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Gefährliche Keime in der Umwelt

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Professor Thomas Schwartz im Gespräch mit Redakteur Daniel Gräber.
Professor Thomas Schwartz im Gespräch mit Redakteur Daniel Gräber. © ARTIS - Uli Deck (ARTIS - Uli Deck)

Nach einem Keimausbruch an der Uniklinik fanden Experten gefährliche Krankheitserreger in Frankfurter Bächen und Flüssen. Sie stammen vermutlich aus Kläranlagen. Eine Gefahr, die zu lange ignoriert wurde, warnt der Mikrobiologe Thomas Schwartz im Gespräch mit Redakteur Daniel Gräber.

Herr Professor Schwartz, in Frankfurt hat ein Patient, der zuvor in den Eschbach gestürzt war, einen multiresistenten Erreger in die Uniklinik eingeschleppt. Danach fand man ähnliche Keime nicht nur im Eschbach, sondern in fünf weiteren Gewässern. Müssen wir uns Sorgen machen?

THOMAS SCHWARTZ: Wir sollten das Thema auf jeden Fall ernster nehmen. Bisher hat man sich beim Kampf gegen antibiotikaresistente Keime auf Kliniken konzentriert und dort auf bessere Hygienemaßnahmen gesetzt. Aber der Fall in Frankfurt zeigt, dass diese Resistenzen inzwischen auch in der Umwelt auftreten. Wir beobachten das immer häufiger.

Also ist Frankfurt kein Einzelfall?

SCHWARTZ: Nein, das ist kein Phänomen, das auf Frankfurt begrenzt bleibt.

Was macht diese Keime so gefährlich?

Sie tragen Gene in sich, die sie widerstandsfähig gegen klinisch relevante Antibiotika machen. Infektionen sind dadurch schwer therapierbar. Vor allem wenn so ein Bakterium Resistenz-Gene für verschiedene Antibiotika besitzt. Dann spricht man von Multiresistenz. Das Problem ist: Wir schaffen es nicht mehr, ausreichend neue Antibiotika zu entwickeln, die als Alternativprogramm genutzt werden könnten. Die Anzahl neu auf den Markt gebrachter Antibiotika nimmt von Jahr zu Jahr ab, aber die Resistenzen nehmen von Jahr zu Jahr zu. Das ist das Dilemma. Irgendwann sind wir wieder da, wo wir im 19. Jahrhundert waren, als noch keine Antibiotika verfügbar waren und die Sterblichkeit im Infektionsfall entsprechend hoch war.

Wie verbreiten sich diese Antibiotika-Resistenzen?

SCHWARTZ: Bakterien haben viel kürzere Generationszeiten verglichen mit höher entwickelten Organismen und zeigen damit ein deutlich erhöhtes Evolutionsgeschehen. Das heißt, sie können sich sehr rasch und effektiv an sich verändernde Umweltbedingungen anpassen. In diesem Zusammenhang registrieren Mikroorganismen natürlich auch, dass in unserer Umwelt, in den Kanal- und Abwassersystemen, verstärkt Antibiotika auftreten. Die Reaktion darauf ist eine klassische Selektion. Es setzen sich diejenigen Bakterien durch, denen es gelingt, unter den vorherrschenden Wirkstoffkonzentrationen zu überleben und sich verstärkt zu vermehren.

Das klingt wie ein Lehrstück zu Darwins Evolutionstheorie, „Survival of the fittest“.

SCHWARTZ: Ja, das ist es. Bakterien waren die ersten Organismen, die unsere Erde bevölkert haben, und zwar unter extremsten Bedingungen. Sie haben im Laufe der Evolution gelernt, rasch neue Überlebensstrategien zu entwickeln.

Welche Rolle spielen dabei Kläranlagen?

SCHWARTZ: Eine entscheidende. In Kläranlagen finden wir relativ hohe Konzentrationen an Antibiotika, an Desinfektionsmitteln und anderen Chemikalien, die einzeln oder auch in Kombination einen selektiven Druck auf Bakterien ausüben. Gerade die Belebungsbecken mit den dort vorherrschenden hohen Bakteriendichten und –diversitäten bieten diesen Mikroorganismen gute Bedingungen zur Vermehrung bzw. Persistenz. Über den Fäkalieneintrag kommen ständig neue Bakterien hinzu und Resistenz-Gene können dann von einer Spezies zur anderen weitergegeben werden.

Heißt das, es entstehen dort ständig neue antibiotikaresistente Keime?

SCHWARTZ: Bakterien haben gelernt, fremde Erbinformationen in ihr Genom zu integrieren und wenn es notwendig wird, zu nutzen. Sie betreiben genetischen Kapitalismus. Sie nehmen alles, was sie nehmen können. Und wenn eine Stresssituation entsteht, in der bestimmte Gene gebraucht werden, etwa um Antibiotika abzubauen, dann können sie dieses Programm abrufen. Das macht sie so erfolgreich. Es ist schwierig, das Ausmaß eines Gentransfers in den Kläranlagen und speziell in Belebungsbecken genau anzugeben, da diese Prozesse sich spontan vollziehen und von verschiedenen Faktoren abhängig sind. Dass dieser Gentransfer stattfindet, ist jedoch gewiss.

Wie gelangen diese Keime dann aus den Kläranlagen in die Umwelt?

SCHWARTZ: Über das aufbereitete Abwasser, das in Bäche und Flüsse geleitet wird.

Sie werden nicht herausgefiltert?

SCHWARTZ: Nur zum Teil. Mit den derzeit in Deutschland üblichen dreistufigen Aufbereitungsverfahren gelingt es nur, ein Bruchteil der unerwünschten Bakterien zurückzuhalten.

Was müsste geschehen?

SCHWARTZ: In unserem Forschungsprojekt HyReKA, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt wird, testen wir gerade verschiedene zusätzliche Verfahren, um unerwünschte Mikroorganismen und Antibiotikaresistenz-Gene zu eliminieren. Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen, aber wir sehen schon jetzt, dass Kombinationsverfahren wie zum Beispiel UV- und Ozon-Behandlung eine deutliche Reduktion bewirken. Auch Membranverfahren wie Ultrafiltration sind sehr effektiv.

Ist das die sogenannte vierte Aufbereitungsstufe, über die bei der Aufrüstung von Kläranlagen immer geredet wird?

SCHWARTZ: Bei der vierten Stufe geht es bislang meistens um die Entfernung chemischer Schadstoffe, um Arzneimittelrückstände etwa. Aber man könnte diese vierten Reinigungsstufen so einrichten, dass sie auch gegen resistente Bakterien wirken. Dieses Problem wurde viel zu lange ignoriert. Dabei müssten wir gerade da genauer hinsehen, denn anders als bei chemischen Schadstoffen haben wir es bei Bakterien mit lebendem Material zu tun, das sich weiterentwickelt und vermehrt.

Kläranlagen aufzurüsten kostet Geld. Sind Kommunen damit nicht überfordert?

SCHWARTZ: Sicher muss man das auf höherer politischer Ebene diskutieren, mindestens auf Landesebene. Nur bin ich Wissenschaftler, kein Politiker.

Aber Sie bekommen doch mit, wie es in den verschiedenen Bundesländern läuft. Wie weit ist Hessen im Vergleich zu anderen?

SCHWARTZ: Es gibt Länder wie Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, die beim Ausbau der Kläranlagen engagierter sind als Hessen.

Wenn wir das Problem ernsthaft angehen, werden dann die Abwassergebühren steigen?

SCHWARTZ: Kläranlagenbetreiber, die das durchgerechnet haben, sagen, dass sich diese sinnvollen Investitionen an Kläranlagen in einem vertretbaren Rahmen halten. Denn wenn die Kosten auf alle umgelegt werden, ginge es lediglich um ein paar Euro für jeden. Und letztlich dienen diese wichtigen Investitionen der Gesundheitsvorsorge und dem Schutz der Bevölkerung. Unsere Altersstruktur verändert sich: Gerade ältere Menschen zeigen ein geschwächtes Immunsystem und haben dadurch ein höheres Infektionsrisiko. Die Politik darf diese Gefahr nicht ignorieren.

Sie sagten vorhin: Bakterien waren die ersten Organismen, die unsere Erde bevölkert haben. Wenn wir nicht aufpassen, werden es dann auch die letzten sein?

SCHWARTZ: Ja. Wir Menschen bezeichnen uns gerne als Krone der Schöpfung. Aber als Mikrobiologe sehe ich das anders. Es gibt Organismen, die wesentlich erfolgreicher sind als wir.

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