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„Können es gestalten wie auf den Ramblas“ - Architektin über Stillstand und Chancen an der Hauptwache

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Andrea Jürges (53) ist seit Februar 2017 Vizedirektorin des Deutschen Architekturmuseums (DAM) am Schaumainkai. Über Deutschland hinaus bekannt wurde die Architektin bereits durch ihre vorherige Arbeit: Von 2003 bis 2015 war sie bei der Europäischen Zentralbank (EZB) für die Kommunikation von deren Neubau an der Großmarkthalle im Ostend zuständig. In Braunschweig geboren, wuchs Jürges im Main-Taunus-Kreis auf, sie lebt heute im Nordend. An der TU Darmstadt studierte sie in den 1990er Jahren Architektur. Danach arbeitete sie beim Berliner Architekturmagazin „BauNetz“. Jürges hat ein Faible für Reisen durch Europa, am liebsten Italien, füllt ihre Freizeit ansonsten mit Sport, Skifahren und Treffen mit Freunden. Zum Ritual geworden ist die morgendliche Zeitungslektüre bei zwei Kaffee. Mit der Hauptwache beschäftigt sich Jürges seit vorigem Jahr intensiver, als das DAM dort das Stadtraum-Experiment „Reallabor Wohnzimmer Hauptwache“ als Teil des städtischen Modellprojekts „Post-Corona-Innenstadt“ startete. „Die Hauptwache ist der interessanteste Ort der Stadt“, findet Jürges.
Andrea Jürges (53) ist seit Februar 2017 Vizedirektorin des Deutschen Architekturmuseums (DAM) am Schaumainkai. © Sauda

Architektin Andrea Jürges über den wichtigsten Platz der Stadt, die Pläne zur Umgestaltung und die Ergebnisse ihres Reallabors.

Frankfurt - Das Loch schließen? Oder „nur“ umgestalten? Kaum ein Ort sorgt in Frankfurt für so viele Diskussionen wie der Platz an der Hauptwache samt der riesigen Bahnstation darunter. Wieso das Herz der Stadt viele bewegt, warum es wohl noch länger unverändert bleiben dürfte und wie es auf ganz andere Weise attraktiver werden könnte, erklärt Andrea Jürges, die Vizedirektorin des Deutschen Architekturmuseums (DAM), im Interview mit Redakteur Dennis Pfeiffer-Goldmann.

Frau Jürges, Sie mögen den Platz rund um die Hauptwache. Warum?

Weil er so vielfältig ist, weil er alles ist, weil er Potenzial hat, weil er strubbelig ist, weil er eine Chance auf eine gute Gestaltung hat, weil er der wichtigste Platz von Frankfurt ist.

Viele Menschen sehen den Platz eher als hässlich an.

Eine wirkliche Schönheit im klassischen Sinn ist er ja auch nicht. Aber ich habe ihn ganz schön gerne, nachdem ich mich mit dem Reallabor „Wohnzimmer Hauptwache“ 2022 länger dort aufgehalten habe.

„Die Hauptwache ist ein lebendiger Ort“

Welche Vorurteile hatten sie, wie änderten sie sich?

Ich dachte, man kann sich hier gar nicht aufhalten, weil ich vorher aber auch immer nur durchgerannt bin. Man kann sich hier aber aufhalten, und man könnte sich noch besser aufhalten, wenn es bessere Sitzmöglichkeiten gäbe. Die Hauptwache ist ein lebendiger Ort, der in sich schon seine Strukturen hat, die auch gut funktionieren. Die Allianz-Passage zum Beispiel, wo wir unseren Workshop-Raum hatten, ist ein sehr vielfältiger Ort. Dort bekommt man Dim Sum und Handyhüllen, dort gibt es eine gute Nachbarschaft.

Die meisten Menschen nutzen die B-Ebene nur zum Durchgehen. Wie kann man das ändern?

Entweder wir machen daraus einen Fahrradabstellplatz. Dann würden die Fahrräder unten sicher stehen und oben nicht mehr stören. Oder wir ändern es radikal. Die ganzen Treppen werden ja als Fluchtwege benötigt. Indem man den Deckel schließt, löst man dieses Problem nicht. Also: Warum machen wir das Loch nicht größer? Dann wird die B-Ebene zu einer Aufenthaltsfläche, auf der Menschen - möglichst verschattet - auch sitzen können. Die B-Ebene wäre dann nach oben offen, vom Juwelier Wempe bis zur Katharinenkirche. Für den ebenerdigen Schnelldurchweg von Nord nach Süd kommt noch eine elegante Fahrradbrücke drüber. So werden diese ausladenden Treppenanlagen, die die Form des Hinunterschreitens ja schon in sich tragen, nutzbar fürs Promenieren, fürs Sehen und Gesehenwerden. Ob das statisch möglich wäre und brandschutztechnische Herausforderungen einfacher löst, weiß ich nicht. Es ist also nur eine wilde Idee.

Diskussionen statt Taten: „Man kann die Hauptwache ja nicht einfach mal stilllegen“

Seit Jahren diskutiert die Politik über die Hauptwache. Warum tut sich nichts?

Weil es der wichtigste Verkehrsknotenpunkt für Frankfurt ist. Die Anlagen, die Belüftung und die ganze Technik, die es braucht, um dieses riesige unterirdische Verkehrsbauwerk zu betreiben, sind sehr unterschiedlich alt. Diese ganze Haustechnik muss ausgetauscht werden, und das im laufenden Betrieb, man kann die Hauptwache ja nicht einfach mal stilllegen. Das ist eine Herausforderung, die mehrere Jahre oder sogar ein Jahrzehnt dauert.

Aber warum wurde nicht längst damit angefangen?

An der Hauptwache gibt es unterschiedliche Verantwortlichkeiten: Die S-Bahnsteige gehören der Deutschen Bahn, die Verkehrsflächen der B- und C-Ebene dem Amt für Straßenbau und Erschließung, die Räumlichkeiten dahinter, auch die Läden, gehören entweder der Verkehrsgesellschaft VGF oder dem Amt für Bau und Immobilien. Die Politik ist erfreulicherweise inzwischen dran, das zu bündeln, damit es dann idealerweise nur noch einen Verantwortlichen gibt: die VGF.

„Vor der Hauptwache hatte ich einen Höllenrespekt“

Warum läuft die ganze Planung so langsam?

Wenn die Politik der Stadtplanung einen Planungsauftrag gibt, bedeutet das ja nicht nur, dass etwas geplant wird. Es wird eine Bürgerbeteiligung durchgeführt, dann gibt es eine Ausschreibung, einen Wettbewerb - auch wenn es nur um eine Zwischennutzung geht. Einfacher könnte man manches sicher machen, wenn es nur als Unterhaltungsmaßnahme ausgelegt ist. Dann könnte man temporär etwas installieren, was man auch wieder wegmachen kann, um es einfach auszuprobieren.

Also lieber einfach mal machen statt lange planen?

Wir sind zwar Teil des Post-Corona-Innenstadt-Projekts, das es auch in 16 anderen Städten gibt. Aber vor der Hauptwache hatte ich einen Höllenrespekt. Da sind schon Bessere gescheitert. Die Hauptwache besteht aus vielen kleinen Plätzen, ganz unterschiedlichen Orten, die auch von unterschiedlichen Menschen genutzt werden. Kaum stellt man etwas hin, wie zum Beispiel unsere Talking Stairs, zack, wird es von ganz vielen Nutzern annektiert. Die Talking Stairs waren eines der Projekte aus unserem Reallabor. Das DAM hatte gesagt: Reicht eure Ideen ein, wir helfen euch bei der Umsetzung.

„Es parken ständig irgendwelche Autos auf der Hauptwache“

Welche Ideen haben Sie besonders überrascht?

Die WG-Küche auf der Rückseite des historischen Hauptwachen-Gebäudes. Die Künstlerin war selbst überrascht. Sie saß eine Woche lang in ihrer Küche, die Leute setzten sich zu ihr und haben sich unterhalten, auch untereinander, obwohl sie sich nicht kannten. Weil man dort geschützt saß, aber den Blick auf den Platz und die Zeil hinunter hat. So wurde die Hauptwache wirklich zum Wohnzimmer.

Es gibt einige, die die Hauptwache längst so nutzen, gerade junge Menschen.

Das ist auch gut, das ersetzt die Kneipe oder die Sitzstufen vorm Haus. Deshalb ist sie ein wichtiger Ort, ein Ort des Abhängens, des Nicht-konsumieren-Müssens. Das ist eine wichtige Funktion in der Stadt.

Wieso funktioniert der Platz der Hauptwache bisher nicht?

Jeder Platz muss entsprechend seines Charakters gestaltet werden. Man muss sich zum Beispiel von der Idee lösen, überall das selbe Mobiliar hinzustellen - so wie die Frankfurter Bank. Die ist in Parks super, aber sie gehört nicht auf die Hauptwache, weil die einen ganz anderen Charakter hat. Wir werden diesen Sommer mit der 60 Meter langen „Langen Bank“ eine Alternative ausprobieren. Und, was mir noch aufgefallen ist: Es parken ständig irgendwelche Autos auf der Hauptwache, obwohl der Verkehr schon lange heraus ist, vor allem von der VGF, vom Ordnungsamt und der Polizei.

Täglich 200.000 Menschen unter der Hauptwache

Die öffentliche Hand geht mit schlechtem Beispiel voran?

Die Mitarbeiter haben ihre Pausenräume oder Einsatzorte in der B-Ebene, die müssen schon hier sein. Meines Wissens nach gibt es jetzt das Bestreben, dass die dort nicht mehr stehen müssen, sondern entlang des Roßmarkts parken können.

Die Politik will nun zum Beispiel den Treppenabgang am Momem umgestalten.

Das erfordert große Um- und Einbauten. Die Fluchtwegesituation muss berücksichtigt werden, unter der Hauptwache halten sich ja täglich 200.000 Menschen auf. Deshalb ist es richtig, das alles abzustimmen. Solche Prozesse dauern halt einfach länger.

Es haben sich Initiativen zu Wort gemeldet, die den Platz großflächig mit Pflanzen und Bäumen füllen möchten. Wie gefällt Ihnen das?

Verschattung ist wichtig und wird immer wichtiger. Nur kann man hier keine Bäume anpflanzen, weil sich unten drunter ein Bauwerk mit sehr viel Elektrotechnik befindet. Auch hat ein Baum sehr viel Gewicht. Aber vielleicht gibt es andere Wege, Verschattung oder Grün herzubringen. In Catania sind zum Beispiel Regenschirme von einer Hausseite zur anderen gespannt. Bei Pflanzen stellen sich zwei Fragen: Wie funktioniert das mit der ganzen Technik unten drunter? Und: Wer gießt sie denn? Das Grünflächenamt signalisiert ganz klar, dass es schon mehr als ausgelastet ist.

Planungen für die Hauptwache: „Das Ausprobieren ist eine tolle Gelegenheit“

Die Hoffnung, dass wir in fünf Jahren eine neugestaltete Hauptwache haben, kann ich mir wohl abschminken, oder?

Eine final neugestaltete Hauptwache klappt auf keinen Fall. Der Unterhalt, die Standsicherheit, kommt die Feuerwehr noch durch: So etwas ist bei dauerhaften Umbauten immer zu beachten. Aber warum macht denn überhaupt ein Museum künstlerische Interventionen als Stadtraum-Experimente? Wir sind nur temporär. Ich verspreche mir zum Beispiel von der „Langen Bank“ diesen Sommer Erkenntnisse, was funktioniert. Wir können sie an verschiedenen Stellen platzieren und sehen, was passiert.

Ist es zum Ausprobieren also sogar zum Vorteil, dass sich so lange nichts tut?

Ja, das kann gut sein. Wir sehen das am Paul-Arnsberg-Platz. Dort sollte ein Wochenmarkt hin, der Platz wurde dafür auch gestaltet. Der Markt konnte sich aber nicht halten. Jetzt, nur rund 20 Jahre später, wird der Platz umgestaltet. Da wäre es doch schön gewesen, wenn man erst einmal hätte ausprobieren können. Bisher funktionierte es doch so: Man plant es, man baut es, und fertig. Aber die Zeiten sind heute andere, das Bedürfnis nach Mitsprache und Mitgestaltung ist da.

Hat das Nichtstun an der Hauptwache Fehler erspart?

Wenn etwas noch nicht passiert, ist das manchmal eine glückliche Fügung. Sonst wären wir vielleicht schon fertig und würden heute merken: Wir brauchen etwas ganz anderes, zum Beispiel mehr Verschattung. Das Ausprobieren ist eine tolle Gelegenheit.

Zukunft der Hauptwache: „Können es gestalten wie auf den Ramblas“

Kritik gibt es nicht nur an der Hauptwache, sondern auch nebenan an der Zeil, Architekt Christoph Mäckler will sie für Autos wieder öffnen. Was sagen Sie?

Momentan kollidiert sämtlicher Verkehr von Fußgängern und Radfahrern zwischen der Mittelzone mit Bäumen und Pavillons und den Häusern. Bei der letzten Umgestaltung wurden die Pavillons für die Gastronomie errichtet, weil die Läden in den Erdgeschossen der Häuser gut vermietet waren und die Mieten zu hoch für die Gastronomie. Ich kann mir vorstellen, dass die Situation heute eine andere ist, es sind ja einige Leerstände zu beobachten.

Ihre Lösung?

Wir können es gestalten wie auf den Ramblas in Barcelona: Wir schaffen eine Café- und Flanierzone an den Häusern entlang, und die Mittelzone nutzen wir für alle Fußgänger und Radfahrer, die es eilig haben. Daher würde ich die Pavillons in der Mitte entfernen und dort wieder Bäume hinsetzen. Dann ergäbe sich auch eine ganz andere, großzügige Wirkung der Zeil, wenn der Blick von der Hauptwache bis zur Konstablerwache frei ist. Auch das ist vielleicht erstmal eine wilde Idee. Das DAM ist ja kein Besitzer irgendwelcher Flächen.

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