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Hausärzte in Frankfurt stöhnen über Booster-Chaos: „Ansturm ist kaum noch zu bewältigen“

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Von: Michelle Spillner

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Die Auffrischungsimpfungen gegen Covid-19 fordern die Arztpraxen in Frankfurt. Erschwert werden sie noch durch eine logistische Änderung.

Frankfurt - „Die vierte Welle hat die Arztpraxen voll erfasst“, stellt die Kassenärztliche Vereinigung (KVH) Hessen fest. Und alle bekommen es zu spüren - die Ärzte, die Mitarbeiter in den Praxen und die Patienten. Die Telefone der Arztpraxen sind quasi rund um die Uhr belegt. Besetztzeichen, egal wo man anruft. Für vieles ist keine Zeit mehr.

„Die Vorsorgeleistungen habe ich in meiner Praxis nun nochmals massiv reduziert, um weitere Zeitfenster für Corona-Impfungen freizubekommen“, erklärt Dr. Jürgen Burdenski, Allgemeinmediziner mit Hausarztpraxis in Preungesheim und Vorsitzender des Bezirks Frankfurt des Hessischen Hausärzteverbandes, der die „dramatische Situation“ eindrucksvoll schildert. Und diese Situation wird durch die Rationierung des Biontech-Impfstoffes jetzt nochmals verschärft.

Booster-Impfung gegen Corona in Frankfurt: „Der Ansturm ist kaum noch zu bewältigen“

Er und seine Kollegen stehen vor einer Mammutaufgabe. "In Hessen benötigen wir hier in der ambulanten Versorgung in den nächsten Wochen rund 250.000 Booster pro Woche", erklärt die Kassenärztliche Vereinigung Hessen, die die Ärzte aufruft, zu prüfen, wie sie so viele Impfungen wie möglich anbieten können. Dabei sind die Praxen bereits am Anschlag.

"Der Ansturm ist kaum noch zu bewältigen. Aktuell ist die Situation kaum mehr erträglich", sagt Jürgen Burdenski. Das Tagesgeschäft leide stark. Neben der deutlich schwierigeren telefonischen Erreichbarkeit seiner Praxis habe er die Arbeitsabläufe komplett umstrukturieren müssen.

Künftig sollen Hausärzte vorwiegend das vergleichbare Präparat Moderna für Booster-Impfungen nutzen. Für die niedergelassenen Mediziner, deren Telefone ohnehin nicht mehr stillstehen, eine zusätzliche Herausforderung.
Künftig sollen Hausärzte vorwiegend das vergleichbare Präparat Moderna für Booster-Impfungen nutzen. Für die niedergelassenen Mediziner, deren Telefone ohnehin nicht mehr stillstehen, eine zusätzliche Herausforderung. © Robert Michael/dpa

Impfanfragen sind „explodiert“: Hausärzte bemängeln Vorgehen in der Corona-Politik

Die Impfanfragen sind mit „der überraschenden Aussage des Bundesgesundheitsministers über die Booster-Impfung“ explodiert. Ein geordneter Praxisbetrieb sei kaum noch möglich. „Wir Hausärzte hätten uns ein geregeltes Vorgehen gewünscht, um einen geordneten Impf-Ablauf nach Priorisierungsgruppen organisieren zu können. Stattdessen kommen nun alle auf einmal“, ist Burdenski verärgert.

In der Hausarztpraxis von Dr. Tanja Balci haben sich die Impfanfragen von vormals fünf bis sechs pro Woche auf 200 gesteigert. Mit Impftagen - auch samstags - versucht sie den Ansturm in den Griff zu bekommen. 100 bis 150 Impfungen pro Woche schafft sie ungefähr. Auch wenn sich jetzt theoretisch alle impfen lassen können sollen, priorisiert sie, genau wie Burdenski, nimmt die Alten und Vorerkrankten und die, die bislang keine Impfung hatten, nach Möglichkeit zuerst dran, weil das einfach sinnvoll sei.

Wenige Erst-Impfungen gegen Corona, viele Booster-Anfragen bei Hausärzten in Frankfurt

Aber es meldeten sich wenige Erstimpflinge, sagt Burdenski: „Man fragt sich, worauf dieser Personenkreis noch warten möchte.“ Auch wer mit Astrazeneca oder Johnson und Johnson geimpft wurde, steht bei Hausärztin Tanja Balci ganz oben auf der Liste, „weil die nachweislich eine Deltalücke haben und im Falle eine Infektion eher einen schwereren Verlauf“.

Den Ärzten würden ständig neue Steine in den Weg gelegt, klagt Burdenski und nennt ein Beispiel: Bis vor kurzem mussten die Hausärzte Impfdosen zwei Wochen im Vorhinein bestellen. Jetzt ist es eine Woche. „Das ist katastrophal. Wir hinken mit den uns zur Verfügung stehenden Impfmengen so immer hinter der Entwicklung her.“ Die Kassenärztliche Vereinigung fordert vom Bundesgesundheitsministerium, Nachbestellungen über Nacht zu ermöglichen wie auch die Impfdokumentation zu vereinfachen.

Frankfurt: Ärzte klagen über fehlende Kommunikation zur Booster-Impfung aus der Politik

In Burdenskis Augen wäre das jetzige Chaos vermeidbar: „Trotz entsprechender Warnungen von Experten und Beispielen aus anderen Ländern wie Israel wurde in Deutschland viel Zeit vertrödelt. So hinken wir mit den Booster-Impfungen und weiteren Maßnahmen um mehrere Monate hinterher. Wie überhaupt leider der Eindruck entsteht, dass wir immer hinter der Entwicklung herlaufen, statt ihr voranzugehen.“

Gleichzeitig, kritisiert er, erschwerten die verantwortlichen Politiker mit ständigen Schnellschüssen die Arbeit an der Basis zusätzlich ohne vorher mit der Ärzteschaft zu sprechen, ob und wie eine Neuregelung überhaupt umsetzbar sei.

Booster-Impfung in Frankfurt: Hausärzte an der Grenze der Belastbarkeit

„Wir fühlen uns alle sehr nahe an der Grenze der Belastbarkeit. Wir sind alle bereit, uns maximal zu engagieren, aber auf die Dauer kann man mit immer neuen Aufrufen zu einer weiteren letzten Kraftanstrengung nicht weitermachen. Übrigens haben die medizinischen Fachangestellten für ihren gewaltigen Einsatz von unserem Staat bis heute keine Bonuszahlungen erhalten. Dies empfinde ich als grobe Missachtung dieses wichtigen Berufsstandes“, sagt Burdenski.

Und auch Tanja Balci betont: „Die Hauptbelastung liegt auf den Medizinischen Fachangestellten, die nicht nur die Impfplanung machen. Das ist brutal. Und die Leute sind ihnen gegenüber oft unfreundlich und aggressiv.“ Auf diese Sprechstundenhilfen kommt wegen der Rationierung des Biontech-Impfstoffes jetzt noch mal ein Berg Arbeit zu. (Michelle Spillner)

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