Ganz in Schwarz gegen das Vergessen

Bühnenstück zeichnet das Schicksal jüdischer Schillerschüler in der Nazi-Zeit nach
Blaues Licht hüllt die Bühne in der Aula der Schillerschule ein und setzt sich ab von der sonst in Schwarz gehaltenen Kulisse. Kurz darauf betreten Schüler des Sachsenhäuser Gymnasiums die Bretter, die in diesem konkreten Fall zu einem Ort der Erinnerung werden - ebenfalls ganz in Schwarz gekleidet. Zurückgenommen, reduziert. Denn in diesem Augenblick geht es nicht um sie. Es sind die individuellen Schicksale jüdischer Mitschülerinnen, die bis zur Machtergreifung der Nazis im Jahr 1933 ganz selbstverständlich die Schule besuchten und plötzlich dort nicht mehr erwünscht waren - oder auch schon in früheren Jahren Schülerinnen des Gymnasiums waren.
Nicht immer gab es Antworten
In einem Projekt mit dem Titel "Gegen das Vergessen", das in diesem Schuljahr als Wahlpflichtunterricht (WPU) angeboten wurde, haben sich insgesamt 24 Gymnasiasten aus der zehnten Jahrgangsstufe auf Spurensuche begeben, um das Leben jüdischer Mitschülerinnen nachzuzeichnen, die vor dem Zweiten Weltkrieg die damals noch als Mädchengymnasium ausgerichtete Schillerschule besuchten. Was ist mit ihnen passiert? Wer waren sie? Welche Hobbys hatten sie? Wohin führte sie ihr Weg? Fragen, auf die es nicht einfach war, Antworten zu finden. Und nicht immer gab es am Ende der intensiven Recherchen, die sich über das gesamte Schuljahr zogen, auch Ergebnisse.
Das Konzept zu dem Erinnerungsprojekt, das unter anderem vom Kulturfonds Frankfurt RheinMain und dem Kulturamt der Stadt gefördert wird, geht zurück auf die Künstlerin Leonore Poth, die hiermit an die Schule herangetreten ist. Sie erzählt, dass sie selbst einmal Teil eines ähnlichen Projekts an der Leibnizschule in Höchst gewesen sei, das von der dort tätigen Lehrerin Andrea Mihm erarbeitet wurde. Dies habe sie auf die Idee gebracht, ein eigenes Konzept für ein Erinnerungsprojekt zu entwickeln.
Poth arbeitete für die Umsetzung ihres Konzepts mit der Schauspielerin und Theatermacherin Liora Hilb zusammen und vonseiten des Gymnasiums mit Leo Wörner, Lehrer für Kunst und Geschichte.
Eingepackt in eine Theaterperformance, die Teilnehmer des WPU-Kurses mit Hilb einstudiert haben sowie in zeichnerischen Darstellungen in Form von kurzen Graphic Novels, die unter der Anleitung von Leonore Poth entstanden sind, präsentieren die Jugendlichen an diesem Nachmittag in der Schule das, was sie über das Leben der Mädchen recherchiert haben.
Rund 40 Minuten dauert die Theaterinszenierung auf der Bühne, 40 Minuten, in denen als Zuschauer zu spüren ist, dass die Schicksale der jüdischen Mitschülerinnen die jungen Darsteller sehr berühren. Das Besondere dabei ist auch, dass die Gymnasiasten ihre Texte, die sie in der Performance präsentieren, selbst geschrieben haben.
Im Mittelpunkt von Recherchen und künstlerisch-kreative Aufbereitung stehen die Schicksale von Ruth Weichbrodt, Elinor Wertheim, Katharina Bruchfeld, Rieke Freyn, Marianne Stern, Nelly Fuchs, Dora Jakobi, Käthe Hesse und Dorrit Weichbrodt. Manchen von ihnen gelang die Flucht aus Nazi-Deutschland, andere wurden deportiert und im KZ ermordet.
Karte zeichnet Wege nach
Die individuellen Wege, die ihr Leben genommen hat, sind auch visualisiert auf einer Karte zu sehen, die im Flur auf dem Weg zur Aula an der Wand hängt und der Anfangspunkt einer kleinen Ausstellung mit Graphic Novels ist, die Teilnehmer des WPU-Unterrichts hierzu gezeichnet haben. Doch nicht nur die Recherchen, die unter anderem dank des umfangreichen Schularchives möglich waren, bildeten einen Schwerpunkt.
Hierzu gehörten etwa auch der Besuch eines Workshops des Fritz-Bauer-Instituts, die Auseinandersetzung mit dem Schicksal von Anne Frank oder der Besuch der Theaterinszenierung "remebeRing", in der Liora Hilb, in Tel Aviv geboren und Tochter eines jüdischen Auswanderers, sich selbst auf Spurensuche begibt - nach ihrer Großmutter Jenny, die in Deutschland blieb und 1943 im KZ ermordet wurde.
Auch Volker Mahnkopp, so erzählt es Poth, Pfarrer der Sachsenhäuser Maria-Magdalena-Gemeinde, sei in die Schule gekommen und habe über seine Recherchen zum jüdischen Kinderhaus in der Hans-Thoma-Straße 24 ausführlich berichtet.
Zwar habe es nicht immer eine Antwort auf alle Fragen gegeben. Den Jugendlichen sei es bei ihren Recherchen aber auch gelungen, Verwandte ausfindig zu machen - die Enkelinnen von Katharina Bruchfeld und Elinor Wertheim. Die eine wurde per Videokonferenz zu ihrer Oma befragt, die andere kam sogar selbst nach Frankfurt und sprach mit den Schülern über ihre Großmutter.
Und, so tragen es die Jugendlichen auf der Bühne vor, die Überlieferung selbst sei die Erkenntnis: "Wenn wir alle unsere Augen öffnen, gibt es die Möglichkeit zur Veränderung", fassen sie es zusammen. Alexandra Flieth