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Hier wird für die Heiz-Revolution „geübt“

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Hinterm Haus das Rechenzentrum: Die Abwärmenutzung wird nun in der Bizonalen Siedlung erprobt.
Hinterm Haus das Rechenzentrum: Die Abwärmenutzung wird nun in der Bizonalen Siedlung erprobt. © Rainer Rüffer

In der Bizonalen Siedlung Griesheim machen vier Firmen den Versuch und nutzen Abwärme eines Rechenzentrums.

Frankfurt -Wenn es um Fernwärme, Wärmepumpen und verwandte Themen geht, muss Arno Schlicksupp immer wieder mit einigen Mythen aufräumen. Zum Beispiel mit der Behauptung, Häuser könne man mit einer Wärmepumpe nur heizen, wenn Fußboden- oder Wandheizungen eingebaut würden. Alleine weil die Wärmepumpen viel effektiver arbeiten als vor wenigen Jahren, können auch herkömmliche Heizkörper eingesetzt werden.

Das ist ein wichtiges Thema für die Bewohner von etwas mehr als 1000 Haushalten in der Bizonalen Siedlung in Griesheim. Die sollen in den nächsten Jahren mit Fernwärme aus einem Rechenzentrum versorgt werden, wobei in jedem Haus eine Wärmepumpe die Heizenergie aus dem Fernwärmewasser in den Heizkreislauf schafft. Zu diesem Zweck muss natürlich erst eine Wärmepumpe im Keller eingebaut werden - in den Wohnungen aber passiert baulich gar nichts. Das werde die Akzeptanz der Aktion sicher steigern, glaubt Schlicksupp.

Ein zweiter Mythos ist, dass das Fernwärmewasser auf seinem Weg viel Energie verliert. In der Realität sei der Temperaturverlust vernachlässigbar, selbst wenn ungedämmte Rohre eingebaut würde, so Schlicksupp. Dies jedenfalls hätten Berechnungen und Simulationen seiner Firma ergeben. Schlicksupps Firma, das ist die AS Enterprise Engineering, die das Fernwärmenetz in der Bizonalen Siedlung plant. Wobei sich in diesem Fall die Frage der Leitungsverluste gar nicht stellt, denn die Wärme kommt von dem nur wenige hundert Meter südlich gelegenen Rechenzentrum der Equinix. Nahwärmenetz wäre also die passendere Bezeichnung. Gestern stellten Vertreter der beteiligten Unternehmen das Projekt vor, das gerade jetzt hochinteressant ist in einer Zeit, in der beim Heizen die Abkehr von fossilen Energieträgern beschlossene Sache ist und nach Alternativen gesucht wird. Der Charme der Wärme aus Rechenzentren ist, dass die ohnehin anfällt, also nicht erst zu Heizzwecken erzeugt werden muss. Zurzeit geht die Abwärme einfach in die Umgebungsluft - und verschärft das Problem der überhitzten Städte

Schlicksupp geht davon aus, dass das Potenzial enorm ist. Die Abwärme des Equinix-Rechenzentrums reiche für die 1000 Haushalte „auf jeden Fall“ aus, womöglich auch noch für mehr. Da das Netz schrittweise aufgebaut und erweitert werden kann, lässt sich das Potenzial auch voll ausschöpfen. Und insgesamt gebe es Berechnungen, dass die Frankfurter Rechenzentren in absehbarer Zeit ausreichen werden, um alle Wohnungen der Stadt zu heizen.

Natürlich müssen die Hauseigentümer mitspielen. Da kommt es gelegen, dass 40 Prozent der Wohnungen der Bizonalen Siedlung der Vonovia gehören - denn das Wohnungsbauunternehmen ist dabei. Mit anderen Eigentümern muss noch gesprochen werden. Die Vonovia wolle bis zum Jahr 2045 klimaneutral werden, sagt Regionalbereichsleiter Henning Schulze. Für ihn steht das Griesheimer Vorhaben daher unter einem Vorzeichen: „Wir üben jetzt mal.“

Schulze gefällt, dass es sich um eine absolut sichere Wärmeversorgung handele - Equinix-Manager Jens-Peter Feidner behauptet, dass es zu einem Totalausfall des Rechenzentrums praktisch nicht kommen kann. Dafür sorgen unabhängige Anschlüsse an zwei Umspannwerke und dieselbetriebene Notstromaggregate. Auch müssten Wärmekunden nicht mit Kostensteigerungen rechnen - längerfristig könnte das Heizen sogar billiger werden. Und es ist auch nicht so, dass zu einem großen Teil mit Strom geheizt wird - der macht weniger als zehn Prozent der Energie aus.

Wenn alles klappt, soll es im nächsten Jahr losgehen. Die Unterquerung der Mainzer Landstraße ist der schwierigste Teil des Projekts, dann werden Straße für Straße die Rohre verlegt, das soll etwas mehr als ein Jahr dauern. Die Gesamtkosten werden auf 25 bis 30 Millionen Euro geschätzt. Finanziert wird das Vorhaben über einen Energiewende-Fonds, der von der EB SIM aufgelegt wird. „Das ist etwas für Investoren, die einen Beitrag für eine lebenswerte Zukunft leisten wollen“, so Geschäftsführer Bernhard Gräber. Wobei sich die Investition überhaupt nur amortisiert, wenn die Bundesförderung von 40 bis 50 Prozent in Anspruch genommen werden kann. Manfred Becht

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