Hier bauen die Mieter in Eigenregie

Wie 21 Mitglieder eines Vereins ihr Haus planen und ihre Ideen von starker Nachbarschaft verfolgen.
Frankfurt -In einer Großstadt wie Frankfurt beschränkt sich das nachbarschaftliche Miteinander oft auf das höfliche Mindestmaß. Christin Lindner kann diesem Nebeneinander wenig abgewinnen. „Ich habe die Vorstellung von einem Zuhause, in dem Leute auf mich warten. In dem andere Menschen leben, die ich mag und wo ich weiß, dass es nebenan jemanden gibt, wenn ich etwas brauche“, sagt die Erzieherin.
Gemeinsam mit Fabian Jellonnek steht sie an einem kalten Vormittag neben einer verwaisten Grünfläche an der Schöffenstraße in Griesheim. Hier, direkt angrenzend an die Autobahn 5, wollen die beiden Mittdreißiger ihr Konzept von einem Zusammenleben mit Freunden verwirklichen. Unter dem Kürzel „Kolle“, das steht für ihren Verein „Kollektiv Leben“, planen sie und gut 16 weitere Mitstreiter, zu denen fünf Kinder gehören, den Bau eines gemeinschaftlich verwalteten und genutzten mehrstöckigen Mietwohngebäudes. „Im April gehts los“, sagt Jellonnek, und die Vorfreude ist ihm anzusehen.
Gebaut wird auf einem 1790 Quadratmeter großen Grundstück der Stadt. Die vergab den Baugrund 2019 im Rahmen einer Ausschreibung in Erbbaupacht an Gemeinschafts-Wohnungsbauprojekte, und „Kolle“ erhielt den Zuschlag. „Darüber waren wir unheimlich froh. Die Preise auf dem Immobilienmarkt hätten wir nicht bezahlen können“, erklärt Lindner, dass sie sich ursprünglich auch nach anderen Alternativen umgesehen hätten.
Entstehen sollen auf vier Stockwerk Mietwohnungen für 42 Menschen. Wie viele Einheiten es geben wird, sei noch nicht klar, sagt Jellonnek. „Wir bauen modular, die Wände zwischen den Wohnungen können herausgenommen und an die Lebenssituation der Mieter angepasst werden. Die kleinste Einheit sind drei Zimmer.“ Jedes Zimmer ist zwischen 15 und 19 Quadratmeter groß. Eine 500 Quadratmeter große Außenterrasse sowie breite Laubengänge vor den Wohnungen sollen das gesellige Beisammensein fördern, im Erdgeschoss sind ein Co-Working-Bereich, Veranstaltungsraum und Kreativ- und Beratungsräume geplant. „Damit tun wir etwas fürs Quartier. Die Räume kann jeder mieten“, so Fabian Jellonnek.
Er und seine „Kolle“-Mitstreiter planen und organisieren selbst, bauen also als künftige Mieter in Eigenregie, ohne aber jemals selbst „individuelles Eigentum am Haus“ zu erwerben. Das klingt kompliziert und ist in der Tat etwas vertrackt. Bauherr und späterer Eigentümer des Gebäudes ist eine GmbH, die vor zwei Jahren gegründet wurde. Der Verein „Kollektiv leben“ - seine Mitglieder sind die maximal 42 Mieter - hält 51 Prozent an der Gesellschaft, der Rest liegt bei dem Hausprojekt- und Initiativenverbund „Mietshäuser Syndikat“. Jener fungiere als eine Art Wächterorganisation, erklärt Fabian Jellonnek. „Das Mietshäuser Syndikat verhindert, dass das Gebäude verkauft wird oder die Mietswohnungen in Eigentumswohnungen überführt werden. In allen anderen Angelegenheiten entscheiden die Mieter gemeinsam.“
Noch fehlen private Unterstützer
Der Vorteil: „Geld muss keiner mitbringen, der mitmachen will. Das wäre bei der Gründung einer Genossenschaft anders gewesen. Das wollten wir nicht“, sagt Christin Lindner, die mit Partner und Kind einziehen wird. Finanziert wird das Neun-Millionen-Euro-Projekt über öffentliche Zuschüsse, einen Bankkredit und Direktkredite von Privatpersonen. „Etwas fehlt noch. Derzeit unterstützen uns 200 Menschen“, berichtet Jellonnek.
Wichtig sind diese Darlehen deshalb, da die Bank sie als Eigenkapital akzeptiert. Mehr Direktkredite bedeuteten weniger Tilgung für die GmbH und damit eine geringere Miete, erläutert er. Der Mietvertrag werde an die Ausgaben der Gesellschaft angepasst. Heißt auch: Ist das Darlehen mal abbezahlt, ist die Miete spottbillig, da die Gesellschaft nur noch Pachtzins und Instandhaltungskosten zu tragen hat.
Für den Anfang plane man mit deutlich unter 500 Euro Miete pro Person. „Für einen Neubau in Frankfurt eine Sensation“, meint Jellonnek, gibt aber zu, dass es sich dabei nur um eine Prognose handle und die letztliche Summe vom Bauverlauf und etwaigen Mehrkosten abhänge. Fertig sein wollen die Häuslebauer im Frühjahr 2025. Von derartigen Rechenspielen unbeeinflusst sind übrigens 24 der 42 Plätze im Neubau. Sie werden als sozialer Wohnungsbau gefördert und sind auf 315 Euro pro Person und Monat gedeckelt. Florian Neuroth