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„Hätte ich damals so ein Buch gehabt ...“

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Michael Bohl mit seinem Buch Nichtmillionenstadt.
Michael Bohl mit seinem Buch Nichtmillionenstadt. © Schramek, Sabine

Manchmal muss es ein Schicksalsschlag sein, damit man einen Schritt ernsthaft wagt. Für Michael Bohl, der 25 Jahre lang bei der Aids-Hilfe gearbeitet hat und seit sieben Jahren bei der ambulanten Erziehungshilfe ist, war der Tod seiner Mutter der Impuls, den empathischen Jugendroman „Nichtmillionenstadt“ zu schreiben.

Der Mann, der bequem auf dem breiten weißen Sofa in einem Wohnzimmer voller Bilder sitzt, kennt und mag Menschen. Bilder mit Hundertwasser-Motiven und bunte Aquarelle mit Horizonten lassen den Raum strahlen. Michael Bohl (59) wirkt ausgeglichen und zufrieden. Wie jemand, der weiß, dass er das Richtige tut. Wie jemand, der viel gesehen und erlebt hat und trotzdem keinerlei Groll hegt. „Ich habe schon immer gerne geschrieben und wollte schon immer ein Buch schreiben“, sagt er und lacht. Es gab mehrere Anfänge. „Immer, wenn ich ein paar hundert Seiten fertig hatte, hatte ich das Gefühl, dass es nicht funktioniert und habe es wieder gelassen“, erzählt er selbstironisch.

Vor zwölf Jahren ist seine Mutter gestorben. Es setzte ein starker Trauerprozess bei Bohl ein, und er begann „zum ersten Mal in meinem Leben, Jugendromane zu lesen. Ein tolles Genre mit hoher Qualität.“ Seine Arbeit in der Aids-Hilfe hat er wenig Zeit gelassen, um zu schreiben. Aber Bohl bekam das Angebot von Freunden in der Pfalz, ihr Haus zum Schreiben zu nutzen, wenn sie weg sind. „Das schönste Haus, das ich kenne. Und da hatte ich plötzlich das Interesse, etwas aus Jugendperspektive zu schreiben.“

Immer wieder verbrachte er ein paar Wochen dort. Acht Jahre lang. Hier entstand die Figur Marius, ein 15- bis 16-jähriger Junge mit intensiver Beziehung zu seiner Mutter. Die hatte auch Bohl. Der Name Marius ist eine Mischung aus dem römischen Kriegsgott Mars, Meer und männlich. „Ich wusste sofort, das ist es“, so der Mann, der einen Hoodie mit ebenso grünen Streifen wie seine Augen trägt. Erzählt hat er niemandem, dass er ein Buch schreibt. Um sich nicht unter Druck zu fühlen. „Als ich erzählt habe, dass ich ein Buch geschrieben habe, wurde ganz schön überrascht geguckt“, erzählt Bohl mit ruhiger Stimme. Er wechselte auch von der Stelle als Leiter der Aids-Hilfe zum Entwicklungswerk als Sozialarbeiter für ambulante Familientherapie mit Kindern und Jugendlichen. „Raus aus der Komfortzone. Karrieretechnisch ein Schritt rückwärts, aber ich wollte unbedingt mit Kindern und Jugendlichen arbeiten.“

Vielleicht ist Bohl ein bisschen in seine eigene Jugend zurückgekehrt. Bei der Arbeit und im Buch. Zu seiner Mutter, die immer ein offenes Ohr hatte und in die Zeit, als schwul sein besser als 30 Jahre davor, aber „nicht lustig war“. Es sei schön, dass sich die Zeit so entwickelt habe. Er selbst war als Jugendlicher „maximal verschreckt und verängstigt“.

Locker, spannend, leicht und witzig

Heute könnten Jugendliche offen mit dem Thema im Elternhaus umgehen. Den leichteren Zustand habe Bohl mit Marius nachgeholt. „Hätte ich damals so ein Buch gehabt, wäre vieles sicherlich leichter gewesen“, sagt er sanft. „Marius habe ich das gegönnt.“

Der Junge im Buch liebt das Leben in der Nichtmillionenstadt Frankfurt. Und er denkt nach. Über Leben, Tod und Unsterblichkeit. Schlau und wissend findet er sich, bis ihn eine bittere Realität einholt. Und Tod nicht mehr theoretisch ist, sondern von jetzt auf gleich wahrhaftig. Seine „Mom“ steht mit Rat und Tat zur Seite. Gefühle zu einem Mitschüler verwirren ihn. Bohl schreibt locker, spannend, leicht und witzig. Er lässt Eintauchen in die Welt, die Gedanken und Gefühle von Marius.

Bohl selbst ist so offen, wie er schreibt. Er wertet nicht, er erzählt einfach. Es scheint, als sei er der lebendige Inbegriff von Toleranz. Er kennt Leben und Tod. Er ist gleichzeitig straight und verletzlich. Bohl blickt auf einen großen Blumentopf mit einem geflochtenen Stamm - ohne Äste. Ein rotes Herz mit den Worten „Ich liebe Dich“ steckt in der Erde. „Mein Mann hat ihn wieder zurückgeschnitten. Radikal. Ich könnte das nicht, aber ich weiß ja, dass der Baum wieder ganz toll austreibt. Trotzdem tut das ein bisschen weh.“

Lesung

Am Donnerstag, 16. März, liest Michael Bohl um 20 Uhr aus seinem Buch „Nichtmillionenstadt“ im Switchboard in der Alte Gasse 36. Der Jugendroman ist im Societätsverlag erschienen.

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