist grün, er hält die Autos aus der Stadt. Das spricht junge Menschen an, die das Klima bewegt. Die Nachhaltigkeit der Arbeit bei der VGF wollen wir künftig besonders betonen.

Also gibt’s bald einen Infostand der VGF-Personalgewinnung bei den Fridays-for-Future-Demos?

Das ist eigentlich eine ganz coole Idee, mal sehen.

Personal kostet Geld - und ist die Grundlage für die Verkehrspolitik in Frankfurt

Welche konkreten, kurzfristigen Verbesserungen erwartet die Belegschaft?

Kurzfristig gehen wir ab Jahresanfang an die Schichtplanmodelle für den Fahrdienst ran. Flexiblere Modelle wie eine 4-Tage-Woche halte ich im Fahrdienst aber nicht für kurzfristig umsetzbar. Dafür müssen wir einfach viel mehr Beschäftigte haben. Deshalb ist es zuerst notwendig, mehr Menschen dazu zu bringen, dass sie bei uns anfangen zu arbeiten.

Warum ist das VGF-Personal eigentlich so wichtig für die ganze Stadt?

Ohne Personal wird es eine Verkehrswende in diesem Land nicht geben. Das bezieht sich nicht nur auf die VGF. Personal kostet Geld, und es muss viel Personal neu eingestellt werden. Man muss es ausbilden und qualifizieren und achtsam umgehen mit dem Personal. Das ist die Grundlage für die Verkehrspolitik in Frankfurt, um die Bevölkerung auf die Schiene zu bringen.

Dass es teuer wird, hört sicher kein Politiker gern.

Das mag sein. Aber man kann nicht das eine wollen und das andere lassen. Es wird noch lange dauern, bis wir beim autonomen Fahren weiterkommen. So lange sitzen Fahrerinnen und Fahrer in den U-Bahnen und Straßenbahnen. Die machen einen verantwortungsvollen Job und müssen dafür gut bezahlt werden.

Mal die nächsten fünf Jahre gesehen: Auf welche Mehrkosten müssen sich die Steuerzahler einstellen?

Wir haben zunächst mit dem jüngsten Tarifabschluss gerechnet. Für die Mehrkostenplanung bis 2028 sind wir noch dabei, die demografischen Werte zu sichten.

Heutzutage sind für viele Beschäftigte neben Gehalt und Urlaub zusätzliche Leistungen relevant, etwa Fitnessstudio oder Kantine. Was will die VGF alles anbieten?

Einen Fitnessraum haben wir schon, den haben wir gerade neu aktiviert und zwei Mitarbeiterinnen sind ausgebildete Trainerinnen. Ja, die Zusatzleistungen spielen eine Rolle, ebenso wie beispielsweise die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Da kommen wir wieder zurück zum Arbeitszeitthema. Wir müssen auch stärker auf Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einwirken, dass sie bei uns bleiben wollen.

Wie kriegt man das hin?

Nicht nur über das Gehalt und dessen Bestandteile. Man muss das Zusammengehörigkeitsgefühl stärker machen, das ist ein Kulturthema. Und wir müssen zusätzliche Angebote machen, zum Beispiel für ein verbilligtes Fitnessstudio. Der Eintritt zu Zoo und Palmengarten ist für unsere Mitarbeiter zum Beispiel schon inkludiert. Mitarbeiterbindung ist eines der ganz starken Themen der Zukunft. Beschäftigte sind künftig gar nicht mehr so sehr nur darauf aus, nur ein gutes Gehalt zu haben, sondern auch ein gutes Miteinander im Betrieb.

Wie lässt sich ein gutes Miteinander erreichen?

Indem Führungskräfte darauf hin orientiert werden, dass es um ein Miteinander geht und sie ein neues Führungsverhalten an den Tag legen müssen. Ein angenehmes Arbeitsklima muss von der Führung vorgelebt werden.

Die VGF hat nur einen Fitnessraum - genügt das?

Das Angebot könnte noch ausgebaut werden. An unseren Standorten wie den Betriebshöfen gibt es aber auch schon einige Angebote, zuletzt zum Beispiel das Sommerfest im Betriebshof Gutleut, an dem ich teilnehmen durfte. Aber ich glaube, dass wir da noch besser werden können.

Inwiefern müssen auch die Arbeitsplätze angenehmer werden? Die Zentralwerkstatt ist bald 50 Jahre alt, der Betriebshof Gutleut über 100. Müsste da nicht auch groß neu investiert werden?

Ja, müsste es schon, aber ich frage mich, wo das Geld dafür herkommen kann. In den Betriebshöfen die Arbeitsplätze zu verbessern, wäre eine Rieseninvestition. Wir versuchen schon, moderner zu werden an allen Standorten, und bieten den Fahrern Tablets.

Wären neue Betriebshöfe die Lösung?

Ich weiß nicht, ob es nur ums Modernisieren des Arbeitsumfelds geht. Ich glaube nicht, dass alle nur darauf aus sind. Es geht auch darum, dass das Arbeitsumfeld von der Stimmung her passt.

Wie groß ist die Diversität in Ihrer Belegschaft?

Wir haben schon eine große Zahl an Nationalitäten in der VGF. Aber wenn sie unter Diversität auch die Geschlechterverteilung meinen, dann ist da noch Luft nach oben.

Belegschaft bei U-Bahn und Straßenbahn soll bunter werden - wie in Berlin

Als wie wichtig schätzen Sie eine bunte Belegschaft für die VGF ein?

Durch mich ist die Geschäftsführung ja schon ein Stück diverser geworden. Diversität in der Belegschaft ist auch ein Punkt, weswegen Menschen sagen: Das ist ein cooler Arbeitgeber, da gehe ich auch hin. Da könnten wir noch besser werden.

Haben Sie dafür Vorbilder?

Die VGF ist gut, aber die Berliner Verkehrsbetriebe, die BVG, sind noch diverser aufgestellt und leben das auch. Das könnten wir hier auch. Ich glaube, das würde auch gut zu Frankfurt passen.

Ausfälle wegen Personalmangel, Schulungen, Urlaub

Wenn uns der ganz große Personalmangel noch bevorsteht, warum fallen dann aktuell und eigentlich ja schon durchgehend seit Corona so viele Fahrten aus?

Wir haben temporäre Fahrtenausfälle, das stimmt. Tatsächlich gibt es einen Krankenstand, bei dem wir noch nicht greifen können, was ihn verursacht. Das sorgt dafür, dass es auch zu Fahrtenausfällen kommt. Hinzu kommt, dass gerade die neuen T-Wagen der Straßenbahn in Betrieb gehen. Dafür gibt es hohen Schulungsaufwand, weil alle Fahrer auf die neuen Fahrzeuge geschult werden müssen. Wenn dann noch Urlaub dazukommt, können wir die Lücken manchmal nicht mehr kompensieren.

Wie gehen Sie der Ursache für den erhöhten Krankenstand auf den Grund?

Eines meiner Ziele ist es, ein noch effektiveres betriebliches Gesundheitsmanagement einzuführen. Als Unternehmen dieser Größe sollten und müssen wir das auch tun. Wir haben ein Durchschnittsalter in der Belegschaft von 44, 45 Jahren. Um die Menschen gesund zu halten, suchen wir mit unserem Betriebsarzt nach Lösungen, besonders im Fahrdienst. Ich möchte mehr Woman- und Manpower dort hineinstecken.

Eine Gewerkschafterin ist nun Arbeitsdirektorin. Kann sich der Betriebsrat jetzt zurücklehnen?

Nein, der Betriebsrat muss sich nun besonders anstrengen, mit mir gemeinsam. Natürlich sind mir die Positionen, die vorgetragen werden, nicht fremd.

Sind Sie dadurch sogar eine härtere Verhandlungspartnerin?

Nein. Ich habe ja nicht meinen Charakter abgelegt, als ich hier zur Tür hereinkam.

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