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„Ungerecht und absurd“: Gastronomen in Frankfurt bangen um ihre Zukunft

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Frankfurter Gastwirte, hier am Naiv in der Fahrgasse, protestieren gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. FOTO: enrico Sauda
Frankfurter Gastwirte, hier am Naiv in der Fahrgasse, protestieren gegen eine Erhöhung der Mehrwertsteuer. © Enrico Sauda

7 oder 19 Prozent? Die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Speisen sei ungerecht und führe zu Schließungen sagen Gastronomen in Frankfurt.

Frankfurt - „Bei 19 % wird essen gehen zum Luxus“ steht auf dem Plakat, das Sascha Euler an die Säule vor seinem Restaurant gehängt hat. 400 dieser Plakate haben der Inhaber des Naiv in der Fahrgasse und die rund 100 anderen Wirte, die sich in der „Initiative Gastronomie Frankfurt“ (IGF) zusammengeschlossen haben, drucken lassen. „Wir wollen die Leute wachrütteln“, sagt Euler. Denn wenn die Mehrwertsteuer auf Speisen Ende des Jahres wirklich wieder von sieben auf 19 Prozent steigt, werde das, sagt Euler, „besonders kleinen Betrieben das Genick brechen“.

Der Bundestag hat die Steuer während der Corona-Pandemie gesenkt, um die Gastronomie zu entlasten. Seitdem ist die Regelung zweimal verlängert worden, Ende des Jahres läuft die Regelung aus. Zwar hegen sowohl Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) Sympathie für eine weitere Verlängerung. Allerdings würde das laut Steuerschätzungen rund 3,3 Milliarden Euro kosten - ob der Bundeshaushalt das verkraftet, wird der Bundestag in den kommenden Wochen entscheiden.

Gastronomen in Frankfurt bangen um ihre Zukunft

Kerstin Junghans, Geschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands Hessen (Dehoga), ärgert schon diese Grundeinstellung: „Das ist kein Corona-Thema, das fordern wir seit Jahrzehnten.“ Denn auf Speisen zum Mitnehmen, etwa aus Fastfood-Restaurants oder aus dem Supermarkt, gilt schon immer der ermäßigte Mehrwertsteuersatz. Weil hier die Speise besteuert wird, während bei Restaurants der Service Besteuerungsgrundlage ist.

„Das ist ungerecht und absurd“, sagt Junghans. Weil es Fastfood begünstige, das oft ungesünder sei als frisch gekochtes Restaurantessen und zudem mehr Müll produziere. Und weil es den Service, den Restaurants böten, etwa einen warmen, gemütlichen Platz, um sich zu treffen, die Atmosphäre oder die Tischkultur, bestrafe. Diese Ungerechtigkeit gebe es fast nur in Deutschland: In 23 der übrigen 26 EU-Länder sei ein reduzierter Mehrwertsteuersatz für Restaurantspeisen die Regel.

Ein häufiges Gegenargument, sagt Naiv-Chef Euler, sei, dass die Restaurants seit Pandemieende wieder voll seien und die Umsätze der Branche wieder auf Vor-Corona-Niveau lägen. Letzteres ist falsch, wie Daten des Statistischen Bundesamts zeigen: Der Umsatz im August dieses Jahres lag um knapp 15 Prozent niedriger als im August 2019. Ersteres sei zwar korrekt, sagt Euler. „Aber gleichzeitig sind die Preise explodiert.“ Bei ihm durch gestiegene Personal-, Energie- und Einkaufskosten um 30 Prozent. „Die ermäßigte Mehrwertsteuer wurde von den Kosten einfach aufgefressen. Wenn diese zwölf Prozent jetzt wieder dazukommen, werden das die meisten Gastronomen nicht einfach wegstecken können.“

Frankfurter Restaurants müssen die Preise anpassen

Sie müssten also entweder die Preise anpassen, was sich Restaurants in ländlichen Gegenden oder mit vielen Stammgästen kaum trauen dürften, oder die Qualität senken. „Beides wird dazu führen, dass weniger Menschen ins Restaurant gehen.“ Oder dass sie auf Schnellrestaurants ausweichen: „Die Leute werden sagen: Die Fast-Food-Ketten konnten ihre Preise doch auch halten, also gehen wir da hin.“ Mittelfristig würden durch die Erhöhung also nicht einmal die Steuereinnahmen steigen, während Restaurants in die Insolvenz getrieben würden.

Das werde vor allem ländliche Gemeinden treffen, sagt Junghans. Schließe in Frankfurt ein Restaurant, finde sich häufig ein Nachnutzer. Auf dem Land hingegen bedeute das oft das Ende der Gastwirtschaft: 2021 hatten laut statistischem Landesamt zehn Prozent der Hessischen Gemeinden weniger als einen Gastronomiebetrieb je 1000 Einwohner, vier Jahre zuvor waren es nur fünf Prozent. Der Dehoga schätzt, dass, wenn die Steuererhöhung kommt, weitere 12 000 Betriebe in Hessen schließen müssen.

„Es darf aber nicht sein, dass dann Menschen auf einen wichtigen Teil des gesellschaftlichen Lebens, auf das, was eine Stadt oder ein Dorf lebenswert macht, verzichten müssen“, sagt Lena Iyigün, Vorstandsvorsitzende des IGF und Inhaberin des Glauburg-Cafés, die die Plakate zusammen mit Euler entworfen hat. Deshalb kommt, wer den aufgedruckten QR-Code scannt, zu einer Online-Petition, die die Bundespolitik auffordert, auf die Mehrwertsteuererhöhung zu verzichten. Wer ohne QR-Code unterzeichnen will, hat unter is.gd/gastro_petition die Möglichkeit. (Sarah Bernhard)

Kommentar: Prioritäten falsch gesetzt

Es wird Zeit, dass die Bundespolitik einsieht, dass es nicht reicht, allein die Industrie zu unterstützen. Die Menschen brauchen auch gute Bildung, ein funktionierendes Gesundheitssystem - und Orte, an denen sie gemeinsam ihre Freizeit verbringen können. Dass für all das kein Geld da ist, zeugt von falschen Prioritäten. Dass für die Pizza im Pappkarton, dessen Entfernung aus dem Park später im Zweifel die Kommune bezahlt, weniger Steuern fällig werden als für die auf dem Teller, ebenso. Denn auch das Gastgewerbe schafft eine große Zahl an Arbeitsplätzen. Und versorgt uns in der Regel statt mit immer mehr Gütern, die wir nicht wirklich brauchen, mit gutem Essen, Gesellschaft, kurz: einer glücklichen Zeit.

Dass Deutschland zu nur vier von insgesamt 27 EU-Ländern gehört, die diese gesellschaftliche Funktion nicht wertschätzen, bestätigt unsere Genussfeindlichkeit. Wir können so weitermachen. Gesund oder nachhaltig ist das allerdings nicht: Zählt man die langfristigen Kosten hinzu, die dieser Lebensstil verursacht, sind die 3,3 Milliarden Euro, mit denen der Bundeshaushalt jährlich belastet würde, ein Tropfen auf den heißen Stein: Allein der Ausfall an Bruttowertschöpfung durch Burn-out lag 2021 in Deutschland laut einer Studie bei über 20 Milliarden Euro. Und was hätte das erst an Steuereinnahmen generiert! (Sarah Bernhard)

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