Glück, Liebe, Lust, Verlieren

Von der Flüchtigkeit des Erfolgs und anderen fragilen Strukturen: Städelschüler stellen an drei Orten aus
Frankfurt -Die Leichtigkeit des Aluminiums, von Zishi Han einer Kralle ähnlich geformt, steht den schwer wirkenden Ketten gegenüber, mit denen das Kunstwerk am Eingang zur Städelschule befestigt ist, um es in der Schwebe zu halten. Das silberfarbene Material ist an seinen Seiten zahnartig aufgebrochen, wie eine Schlange windet sich ein schwarzes Kabel darum. Folgt man ihm, so führt der Blick ins Innere der Skulptur, in die Zishi Han Lautsprecher eingebaut hat. Schon leichte, durch Bewegungen verursachte Vibrationen werden hierdurch hörbar.
Han aus China gehört zu den derzeit 147 Studenten aus rund 40 Ländern, die an der Städelschule Kunst studieren. An diesem Wochenende öffnet die international renommierte Hochschule für Bildende Künste für Besucher ihre Türen und lädt zum Rundgang in ihre Räume in die Dürerstraße 10 in Sachsenhausen, in die Daimlerstraße 32 im Ostend und im Portikus auf der Alten Brücke ein.
Für Yasmil Raymond, seit April 2020 Rektorin der Städelschule, ist es der zweite Rundgang, den sie in ihrer Funktion begleitet. Sie hebt beim Pressegespräch die unterschiedlichen Herangehensweisen der Studenten hervor, die sich damit beschäftigten, was Kunst in der Gesellschaft ausmache und bedeute und wie Kunst gedacht werden könne?
Die Ateliers der Studenten und die Flure sind leergeräumt und zu Ausstellungsflächen umfunktioniert. Im Atrium des Gebäudes hat Studentin Nina Nadig eine Installation erschaffen, die, richtet man den Blick von unten in die Höhe, wie ein großes konstruktives Gemälde wirkt. Angelehnt an das Brett eines Backgammon-Spiels, ziehen sich abwechselnd langgezogene rote und gelbe dreieckige Formen über die Freifläche der Zwischenetage, die eine fast quadratische Form hat. Jedes Dreieck ist befestigt am Geländer der Balustrade, die sich eine Etage höher befindet.
„Luck, Love, Lust, Lose“ (Glück, Liebe, Lust, Verlieren) hat sie das Kunstwerk genannt, das formal Bezug zur Architektur des Ortes nimmt und ihr doch konträr gegenübersteht. So könnten die kreisförmigen Aussparungen an der Decke des Atriums etwa wie die Spielsteine beim Backgammon verstanden werden, erklärt Nina Nadig als Beispiel. Inhaltlich geht sie dabei auch der Frage nach, inwieweit Spiele wie Backgammon sowohl etwas Konstruktives als auch etwas Destruktives mit sich bringen. Wenn man ein Spiel gewinne, gewinne man nicht zwangsläufig auch das nächste. Diese Fragilität spiegelt sich auch in der Installation wider, denn zwischen den langgezogenen, dreieckigen Formen befindet sich nichts - es sind leere Flächen, durch die das Licht von oben ins Erdgeschoss dringt.
Arnaud Ferron setzt sich mit seinem ebenfalls installativen Aufbau mit einer Form auseinander, die an Särge erinnert. Vier Objekte, aus mdf-Platten angefertigt und in Zweiergruppen nebeneinander aufgestellt, stehen wie aufgebahrt in einem der Räume und sind in unterschiedlichen Grautönen lackiert. Ihre jeweils obere Seite ist spitz ausgeformt wie ein Pfeil und zur Wand hin ausgerichtet. Die Namen jedes einzelnen Objektes erinnern an die Titel von Gedichten oder auch Gemälden aus der Zeit der Romantik wie „Stille des Vulkans“ oder „Stärke der Berge“. Die Titel sind Namen der für die Objekte verwendeten Farben, vergeben von der herstellenden Firma.
Durch ihre Schlichtheit und durch die durch die Form hervorgerufenen Assoziationen andererseits verbinden die vier Werke eine traditionelle Auffassung mit der Moderne. In der Präsentation der Kunstwerke auf dem Rundgang wird deutlich, dass die Städelschulstudenten dieses Mal ihren Fokus verstärkt auf bereits etablierte künstlerische Medien legen wie Malerei, Installation, Fotografie, Skulptur oder Film.
Am Ende begegnet einem wieder das skulpturale Objekt von Zishi Han, dieses Mal beim Verlassen des Hauses. In seiner Ästhetik knüpft es an die Tradition von chinesischer Kunst und Architektur an, aber zeitgenössisch von dem Städelschulstudenten interpretiert. Kunst kann Brücken schlagen, nicht nur von der Vergangenheit zur Gegenwart, sondern auch zwischen den Kulturen. Alexandra Flieth
Ausstellung der Staedelschule
Die Präsentationen in der Städelschule in der Dürerstraße 10, in der Daimlerstraße 32 sowie im Portikus (Alte Brücke) können heute und morgen von 10 bis 20 Uhr besichtigt werden. Der Eintritt ist frei. Infos unter https://staedelschule.de/de.