Hygienecenter: Die Nachfrage steigt

Das Angebot für Obdachlose im Bahnhofsviertel spricht sich herum - es gibt knapp 60 Nutzungen pro Tag.
Frankfurt . Rund einen Monat nach dem offiziellen Start des Interims-Hygienezentrums im Hof des Diakoniezentrums Weser 5 nutzen immer mehr Obdachlose die Möglichkeit, kostenlos zu duschen oder eine Toilette zu benutzen. „Bereits jetzt zeigt sich: Das Angebot wird angenommen“, sagt Sozialdezernentin Elke Voitl (Grüne).
Rund 50 Mal pro Tag wurden die vier Männerduschen, die in Containern im Hof untergebracht sind, in der vergangenen Woche genutzt, die fünf Frauenduschen im Inneren des Hauses rund sieben Mal. Das sind bereits jetzt mehr als doppelt so viele Nutzungen als vor der Erweiterung des sanitären Angebots. Die vier Toiletten in den Containern wurden insgesamt rund 20 Mal täglich besucht. „Seit Öffnung ist ein wöchentlicher Anstieg der Nutzung zu verzeichnen, der weiter anhält“, sagt Voitl.
Duschangebot soll Vertrauen aufbauen
Duschen und Toiletten sind täglich von 8.30 Uhr bis 16.30 Uhr geöffnet, Diakonie-Mitarbeiter geben kostenlos Handtücher, Duschgel und Shampoo aus, bei Bedarf auch Badeschlappen, Nagelknipser, Einwegrasierer, Kämme, Bürsten, Handcreme oder frische Unterwäsche. Der Betrieb laufe, so Voitl, „bislang ruhig und ohne besondere Zwischenfälle“.
Um die sanitären Anlagen zu nutzen, muss man sich weder anmelden noch seinen Namen nennen. Solche extrem niederschwelligen Angebote seien wichtig, sagt die Sozialdezernentin, da es Menschen, die auf der Straße leben, oft schwerfalle, Hilfsangebote anzunehmen. Als Gründe nennt sie unter anderem Hindernisse in der persönlichen Lebensgeschichte, fehlende Tagesstruktur, Scham, Sucht- oder psychische Erkrankungen. Wer durchs Duschen Vertrauen schöpfe, hofft Voitl, werde vielleicht eher auch weitergehende Angebote nutzen.
Die Kosten für das Interims-Hygienecenter von rund einer halben Million Euro für zunächst ein Jahr übernimmt komplett die Stadt Frankfurt, obwohl viele der Nutzer aus dem Umland kommen dürften. Die Diakonie stellt der Stadt ihren Innenhof kostenlos zur Verfügung. Insgesamt hat der Sozialverband sieben neue Mitarbeiter eingestellt, vier fürs Hygienezentrum, drei für den Tagestreff. Dort können die Menschen nicht nur duschen und vier Toiletten nutzen, es gibt auch günstige Mahlzeiten, eine Kleiderkammer und einen PC für Recherchen. Wer wolle, könne sich dort auch einfach aufhalten und Kaffee trinken oder sich in den aufgestellten Strandkörben ausruhen, sagt Susanne Schmidt-Lüer, Sprecherin der Diakonie. Vor Ausweitung des sanitären Angebots kamen täglich rund 250 Menschen ins Diakoniezentrum.
Duschen und Toiletten für Obdachlose und Drogensüchtige gab es im Bahnhofsviertel auch bisher schon, etwa in der Bahnhofsmission, im Frauencafé oder in der Drogenhilfeeinrichtung La Strada. Doch vier Duschen und sieben Einrichtungen mit Toiletten, teilweise mit beschränkten Öffnungszeiten, waren zu wenig. Immer wieder beschwerten sich Anwohner deshalb darüber, dass Obdachlose ihre Notdurft in Hauseingängen oder hinter Bauzäunen verrichten, seit der Pandemie hat sich die Situation noch einmal deutlich verschärft.
Dennoch wurde lange um zusätzliche Sanitäranlagen gerungen. Gegen öffentliche Toiletten sprach, dass in abgeschlossenen Räumen wie einer Toilettenkabine beispielsweise die Gefahr größer ist, dass Menschen, die sich eine Überdosis spritzen, zu spät gefunden werden - ohne Sicherheitsdienst drohten der Stadt in diesem Fall haftungsrechtliche Probleme. Ein 24-Stunden-Sicherheitsdienst jedoch ist enorm teuer. Deshalb ist das Hygienecenter nun ans Diakoniezentrum angegliedert und bleibt außerhalb der Öffnungszeiten geschlossen.
Eigentlich plant Voitl in Kooperation mit der Bahnhofsmission ein festes Hygiene-Zentrum in der B-Ebene des Hauptbahnhofs, der bis zum Jahr 2026 umgebaut werden soll. Doch bisher konnten sich Stadt und Deutsche Bahn nicht einigen. Sozialdezernentin Voitl verweist für eine Begründung auf die Deutsche Bahn, diese konnte bis gestern keine Stellungnahme abgeben.
Vor knapp zwei Monaten ist im Bahnhofsviertel eine weitere Institution gestartet: ein Koordinierungsbüro. Dessen drei Mitarbeiter, die die dezernats- und gesellschaftsschicht-übergreifenden Probleme des Viertels gemeinsam angehen sollen, seien im Moment noch in der Vernetzungsphase, sagt Voitls Sprecher Christian Rupp. Es gäbe aber bereits mehrere Ideen, die der Öffentlichkeit so bald wie möglich vorgestellt werden sollen. Sarah Bernhard Drogenstudie: Crack dominiert Frankfurt. Sie sind so unübersehbar wie die mit Rotlicht erleuchteten Fenster der Bordellbetriebe: Mitglieder der harten Drogenszene im Frankfurter Bahnhofsviertel, die auch auf der Straße oder in Hauseingängen Crack rauchen. Wissenschaftler beobachten die Entwicklung.
Bei den Schwerstabhängigen im Frankfurter Bahnhofsviertel ist die extrem schnell süchtig machende Droge Crack weiterhin die am meisten konsumierte Droge. Das ist das Ergebnis der sogenannten Tiefenstudie von Drogenforschern der Frankfurter Goethe-Universität, die an diesem Donnerstag veröffentlicht wird.
Die Daten beruhten auf Befragungen von 150 Abhängigen in der Zeit von Juni bis August 2022, sagte Bernd Werse, einer der Autoren der Studie, die seit 2002 alle zwei Jahre vorgenommen wird. Während die jährlichen Schulbefragungen erhellen, ob und welche Drogen Jugendliche an Frankfurter Schulen konsumieren, geht es bei den Tiefenstudien um die harte Szene, die das Bild des Bahnhofsviertels prägt.
„Für uns gibt diese Studie wichtige Hinweise auf die aktuelle Entwicklung in der Szene“, sagte Artur Schroers, Leiter des Frankfurter Drogenreferats. Dabei gehe es auch darum, Hilfsangebote anzupassen.
In der Umfrage hatten 77 Prozent der Befragten angegeben, in den vorangegangenen 24 Stunden Crack geraucht zu haben. Insgesamt 32 Prozent hatten Heroin konsumiert - im Jahr 2020 waren es noch 60 Prozent gewesen. Warum Heroin so deutlich weniger gefragt war, können die Wissenschaftler noch nicht beantworten. „Möglicherweise spielen Zufallsfaktoren eine Rolle“, sagte Werse. „Wir haben da noch wenige Erkenntnisse.“ Crack hingegen hatte bei der ersten Umfrage im Jahr 2000 noch kaum eine Rolle gespielt und war nur von drei Prozent der Befragten konsumiert worden. In den vergangenen Jahren war der Konsum dann stark gestiegen.
Ein Vergleich mit der vorangegangenen Studie im Lockdown-Jahr 2020 zeigt: Die Corona-Pandemie hat die Lage der Schwerstabhängigen verschlechtert. Damals waren 37 Prozent der Befragten obdachlos, 25 Prozent lebten in Notunterkünften - ein neuer Höchststand, so Werse. Im vergangenen Jahr hatte sich die Wohnsituation nur geringfügig entspannt - der Anteil der Obdachlosen unter den Befragten lag bei 34 Prozent, nicht einmal ein Viertel verfügte über eine eigene Wohnung. „Wohnen ist insgesamt ein großes Thema in der Suchthilfe“, betonte Schroers.
Eine positive Entwicklung sehen Drogenforscher und Drogenreferat im steigenden Durchschnittsalter der Schwerstabhängigen, das im vergangenen Jahr 41,8 Jahre betrug. Zum Zeitpunkt der ersten Studie im Jahr 2002 lag es noch bei 34,7 Jahren. Auch Schwerstabhängige auf der Straße werden älter, überleben länger als in früheren Jahren. Zudem stoßen nach Angaben Werses nur wenige sehr junge Abhängige zu der Szene der harten Drogenkonsumenten im Bahnhofsviertel dazu.
Auch wenn Crack der Studie zufolge die am häufigsten konsumierte Droge der Schwerstabhängigen ist - die meisten nutzen auch andere Rauschmittel: So gaben in der Umfrage 53 Prozent der Befragten an, in den vorangegangenen 24 Stunden Alkohol konsumiert zu haben, bei 39 Prozent war es Cannabis. „Das sind neue Höchstwerte“, sagte Werse. Dabei sei Cannabiskonsum bei den männlichen Befragten sehr viel häufiger genannt worden, während sich bei den befragten Frauen eine höhere Intensität beim Konsum von Crack feststellen ließ.
Für die Stadt Frankfurt sind die Zahlen der Studie besonders interessant: „Im Moment befassen wir uns intensiv mit Behandlungsmöglichkeiten beim Crackkonsum und planen dazu mit anderen Städten ein Modellprojekt“, sagte Gesundheitsdezernent Stefan Majer (Grüne). Handlungsbedarf sehen Majer und Drogenreferatsleiter Schroers auch beim Thema Unterkünfte für Drogenabhängige. Die Zahl der Menschen, die als „faktisch obdachlos“ bezeichnet werde, sei trotz sinkender Tendenz mit 51 Prozent weiter zu hoch. lhe