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Gottes Wort zwischen Autoscooter und Zuckerwatte

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Von: Michael Forst

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Mit launigen Worten predigte Schausteller-Pfarrerin Christine Beutler-Lotz (l.) vor den Kindern in den Autoscootern. FOTO: maik reuss
Mit launigen Worten predigte Schausteller-Pfarrerin Christine Beutler-Lotz (l.) vor den Kindern in den Autoscootern. © Maik Reuß

Mitreißende Gospel-Musik und eine Taufe standen im Zentrum des Kerbegottesdienstes

Aus einer Rummelplatz-Romanze wurde der Bund fürs Leben: Als Karl-Heinz Willand, Mitarbeiter beim Autoscooter-Fahrgeschäft vor elf Jahren auf der Nieder Kerb die junge Cynthia mit ihrer Freundin in einem der Wagen sah, funkte es sofort zwischen den beiden. Gestern nun, elf Jahre später, schloss sich an derselben Stelle für das Ehepaar Willand der Kreis: Beim traditionellen Kerb-Gottesdienst taufte Christine Beutler-Lotz, Schausteller-Pfarrerin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, ihren neunjährigen Sohn Pascal. „Wir sind sehr stolz“, bekräftigte der Vater. „Für uns ist das heute ein ganz besonderer Tag.“

Das war er auch für die vielen Kinder, die in den 21 im Halbkreis aufgestellten Scootern rund um die improvisierte Kanzel saßen und mit den erwachsenen Gästen bei den Nummern des „Sound of Gospel“-Chors, dem Kirchenlied-Klassiker „Danke“ und dem christlich umgemodelten Marianne-Rosenberger-Hit „Er gehört zu mir“ (Gott nämlich) begeistert mitklatschten.

Ebenso förderlich für ihre Stimmung dürfte die Belohnung gewesen sein, die hinterher auf sie wartete; jedes Kind erhielt einen Chip für eine Freifahrt im Autoscooter oder dem Kinderkarussell geschenkt.

Täufling hält den Ball flach

Im Gottesdienst, bei dem die Griesheimer Pfarrerin Daniela von Schoeler, ihr Nieder Kollege Joachim Preiser sowie die Kirchenvorsteherin Martina Schams die Schausteller-Pfarrerin unterstützten, dreht sich aber alles erstmal um die Bibel und was sie an stärkenden Worten bereit hält für den frisch getauften Pascal. „Ich habe gehört, dass Du toll in Mathe bist“, spricht ihn Beutler-Lotz direkt an. Dann fährt sie fort: „Außerdem teilst Du immer gerne dein Spielzeug mit den anderen Kindern, oder?“ Der derart Gelobte hält sich lieber an die Wahrheit und den Ball flach: „Naja, geht so“, antworte er - und sorgte damit für viel Gelächter im Rund.

Erst Pandemie - dann steigende Preise

Die Pfarrerin kann das aber nicht von ihrer eigentlichen Botschaft abbringen: „Gott sieht unsere Stärken genau“, betont sie. „Er weiß, dass wir Großes leisten können - und mutet uns, wie die Beispiele Noah und Jona aus der Bibel zeigen, nie mehr zu, als wir tragen können.“

Dabei mussten die Schausteller der Nieder Kerb in den vergangenen Jahren eine Menge tragen, wie Nicole Adler vom gleichnamigen familiengeführten Imbiss, bei dem auch die Willands angestellt sind, nach dem Gottesdienst erzählt: „Erst ging lange Zeit wegen der Pandemie kaum etwas für uns - und jetzt, in Zeiten der Preiseerhöhungen, sitzt bei vielen Besuchern der Geldbeutel überhaupt nicht mehr locker.“ Dabei seien schon während der Corona-Zeit alle finanziellen Polster aufgebraucht worden.

Umso erfreulicher, dass sie am letzten Tag der Nieder Kerb dennoch eine positive Bilanz ziehen kann: „Vor allem, weil wir ein Riesenglück mit dem Wetter hatten“, berichtet sie. „Trocken und warm - aber nicht so warm, dass die Leute lieber ins Freibad gegangen sind.“

Der Gottesdienst auf dem Autoscooter bei der Nieder Kerb ist schon Tradition. Jahr für Jahr findet die Kerb gegenüber vom Nieder Gemeindehaus statt. Einst hatten die Schausteller bei einer Einladung in die Gemeinde einen solchen Gottesdienst angeregt, schließlich leitet sich das Wort Kerb von „Kirchweih“ ab und ist ein Fest zum Jahrestag der Einweihung einer Kirche. „Auch wenn wir nicht alle regelmäßige Kirchgänger sind: Die Kerb-Gottesdienste sind für uns Schausteller sehr wichtig“, erzählt Adler. Der Halt im Glauben, aber auch die Treue zu bestimmten Orten wie Nied seien wichtig in einem Leben, das ansonsten von der Unruhe des ständigen Reisens geprägt ist. „Uns gibt es schon in der sechsten Generation“, berichtet ihr Vater Hans-Gerd, der den Familien-Imbiss mit seiner Frau Ruth leitet. Von Anfang an, das war noch im späten 19. Jahrhundert, sei der Nieder Kerbeplatz regelmäßig angesteuert worden. Er selber sei schon seit 60 Jahren in Nied dabei. „Es tut gut, hier immer wieder mit denselben freundlichen Menschen zu tun zu haben“, sagt er. Während andere Schausteller deutschlandweit unterwegs seien, bezeichnet er sich und seine Familien als „Kirchturm-Reisende“: „Wir sind immer nur in und rund um Frankfurt unterwegs.“

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