1. Startseite
  2. Frankfurt

„Frauen fürchten um ihre Sicherheit“: Lauter Protest gegen stille Örtchen in Frankfurt

Kommentare

Bereits im September 2022 präsentierte Stadträtin Sylvia Weber (SPD) die genderneutralen Toiletten im Bethmannpark. Daran schien sich auch niemand zu stören. Bei den geschlechtsneutralen stillen Örtchen am Südbahnhof ist das anders.
Bereits im September 2022 präsentierte Stadträtin Sylvia Weber (SPD) die genderneutralen Toiletten im Bethmannpark. Daran schien sich auch niemand zu stören. Bei den geschlechtsneutralen stillen Örtchen am Südbahnhof ist das anders. © Rainer Rueffer

Ab Mai soll es auch am Südbahnhof in Frankfurt öffentliche Klos geben, auf denen Frauen und Männer nicht mehr strikt getrennt sind.

Frankfurt - Die Planer im Dezernat für Neues Bauen haben alles gegeben, um aus dem Toilettengang im Südbahnhof künftig ein besonders angenehmes Erlebnis zu machen: Die Wände der neuen Räume sollen mit „Farben, Mustern und Bildern“ bemalt werden, zusammen mit beruhigender Musik aus Lautsprechern und drei Reinigungen pro Tag soll auf den öffentlichen Toiletten gar „eine gewisse Wohlfühlatmosphäre“ geschaffen werden.

Und doch regt sich in der Stadt Widerstand gegen die stillen Örtchen, die im Mai eröffnet werden sollen. Denn sie sind genderneutral. Zwar gibt es weiterhin drei Urinale. Die vier Toilettenkabinen, eine davon behindertengerecht, sind aber nicht mehr nach Geschlechtern getrennt, auch den bunten, beschallten Vorraum mit den Waschbecken teilen sich am Südbahnhof künftig alle.

Es sei ein Pilotprojekt, betont Markus Radermacher immer wieder, Sprecher von Sylvia Weber (SPD), der Dezernentin für Bildung, Immobilien und Neues Bauen. Man werde sich anschauen, wie es laufe, dann entscheide man, wie es weitergehe, erläutert er.

Klingt nach Zukunft und Vorreiterrolle. Dabei waren viele andere deutsche Großstädte sehr viel schneller als Frankfurt: In Hamburg etwa wurden die ersten öffentlichen Unisex-Klos 2021 eröffnet, München hat gar schon 2016 die ersten geschlechterneutralen öffentlichen Toiletten am Isarstrand aufgestellt.

In Frankfurt sind genderneutrale Toiletten eigentlich nicht neu

Im internationalen Vergleich liegt die Mainmetropole sogar noch weiter hinten. Kanada und Indien haben seit 2014 Gesetze zur Schaffung von Unisex-Toiletten, in China und Thailand gab es sie bereits ein Jahr zuvor.

Und auch in Frankfurt sind genderneutrale Toiletten eigentlich nicht neu. Es gibt sie etwa im Mousonturm oder im Bethmannpark, an der Goethe-Uni und an der University of Applied Sciences. Viel Kritik an deren Einrichtung habe es weder im Mousonturm noch an beiden Hochschulen gegeben. „Das Feedback war durchweg positiv“, sagt etwa Olaf Kaltenborn, Sprecher der Goethe-Uni.

Auch in Zügen, Flugzeugen sowie kleinen Kneipen und Restaurants sind Toiletten, die von allen genutzt werden, längst Standard. In Schulen, die neu gebaut werden, schreibt sie die Stadt seit vergangenem Jahr sogar vor, und der Protest der Schulleiter blieb aus.

Warum werden genderneutrale Toiletten also gerade jetzt im Südbahnhof zum Thema? Ein Grund dafür ist vermutlich, dass es, anders als etwa an den Unis, keine geschlechterspezifischen Toiletten in unmittelbarer Nähe gibt, auf die Skeptiker ausweichen können. Ein weiterer Grund dürfte sein, dass es nicht, wie im Bethmannpark oder im Zug, um Einzeltoiletten geht, sondern um Kabinen mit einem gemeinsamen Vorraum. Einen dritten Grund nennt Margit Grohmann, Seniorenbeirätin im Frankfurter Süden: Ältere Menschen reagierten mit „Fassungslosigkeit und Ablehnung“ auf die Pläne, sagt sie.

Und hat dafür drei Argumente. „Insbesondere Frauen fürchten um ihre Sicherheit und sehen ihre Privat- und Intimsphäre und ihr Schamgefühl verletzt. In vielen Kulturen verletzen gemischte Toiletten zudem die Sitten oder religiösen Regeln, die es Frauen verbieten, eine nicht nach Geschlecht getrennte Toilette zu benutzen.“

Unisex-Klos in Frankfurt: Datenlage zur Sicherheit ist dünn

Mit Zahlen oder Fakten be- oder widerlegen lässt sich keins der drei Argumente. Immerhin scheinen sich alle mehr oder weniger einig zu sein, dass es schambehafteter ist, einem Mitmenschen anderen Geschlechts auf der Toilette zu begegnen als einem gleichgeschlechtlichen. Das war’s dann aber auch mit der Einigkeit. Die restliche Argumentation von der Ursache (Scham ist natürlich, Frauen mussten sich ihre eigenen Toiletten erkämpfen, steht hier gegen: Scham als ein von der patriarchalen Gesellschaft anerzogenes Gefühl, um Frauen aus der Öffentlichkeit zu drängen) bis zur Folge (wir müssen weiter für Frauentoiletten kämpfen, gegen: wir sollten über unser Körperbild nachdenken) hängt davon ab, welcher Ideologie man anhängt.

Weiter geht’s mit fremden Sitten: Tatsächlich ist es zum Beispiel saudi-arabischen Frauen verboten, Unisex-Klos zu benutzen, nicht aber Frauen in den meisten anderen muslimischen Ländern. Konservativer Schulterschluss oder Verteidigung westlicher Freiheitswerte auf der Toilette? Glaubenssache.

Und auch die Datenlage zur Sicherheit ist dünn. So hat eine Anfrage der Zeitung „Sunday Times“ an die englischen Sicherheitsbehörden ergeben, dass 90 Prozent der in Großbritannien 2017 und 2018 angezeigten sexuellen Übergriffe in Schwimmbädern (insgesamt gab es 134 Anzeigen) in gemischtgeschlechtlichen Umkleidekabinen stattfanden. Eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2019, die die Kriminalitätsstatistik des US-Bundesstaats Massachusetts ausgewertet hat, ergab hingegen, dass die Zahl der sexuellen Übergriffe an Orten mit geschlechterneutralen Toiletten nicht höher lag als an solchen mit getrennten Toiletten.

Weil man also nichts Genaues weiß, die Gefühle, die Seniorenbeirätin Grohmann beschreibt, aber real sind, habe man sich darüber natürlich Gedanken gemacht, sagt Dezernatssprecher Radermacher. Die Kabinen seien geschlossen und hätten Spiegel, so dass man das meiste im Schutzraum der Kabine erledigen könne. Die Tür zwischen Bahnhof und Gemeinschaftsraum sei aus Glas und soll tagsüber geöffnet sein, um erst gar keinen Angstraum entstehen zu lassen. Wenn nötig, könne auch bei der Abtrennung der Pissoirs noch einmal nachgebessert werden.

Unisex-Klos in Frankfurt: „Ich gehörte da einfach nicht hin“

Aber warum das Ganze, wenn es doch bisher auch mit getrennten Toiletten ging? „Ich habe regelmäßig einen Eiertanz, wenn ich auf eine öffentliche Toilette gehe“, sagt Sue Emisch. Vor fünf Jahren hat sich die nun 70-Jährige als trans geoutet, also als Person, die das Gefühl hat, mit dem falschen biologischen Geschlecht geboren zu sein. Seitdem fühlt sie sich nicht nur wie eine Frau, sondern lebt auch so.

Auf die Herrentoilette konnte sie seitdem nicht mehr gehen, erst recht nicht in Damenkleidung. „Ich gehörte da einfach nicht hin.“ Doch auch auf der Damentoilette bekam sie immer wieder Probleme. „Niemals mit einer anderen Frau, denen war das immer egal.“ Das sehe sie etwa, wenn sich beim Lippennachziehen die Blicke im Spiegel träfen. Dafür aber schon mehrere Male mit dem Personal. Immer wieder musste sie erklären, warum sie die Frauentoilette nutzt, vor ihrer Geschlechtsangleichung noch häufiger als jetzt. „Aber auch vergangenen Sommer hat mich mal eine Putzkraft ausgelacht, als ich sagte, dass ich eine Frau bin. Das ist schon eine diskriminierende Angelegenheit für mich.“

Deshalb fände sie mehr geschlechterneutrale Toiletten in der Stadt durchaus wünschenswert, zur Not auch im Verbund mit Männer- und Frauentoiletten, obwohl die Aufteilung in drei Teile Trans-Frauen ihr Frausein abspreche. „Aber bevor ich mich von einer Putzkraft blöd anmachen lasse, gehe ich lieber auf die separate Unisex-Toilette.“ (Sara Bernhard)

Auch interessant

Kommentare