Hebammen-Ausbildung: Wird Deutschland die EU-Vorgabe rechtzeitig umsetzen können?

Der Hebammen-Beruf erfordert laut EU-Vorgabe ab 2020 Abitur. Die Leiterin der Frankfurter Hebammenschule, Nadja Zander, vermisst entsprechende deutsche Gesetzes-Anpassungen, wie sie Claudia Isabel Rittel erklärt.
Frau Zander, kürzlich haben Sie in Frankfurt eine Hebammenschule eröffnet, doch schon ab 18. Januar 2020 soll laut einer Vorgabe der EU die Ausbildung der Hebammen an Hochschulen verlagert werden.
NADJA ZANDER: In Frankfurt eine Hebammenschule zu gründen war lange im Gespräch. Hier gibt es sehr viele Geburten und viel zu wenige Hebammen. Deshalb haben wir die Schule eröffnet, obwohl klar war, dass die Ausbildung akademisiert wird. Wir haben entschieden auszubilden, so lange wir können. Wir müssen abwarten, wie lange es Hebammenschulen noch geben wird. Sie werden nicht von heute auf morgen schließen, sondern es wird sicher eine Übergangsregelung geben, in der drinsteht, wie lange die Hebammenschulen noch parallel zu den Studiengängen existieren. Wir machen erst mal weiter wie bisher.
Und dann?
ZANDER: Die Hebammenschule gehört zur Carl-Remigius-School, die wiederum Teil der Hochschule Fresenius ist. Dort gibt es viel Erfahrung damit, neue Studiengänge zu entwickeln. Dadurch sind wir personell und was das Know-how angeht, gut aufgestellt.
Im Januar 2020 soll es mit den Hebammen-Studiengängen losgehen. Treffen Sie schon Vorbereitungen?
ZANDER: Nein. Wir wissen ja noch nicht, was im Detail auf uns zukommt. Bisher gibt es nämlich kein Gesetz. Innerbetrieblich sprechen wir, wie wir uns personell aufstellen und uns weiterentwickeln können. Sobald wir Vorgaben bekommen, wie ein Studiengang aussehen soll, werden wir anfangen.
Ist das denn zu schaffen in weniger als einem Jahr?
ZANDER: Wir gehen davon aus, dass es Übergangsfristen geben wird. Es ist natürlich eine wichtige Frage, wie lange diese sein werden.
Aktuell gibt es noch nicht mal einen Gesetzesentwurf im Bundestag. Dabei gilt die EU-Richtlinie, die die Akademisierung vorschreibt, schon seit 2013. Wie erklären Sie sich das?
ZANDER: Hier wurde offensichtlich ein Vorgang verschlafen. Anders kann ich mir das nicht erklären. Ich weiß, dass der Hebammenverband schon lange darauf hinweist, dass die Zeit läuft. Aber da sind Verantwortliche einfach nicht aktiv geworden. Das Thema wurde wohl lange nicht ernst genommen.
Was wird denn die größte Baustelle bei der Umstellung sein?
ZANDER: Erstmal müssen neue Standorte für die Studienplätze geschaffen werden. Hier müssen die Länder entscheiden, an welchen Orten das sein soll. Eine weitere zentrale Frage ist die, wo die Dozenten herkommen sollen. Hierfür wird eine Nachqualifizierung für die Lehr-Hebammen nötig sein. Denn viele, die jetzt unterrichten, werden dann ja nicht mehr unterrichten dürfen. Auch hier muss es Übergangsfristen geben, damit wir genügend Lehrkräfte haben.
Gibt es schon Hebammen-Professuren und qualifizierte Dozenten?
ZANDER: Ja, aber sie werden nicht ausreichen. Hierfür werden wir unkomplizierte Nachqualifizierungen brauchen. Denn einen akademischen Grad und eine Promotion erreicht man nicht in ein paar Monaten. Das dauert Jahre. Entsprechend wird es auch Jahre dauern, bis es genug Hochschuldozenten gibt.
Eine niedrigschwellige Nachqualifizierung wäre dann eine Art berufsbegleitende Promotion?
ZANDER: Ja, zum Beispiel. Viele müssen aber auch erst mal einen Master machen. Hier ist offen, wer die zu erwartenden vielen Master-Arbeiten betreuen wird. Eine weitere Frage ist, ob es Finanzierungsangebote für Promotionen geben wird. Viele der aktuellen Dozentinnen sind Frauen mittleren Alters. Diese müssen jetzt erst mal überlegen, ob sie die Unannehmlichkeiten eines Studiums und die entsprechenden Gehaltseinbußen überhaupt auf sich nehmen und eine Promotion beginnen.
Haben es andere Schulen, die nicht wie Sie zu einer größeren Einrichtung gehören, schwerer mit der Umstellung?
ZANDER: Es kommt immer darauf an. Zumindest muss sich jede Schule die Frage stellen: Wie geht es weiter? Und auch jede einzelne Dozentin muss für sich klären, wie es weitergeht. Einige werden sich die Frage stellen müssen, ob sie mit an die Hochschule gehen oder zurück in die Praxis.
Die komplette Branche ist also im Umbruch?
ZANDER: Ja.
Wie beurteilen Sie die bevorstehende Umstellung der Ausbildung?
ZANDER: Ich halte das für den richtigen Weg. Wir sind heute in der Medizin so weit, dass eine Ausbildung dafür nicht mehr ausreicht. Im Zusammenspiel mit den Ärzten im Kreißsaal muss der Arzt sich auf die Aussage der Hebamme verlassen können. Auch dazu kann die Akademisierung beitragen.
Es ist also trotz der zu erwartenden Schwierigkeiten ein richtiger Schritt?
ZANDER: Ja. Es ist längst Zeit, dass wir akademisch werden. Dadurch werden möglicherweise einige gute Bewerbungen durchs Raster fallen, denn dann wird ja die Zugangsvoraussetzung das Abitur sein. Insgesamt geht es darum, in Zukunft mit Ärzten auf Augenhöhe zu kommunizieren. Wir treten dadurch aber nicht in Konkurrenz zu den Ärzten. Vielmehr wollen wir zu einem Partner der Ärzte werden, der qualitativ wertvoll mit argumentieren kann – im Sinne der Frauen. Wir arbeiten ja zusammen an einem Thema. Hebammen sind die Frauen für die Physiologie, dafür werden wir ausgebildet. Die Ärzte sind die Fachleute für die Pathologie. Das eine geht ohne das andere eigentlich nicht.
Die Akademisierung ist ein Bundesthema. Dennoch beschäftigt es inzwischen auch die Stadtpolitik. Sind Sie in Kontakt mit der Verwaltung?
ZANDER: Nein. Auf uns ist bisher noch niemand zugekommen.