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Hier ist die Grüne Soße ein Rollenspiel

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Von: Stefanie Wehr

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Wenn es darum geht, Päckchen mit den sieben Kräuter zu füllen und dann zusammenzurollen, packt die ganze Familie mit an.
Wenn es darum geht, Päckchen mit den sieben Kräuter zu füllen und dann zusammenzurollen, packt die ganze Familie mit an. © rüffer

Heute will keiner ohne die sieben Kräuter sein. Drei Tage voll im Stress.

Am Tag vor Gründonnerstag herrscht enormer Andrang bei Scheckers im Hofladen - ganz Frankfurt scheint in den Oberräder Teller anzureisen, um sich für den Tag, an dem das Frankfurter Nationalgericht traditionell verspeist wird, auch ja ein Päckchen Grüne Soße zu sichern.

Während vorne im Laden die Kräuterpäckchen zu 4,50 Euro kistenweise über den Tresen gehen, wird im Raum nebenan gewickelt, was das Zeug hält: Katja und Rainer Schecker, die Kinder Felix und Luis, Nichte Ann-Christine und die Schwiegereltern füllen am Förderband die Papierwickel. Jeder legt eine satte, frischgrüne Handvoll von einem der sieben Kräuter aufs Wachspapier, Katja Schecker dreht am Ende des Bandes die Pakete zusammen. Ein familiäres Rollenspiel.

Der Kerbel ist erfroren

Und so geht das den ganzen Tag: „Heute rollen wir die Päckchen für morgen, gestern haben wir für heute gerollt“, erklärt Rainer Schecker. Er ist glücklich, dass auch dieses Jahr wieder alles gut gegangen ist bis zur Hauptsaison der sieben Kräuter um Ostern. Den Sauerampfer hatte es ihm vor zwei Wochen beim Gewitter fast verhagelt. „Der Kerbel ist im Dezember erfroren, danach wuchs er weiter.“ Ab und an finden sich deshalb ein paar gelbe Blättchen im Kerbel, „das ist keine böse Absicht“. Der Petersilie war es wie üblich vor Ostern zu kalt, sie kommt aus Italien.

Während die Scheckers die Kräuter nach ihrem System rollen - die etwas festere Petersilie ganz vorne, „da hat man einen besseren Griff beim Wickeln“, sagt Katja - , werden andernorts im Gärtnerdorf ebenso fleißig Kräuter gewaschen und aufs Papier verteilt. Bei der Gärtnerei Jung etwa und bei Kräuter Huber im Gräfendeichstraße, oder bei Horst Krämer am Altebergsweg.

Von den einst 151 Betrieben nach dem Zweiten Weltkrieg sind nur noch eine Handvoll geblieben. Doch am Kräuterwickeln selbst hat sich nichts geändert, weiß Günter Jung (86). Der Oberräder entstammt einer Gärtnerfamilie, gab seinen Betrieb, den er vom Vater übernahm, 1976 auf.

Schon in seiner Kindheit wurden die Grüne-Soße-Kräuter frisch gewickelt, nach dem Krieg noch in Zeitungspapier, trotz Druckerschwärze. „Später holten wir uns bei der Druckerei der Offenbach-Post den Abriss“ - das Papier, das am Ende der Rolle der Druckmaschinen nicht mehr genutzt wird. Später, in den 60er Jahren, ließ Jung Pergamentpapier drucken mit Grie-Soß-Rezepten darauf. Er stellte ganz auf die Produktion der sieben Kräuter um, „das war unser Hauptgeschäft.“ Eine Mark bekam man beim Großmarkt für ein Grüne-Soße-Päckchen.

Der Sauerampfer macht den Anfang

Die Wickeltechnik blieb immer dieselbe. „Erst eine Handvoll Sauerampfer als unterste Schicht. Dann wurde vorne quer der Schnittlauch gelegt. Auf die rechte Seite kam der Kerbel, dann Pimpinelle, Petersilie und Borretsch, und ganz am Schluss wird die empfindliche Kresse obenauf gesetzt“, erklärt Jung und formt seiner Finger zu einer Spitze, als hielte er die zarten Kressefäden vorsichtig in der Hand.“

Die Geschichte der Gärtner - und der Grünen Soße, die wahrscheinlich schon zu Goethes Zeiten hier angebaut wurde -, lässt sich im Heimatmuseum nachvollziehen. „Ohne die sorgfältige Arbeit unserer Vorfahren hätten wir nie einen solchen Erfolg gehabt. Denn sie pflegten den Boden, die schwarze Erde, die sich vom Mainwasser absetzte, das im Frühjahr bis zur Offenbacher Landstraße alle Felder bedeckte“, erzählt Jung. Im Museum sind Feldmaschinen, Wiegemesser und der in den 1960ern für jede Hausfrau unverzichtbare „Schneidboy“ zu sehen.

Bei Scheckers ist heute Großkampftag: Familie und Mitarbeiter verkaufen auf der Konstablerwache und im Hofladen. Der Laden im Teller 23 ist heute von 8 bis 18 Uhr, am Samstag von 8 bis 14 Uhr geöffnet. Stefanie Wehr

Günter Jung zeigt im Heimatmuseum ein altes Grüne-Soße-Wickelpapier.
Günter Jung zeigt im Heimatmuseum ein altes Grüne-Soße-Wickelpapier. © Wehr, Stefanie

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