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„Frankfurts Parteien sind besonders weltoffen“

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Mike Josef und Nargess Eskandari-Grünberg geben Interviews.
Mike Josef und Nargess Eskandari-Grünberg geben Interviews. © Michael Schick

Integrationsforscherin bestätigt: Konstellation an Frankfurts politischer Spitze deutschlandweit einmalig.

Wenn Mike Josef (SPD) im Mai sein Amt als Oberbürgermeister antritt, werden die drei höchsten Positionen in der Frankfurter Stadtpolitik mit Menschen mit Migrationshintergrund besetzt sein: Josefs Familie floh aus Syrien, als er vier Jahre alt war. Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg (Grüne) flüchtete als 20-Jährige aus dem Iran. Stadtverordnetenvorsteherin Hilime Arslaner (Grüne) kam mit ihrer Familie als Fünfjährige aus der Türkei nach Deutschland. Die Frage, ob sich Frankfurt darauf etwas einbilden kann, klärte Redakteurin Sarah Bernhard mit Professorin Magdalena Nowicka, die beim Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung die Abteilung Integration leitet.

Frau Nowicka, Migranten in den drei höchsten Positionen der Stadtpolitik - gibt’s das sonst noch irgendwo in Deutschland?

Kaum. Es werden zwar keine genauen Daten darüber erhoben, aber eine Recherche des Mediendienstes Integration ergab, dass im vergangenen Jahr von 337 Oberbürgermeistern schon nur vier einen Migrationshintergrund hatten. Das sind 1,2 Prozent, verglichen mit 27 Prozent der Bevölkerung. Grundsätzlich haben nur sehr wenige Menschen mit Migrationshintergrund eine sogenannte Elitenposition inne, also eine Position, in der man Einfluss auf die Geschehnisse in Deutschland nehmen kann. Eine unserer Studien kam zu dem - wenig überraschenden - Ergebnis, dass die Eliten in Deutschland eher männlich sind, aus Westdeutschland stammen und keinen Migrationshintergrund haben. Frauen mit Migrationshintergrund sind also besonders stark unterrepräsentiert. Insofern ist die Situation in Frankfurt durchaus außergewöhnlich.

Was sagt das über die Stadt?

Das sagt weniger etwas über Frankfurt aus als darüber, dass das Wahlprogramm von Mike Josef überzeugender war als das von Uwe Becker. Anders als etwa in den USA zählen bei den deutschen Wählerinnen und Wählern, auch bei denen mit Migrationshintergrund, vor allem die parteipolitischen Ziele, nicht Privatleben oder Familiengeschichte.

Aber irgendeinen Grund muss es doch haben, dass die Migrantenquote in der Politikspitze so hoch ist.

Das liegt einerseits daran, dass auch der Anteil der Menschen mit ausländischem Pass oder Migrationshintergrund in Frankfurt mit knapp 56 Prozent relativ hoch ist. Auf der anderen Seite sind die Parteien offensichtlich gewillt, Personen mit Migrationserfahrungen zu integrieren und so zu unterstützen, dass sie überhaupt die Chance auf ein politisches Amt haben. In weiten Teilen Deutschlands sind die Parteien eher undurchlässig. Sie erziehen sich eine eigene Jugend, die sich dann hocharbeitet - wovon übrigens auch Mike Josef profitieren konnte. Das macht es für Menschen, die erst spät in die Parteistrukturen einsteigen können, zum Beispiel weil sie erst als Erwachsene nach Deutschland kommen, schwierig.

Warum?

Erstens „verlieren“ sie oft noch mehr Zeit, weil sie Deutsch lernen oder sich um die Anerkennung ihrer Abschlüsse kümmern müssen. Zudem brauchen Anwärter auf Parteiämter Ressourcen, zum Beispiel Hilfe bei der Kinderbetreuung während Sitzungen oder eigenes Geld für den Wahlkampf. Wenn die Familie noch im Heimatland ist und möglicherweise selbst finanzielle Unterstützung braucht, haben Migranten kaum eine Chance. Bis heute gibt es für diese Fälle auch keine dauerhafte Förderung. In Niedersachsen gibt es einen Verein, der ein Programm zur Unterstützung von lokalpolitisch interessierten Frauen mit Migrationshintergrund aufgelegt hatte. Die Frauen ließen sich aufstellen, haben gewonnen, alle waren begeistert - aber die Förderung wurde nicht verlängert. Wenn Menschen mit Migrationshintergrund es angesichts dieser schwierigen Rahmenbedingungen dennoch schaffen: Alle Achtung, das verlangt viel Durchsetzungsvermögen.

Lasten auf Lokalpolitikern mit Migrationshintergrund höhere Erwartungen der migrantischen Community als auf deutschen?

Manchmal sind sie vielleicht ein bisschen anders. Aber auch die Erwartungen migrantischer Communitys spiegeln vor allem die generellen Probleme der Stadt wider, genauso wie die Themen des Wahlkampfs ja alle betrafen. Es kann sein, dass Mike Josef eine bestimmte Sensibilität für die Probleme der Geflüchteten und der Menschen mit Migrationshintergrund hat, aber diese Gruppe zu berücksichtigen gehört sowieso zu einer guten Politik. Und dann muss man auch sagen, dass sich für viele Politiker diese Frage nur stellt, wenn sie von außen an sie herangetragen wird.

Durch die Medien?

Zum Beispiel. In Frankfurt haben wir natürlich die besondere Konstellation, dass die Länder, aus deren die drei stammen, sowieso auf der politischen Agenda stehen. Entsprechend fällt ihre Herkunft auch stärker ins Auge. Hätten sie einen spanisch-deutschen Migrationshintergrund, wäre das vermutlich nicht so. Die Frage der Erwartungen gilt aber auch für alle anderen, denen eine Sensibilität für eine bestimmte Gruppe unterstellt wird. Politiker, die aus einer Arbeiterfamilie kommen, werden dann eben darauf angesprochen, ob sie sich besonders für die Belange von Arbeitenden einsetzen werden.

Besteht jetzt eigentlich die Gefahr, dass sich Deutsche nicht mehr ausreichend repräsentiert fühlen?

Erst einmal bleibt festzuhalten, dass die meisten Menschen, die Mike Josef gewählt haben, wahrscheinlich Menschen ohne Migrationshintergrund waren. Außerdem herrscht in Deutschland Gewaltenteilung, und das Stadtparlament ist in der Mehrheit mit Deutschen besetzt. In den USA wurde Ruth Bader Ginsberg, eine Richterin am Obersten Gerichtshof, gefragt, wann sie glaube, dass Frauen ausreichend repräsentiert seien. Ihre Antwort: Wenn das ganze Gericht mit Frauen besetzt ist und man so daran gewöhnt ist, dass es gar nicht auffällt. So war es ja jahrhundertelang bei den Männern. Das lässt sich auf Migranten in politischen Ämtern übertragen. Und davon sind wir noch sehr weit entfernt.

Magdalena Nowicka
Magdalena Nowicka © privat

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