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Von: Friedrich Reinhardt

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Wird die neue Stadtschreiberin: Marion Poschmann. Hier bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises 2017 im Römer.
Wird die neue Stadtschreiberin: Marion Poschmann. Hier bei der Verleihung des Deutschen Buchpreises 2017 im Römer. © dpa

Die Jury in Bergen-Enkheim hat sich für Marion Poschmann entschieden.

Die Enthüllung der neuen Stadtschreiberin beginnt im Bett des Privatdozenten Gilbert Silvester. "Er hatte geträumt, dass seine Frau ihn betrog", liest Buchhändlerin und Jury Mitglied Anna Doepfner bei der Ammes-Schneider-Lesung vor. "Gilbert Silvester erwachte und war außer sich. Das schwarze Haar Mathildas breitete sich neben ihm auf dem Kissen aus. Tentakeln einer bösartigen in Pech getauchten Meduse." Es sind Sätze aus "Die Kieferninsel", dem Roman von Marion Poschmann. Der Text, mit dem es die Roman-Autorin und Lyrikerin 2017 auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises schaffte, also in die engere Auswahl. "Mit der Intensität eines Haikus (japanische Gedichtform, Red.) setzt Marion Poschmann ein unvergessliches Figurenpaar in die literarische Landschaft", heißt es damals in der Jurybegründung.

Für die Jury des Bergen-Enkheimer Stadtschreiberpreis hebt Ortsvorsteherin - und damit qua Amt Jury-Vorsitzende - Alexandra Weizel heraus: "In ihren Romanen bestechen poetische Worterkundungen und das Schaffen neuer imaginärer Räume und sie spielt auffallend gern melancholisch, skurril und lustbetont mit romantischen Motiven."

Literarisches Manifest zur Klimaveränderung

Poschmann ist 1969 in Essen geboren. Vier Romane sind bisher von ihr erschienen. "Die Sonnenposition" beispielsweise oder "Schwarzweißroman". Auch veröffentlichte sie fünf Gedichtbände, zuletzt "Nimbus", und 2021 erschien ihr Essay "Laubwerk". Darüber sagt die Stadtschreiberjury, Sie habe damit "ein literarisches Manifest zur Klimaveränderung geschrieben voller Verve und voller Nachdenklichkeit".

Am 2. September soll Poschmann als 49. Stadtschreiberin auf Dorothee Elmiger folgen und in das Stadtschreiberhaus, An der Oberpforte 4, einziehen.

Der Stadtschreiberpreis wird seit 1974 verliehen. Für ein Jahr kann ein Schriftsteller mietfrei wohnen, hinzukommt ein Preisgeld von 20 000 Euro. Initiiert hatte den Preis der Bergen-Enkheimer Schriftsteller Franz Joseph Schneider, der Mitglied der bekannten "Gruppe 47" war. Nach seiner Frau Annemarie (Ammes) Schneider ist die Lesung benannt, bei der jedes Jahr der oder die neue Stadtschreiberin bekannt gegeben wird.

Ohne dass es zu laut gesagt wird, verbindet man im Stadtteil mit dem Preis die Erwartung, dass der Stadtschreiber in irgendeiner Weise kulturell in den Stadtteil hineinwirkt. Etwa mit Lesungen. Die 47. Stadtschreiberin Anne Weber hielt Sprechstunden ab, bei denen sie Geschichten der Bergen-Enkheimer sammelte - was wohlwollend im Stadtteil aufgenommen wurde.

Schriftstellerin lebt in Berlin

In welcher Form Marion Poschmann im Stadtteil aktiv wird, wird sich zeigen. Die 52 Jahre alte Schriftstellerin lebt heute in Berlin und veröffentlicht derzeit beim Suhrkamp-Verlag. Laut ihrer Vita studierte sie Germanistik und Slawistik.

Nicht nur die zukünftige Stadtschreiberin wurde bei der Ammes-Schneider-Lesung bekannt gegeben. Die Jurymitglieder Charlotte Brombach, Weizel und die Stadtschreiberin Elmiger lasen Texte von Thomas Rosenlöcher und Friedrich Christian Delius, um ihre Texte in Erinnerung zu halten. Rosenlöcher war 2010 Stadtschreiber in Bergen-Enkheim und ist in diesem Jahr am 13. April gestorben. Auch der 35. Stadtschreiber Delius hat die Welt am 30. Mai verlassen. Mit seiner Antrittsrede von 2008 erinnerte Brombach an das Goethe Wort: "Und wer der Dichtkunst Stimme nicht vernimmt, ist ein Barbar, er sei auch wer er sei."

Friedrich Reinhardt

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