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Ghettobildung vermeiden

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Von: Thomas J. Schmidt

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Flüchtlinge in einer Erstaufnahmeeinrichtung
Flüchtlinge in einer Erstaufnahmeeinrichtung © Arne Dedert (dpa)

Landflucht der Flüchtlinge – alle wollen sie in der Stadt leben. Mit einer „Wohnsitzauflage“ will die Regierung verhindern, dass in Städten wie Frankfurt üble Ghettos entstehen.

Die Berliner Landesregierung warnte vor einer Überforderung der Großstädte durch Flüchtlinge, die nach ihrer Anerkennung als Asylbewerber in die Ballungsräume ziehen. Auch in Frankfurt sieht man diese Gefahr: „Es ist bundesweit so, die Flüchtlinge wollen in die Großstädte“, sagte Manuela Skotnik, Sprecherin von Sozialdezernentin Prof. Daniela Birkenfeld (CDU). Skotnik gibt jedoch auch Entwarnung: „Anerkannte Flüchtlinge, die in Frankfurt leben wollen, müssen sich wie jeder andere selbst um ihre Wohnung kümmern.“ Es ist nicht die Aufgabe der Stadt, sie unterzubringen wie jene, die noch im Asylverfahren sind und die der Stadt zugewiesen wurden. Derzeit sind dies 2200, die in Turnhallen und Containern, Hotels und Pensionen untergebracht sind. Wahrscheinlich ist, dass anerkannte Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan zu Verwandten ziehen, die schon länger in Frankfurt wohnen. „Die Stadt hat das nicht in der Hand“, so Skotnik.

Stadt bleibt in der Pflicht

Karl-Christian Schelzke, geschäftsführender Direktor beim Hessischen Städte- und Gemeindebund, sieht die Großstädte wie Frankfurt trotzdem in der Zuständigkeit: „Sobald jemand obdachlos ist, sind die Städte wieder in der Pflicht.“

Auf Bundesebene will Innenminister De Maizière im Mai einen Gesetzentwurf im Kabinett vorstellen, demzufolge es eine „Wohnsitzauflage“ für anerkannte Flüchtlinge geben soll. So lange diese auf Sozialleistungen angewiesen sind, sollen sie für drei Jahre einer Art „Residenzpflicht light“ unterworfen werden. Sehr wahrscheinlich kommt dieses Gesetz, begrüßt auch in Frankfurts Sozialdezernat. Ohne eine Wohnsitzauflage, wie sie De Maizière empfiehlt, wären bis 2020 jährlich rund 75 000 Neubauwohnungen zusätzlich nötig; in Frankfurt, Stuttgart oder München würde sich der Bedarf an Neubauten mehr als verdoppeln. Wenn der Staat dagegen die Freizügigkeit einschränke, müssten deutschlandweit jährlich nur 34 000 neuer Wohnungen gebaut werden, ermittelte die Beratungsfirma Empirica im Auftrag des Zentralen Immobilien Ausschusses, wie in der aktuellen Ausgabe des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ nachzulesen ist.

Zugegeben, es ist ein Problem, das erst in Zukunft drängend wird, und momentan hat die Stadt mit zugewiesenen Flüchtlingen mehr als genug zu tun. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sind von Anfang Januar 2015 bis Ende Februar 2016, in 14 Monaten also, knapp 600 000 Asylanträge gestellt worden, davon 33 000 in Hessen. Positiv entschieden wurden in diesen 14 Monaten etwa 200 000 Anträge, in Hessen waren es 13 500.

Karl-Christian Schelzke vom Hessischen Städte- und Gemeindebund, sieht eine düstere Zukunft: „Wenn die Flüchtlinge ungehindert in die Ballungsräume kommen, drohen uns in zehn bis 15 Jahren Parallelgesellschaften, die nicht mehr zu beherrschen sind.“

Dennoch, die Wohnsitzauflage lehnt Schelzke ab. „Ich war lange genug Staatsanwalt, um zu wissen, dass man nicht alles mit Gesetzen regeln kann.“ Vor allem dann nicht, wenn es keine Kontrollen für das Gesetz gibt.

Vertrag besser als Gesetz

Stattdessen müsste Hessen „richtig viel“ Geld in die Hand nehmen, um den ländlichen Raum aufzuwerten – dazu zähle eine drastische Verbesserung des Nahverkehrs. Alternativ zu De Maizières Wohnsitzauflage planen der hessische Städtebund und die Landesregierung zurzeit „Integrationsverträge“. Flüchtlingsfamilien sollten sich verpflichten, für fünf Jahre in einer Kommune zu wohnen. Im Gegenzug erhalten sie ein verbessertes Angebot. Ziel sei, beiden Seiten – den Familien und den Kommunen – zu helfen. In 20 Kommunen soll das Angebot gemacht werden. „Wir planen es mit der Landesregierung zu planen und suchen jetzt Gemeinden. Nicht alle eignen sich dafür“, so Schelzke. Seitens der Bürgermeister bestehe jedoch großes Interesse. Viele Kommunen verlören wegen des demographischen Wandels Bürger, drohten, in einigen Jahrzehnten gar nicht mehr zu existieren. Eine junge Bevölkerung, Familien, sind da die Rettung – vorausgesetzt, es gibt Arbeitsplätze auf dem Land. „Aber es gibt Regionen, da suchen die Handwerker händeringend Lehrlinge“, so Schelzke, bis hin zu tüchtigen Gesellen, Meistern und Unternehmensnachfolgern.

Schelzke räumt ein, dass der hessische Weg, der jetzt getestet werden soll, für alleine reisende Männer – die Mehrzahl der Flüchtlinge – nicht geeignet ist. Sie wird man nicht auf dem Lande halten können. Finanziell sei zu bedenken, dass im Ballungsraum Sozialausgaben und Ausgaben für erhöhte Sicherheitsmaßnahmen gespart werden können, andererseits auf dem Land viele Unternehmen Mitarbeiter suchen. „Wir predigen das schon seit einem halben Jahr: Was die anerkannten Flüchtlinge angeht, brauchen wir einen Masterplan!“ so Schelzke.

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