Bahnhofsviertel: Polizei will verhindern, dass sich die Lage weiter verschlechtert

Die Corona-Pandemie hat die Situation im Bahnhofsviertel in Frankfurt verschlimmert. Gastronomen und Gewerbetreibende sind verzweifelt.
- Im Frankfurter Bahnhofsviertel* gibt es zunehmende Klagen über Drogenhandel, Belästigung und aggressives Betteln.
- Die Polizei verspricht ein intensiveres Vorgehen.
- Gesundheitsdezernent verteidigt die Drogenpolitik der Stadt Frankfurt.
Update vom Dienstag, 30.06.2020, 16.03 Uhr: Auch die Polizei Frankfurt hat nun zur Diskussion um die Zustände im Bahnhofsviertel Stellung genommen. So sei es infolge der Corona-Pandemie verstärkt zu Beschwerden von Anwohnern, Pendlern und Gewerbetreibenden aus dem Viertel gekommen. Insbesondere Straßenprostitution, „aggressive Bettler“ und „größere Gruppen junger Männer“, die Frauen belästigten und mit Drogen handelten, seien ein Problem.
Polizei Frankfurt will Maßnahmen im Bahnhofsviertel intensivieren
„Aus diesem Grund hat die Frankfurter Polizei ihre Maßnahmen zur Gefahrenabwehr und Kriminalitätsbekämpfung in diesem Bereich intensiviert“, heißt es aus dem Polizeipräsidium in Frankfurt. „Wir werden es nicht zulassen, dass sich diese negative Entwicklung fortsetzt und so unsere Erfolge der letzten Jahre wieder zunichtegemacht werden“, erklärte Polizeipräsident Gerhard Berreswill.
Gesundheitsdezernent verteidigt Drogenpolitik in Frankfurt
Gesundheitsdezernent Stefan Majer (Grüne) verteidigte die Drogenpolitik der Stadt Frankfurt*. Gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sagte Majer: „Hier gibt es weniger Drogentote als in anderen deutschen Städten.“ Dafür machte Majer die liberale Drogenpolitik der Stadt verantwortlich. Seiner Ansicht nach brauche es keine „Sozialpolizei“, sondern Möglichkeiten für Drogenkranke, die Straße zu verlassen.
Gastronomen aus dem Frankfurter Bahnhofviertel bitten Stadt um Hilfe
Erstmeldung vom Donnerstag, 25.06.2020, 22.22 Uhr: Frankfurt - Wenn Harry Singh morgens zur Arbeit kommt, putzt er als erstes die Tische auf der Terrasse hin zur Kaiserstraße. Mit dem Gartenschlauch, damit er ihnen nicht zu nahe kommen muss. „Da liegen mittlerweile jeden Tag Spritzen“, sagt der Kellner der Bombay Lounge. Obdachlose würden die Terrasse nachts als Schlafplatz nutzen. „Früher gab es das auch, aber seit Corona ist es viel extremer geworden.“
Unerwünschte Gäste werden im Frankfurter Bahnhofsviertel zu Dauerthema
Nurettin Bayindir bestätigt das. „Unerwünschte Gäste zu verscheuchen ist fast ein Fulltime-Job geworden.“ Bayindir, Geschäftsführer von Doors Fine Food, hat sein Büro ebenfalls in der Kaiserstraße. „Es wirkt hier manchmal wie in einem Endzeitfilm. Man denkt, es herrschen Züge von Gesetzlosigkeit.“
Die Liste der Beispiele, die er aufzählt, ist lang. Drogenabhängige, die sich auf den Tischen seiner Restaurants einen Schuss setzen, nachmittags mitten auf der Straße urinieren oder neben den Blumenkübeln ihr Geschäft verrichten. „Rotationseuropäer“, wie er die organisierten Bettlerbanden nennt, ohne Masken, die sich weigern, von seinem Auto zurückzutreten, wenn er mit seinen zwei Kindern einsteigen will. „Das Bahnhofsviertel war zuletzt auf einem guten Weg“, sagt er. „Jetzt ist die Sicherheit nicht mehr gewährleistet.“
Gastronomen im Bahnhofsviertel in Frankfurt fordern Sicherheitspersonal
Deshalb haben sich Bayindir und 38 andere Gastronomen und Gewerbetreibende an die Stadt gewandt. „Wir wussten nicht, was wir noch tun sollten. Es ist ein Hilferuf“, sagt er. Sie fordern Sicherheitspersonal, das rund um die Uhr „den öffentlichen Raum rund um die Kaiserstraße“ überwacht - und dessen Kosten der Staat trägt. Denn Drogensüchtigen, Bettlern und Obdachlosen sei vermutlich gar nicht bewusst, dass sie die Geschäfte der Anlieger schädigen. Wenn der Staat also zulasse, dass sich diese Menschen in der Kaiserstraße aufhalten, müsse er auch dafür sorgen, dass sie sich an die Regeln halten. Von der Polizei fordern die Unterzeichner, dass sie „Ordnungswidrigkeiten im gebotenen Umfang verfolgt und die Sicherheit für die Bevölkerung wiederherstellt“.
Die Polizei will die fehlende Sicherheit nicht auf sich sitzen lassen. Seit 1. Januar dieses Jahres habe es im Bahnhofsviertel 19 465 Personenkontrollen gegeben, also durchschnittlich 53 am Tag. Dazu 4850 Platzverweise, 1372 freiheitsentziehende Maßnahmen, 2763 eingeleitete Strafverfahren, und knapp 30 Kilogramm Rauschgift seien beschlagnahmt worden. Das Problem sei, dass Suchtkranke den Aufforderungen der Polizei zwar Folge leisteten. „Aufgrund der besonderen Lebenssituation der Betroffenen muss die Polizei das aber immer wieder und häufiger ansprechen, als das bei anderen Gruppen der Fall ist.“
Sicherheitsdezernent: Polizeiarbeit im Frankfurter Bahnhofsviertel ist extrem schwierig geworden
Dazu komme ein weiteres Problem, sagt Sicherheitsdezernent Markus Frank (CDU): Seit kurz nach Beginn der Corona-Krise sei die Polizeiarbeit „extrem schwierig“ geworden. „Die Leute nehmen Ansagen nicht mehr einfach hin, man spürt eine Eruption von Werten, die bisher normal waren.“ Im Bahnhofsviertel potenziere sich das, erläutert Ortsvorsteher Oliver Strank (SPD): Da Passanten wegblieben, hatten Obdachlose und Bettler keine Einnahmen, das Aggressionspotenzial stieg. Um in den Hilfseinrichtungen die Corona-Regeln einhalten zu können, muss sich die Hälfte der Drogensüchtigen draußen aufhalten. Die soziale Kontrolle hingegen sei völlig weggefallen. „Das System, nach dem das Bahnhofsviertel bisher funktioniert hat, ist kollabiert*.“
Maßnahmen für das Frankfurter Bahnhofsviertel geplant
Das soll sich nun so schnell wie möglich ändern. „Wir haben den Hilferuf gehört, und wir werden helfen“, sagt Sicherheitsdezernent Frank. Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) bestätigt: „Viel Zeit darf sich die Stadt meines Erachtens nicht lassen.“
Schon am Montag treffen sich deshalb Polizeipräsident Gerhard Bereswill, Ordnungsamtschefin Karin Müller und Ordnungsdezernent Frank mit den Gastronomen zu einem ersten Gespräch. Anschließend sollen passende Maßnahmen erarbeitet und umgesetzt werden. „Dann wird es mit dem Viertel wieder aufwärts gehen“, sagt Frank. „Da bin ich mir sicher.“
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