Ihr Künstler-Leben steht allen offen

„FlieKü“ auf dem Gravensteiner Platz ist offiziell eröffnet
Seit zweieinhalb Wochen führen Rosi Grillmair und Florian Mayr ein sehr öffentliches Leben. Die beiden Österreicher haben als Erste das „Fliegende Künstlerzimmer“ bezogen, seit es mitten auf dem Gravensteiner Platz im Frankfurter Stadtteil Preungesheim gelandet ist. Erstmals steht der von den beiden Architekten Michel Müller und Nikolaus Hirsch entworfene Kasten aus Holz und Papier mitten im städtischen Raum statt in einer Schule. Die beiden Bewohner mussten sich daran gewöhnen, dass ständig jemand bei ihnen anklopfen oder zum Fenster hineinschauen kann und Kinder ohne Scheu ein und aus marschieren.
Doch das ist gewollt. Das „FlieKü“, das die Crespo Foundation erstmals 2018 aufbauen ließ, ist gleichermaßen Begegnungs- wie Bildungsstätte, Atelier und Austauschplattform. Am Donnerstag wurde es offiziell eröffnet.
7,50 Meter mal 11 Meter ist es groß und 3,50 Meter hoch. Im Inneren ist allein ein Badezimmer abgeteilt; Küche und Bett lassen sich in den hellen Wandschränken verstauen, sodass der Raum viel Platz für Kreativität bietet.
Zwei Jahre lang wird es an seinem neuen Ort stehen; alle drei Monate wechseln die Künstler, die darin wohnen. Anfang April wird die Berlinerin Anna-Luise Lorenz einziehen. Eine „Spekulationsdesignerin“, wie Jana Weyer von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung erklärt, die bei dem Kooperationspartner für das Projekt zuständig ist. Lorenz denkt sich Geräte aus, die jene, mit denen wir leben, in der Zukunft ersetzen könnten.
Jeder ist eingeladen, sich zu beteiligen und „seine Fantasie mit einzubringen“, sagt Friederike Schönhuth von der Crespo Foundation, unabhängig von Alter oder Herkunft. Dafür gibt es feste Formate wie die Entdeckungsreise „Open House“ an jedem Donnerstag von 15 bis 19 Uhr oder die Ideenschmiede „Zukunftscafé“, die an diesem Freitag um 14 Uhr erstmals im „FlieKü“ stattfindet. Doch die Stipendiaten, die während ihrer Residenz monatlich 2500 Euro erhalten, sollen auch eigene Impulse setzen und Workshops anbieten.
Bei Kunst- und Technologievermittlerin Grillmair spielen eine Nähmaschine und ein 3D-Drucker eine große Rolle. Werkzeuge, mit denen Dinge erschaffen werden können. Klimaaktivist Mayr ist zusammen mit Stadtteilbewohnern ein Urban-Gardening-Projekt angegangen, das den „Gravi“ genannten zentralen Platz grüner gestalten und verschönern soll. Der Aufenthalt der beiden Künstler ist zwar nur von kurzer Dauer, doch man werde dem Angestoßenen verbunden bleiben, sagt der Photovoltaik-Techniker.
Grundsätzlich sollen die Künstler, die die Interimsbleibe genießen dürfen, Lust darauf verspüren, sich mit den Menschen zu verbinden, und das Digitale im Blick haben. Während der Pandemie seien überraschender Weise eher bei den Jugendlichen als bei den Senioren Defizite festgestellt worden, sagt Christian Duve vom Stiftungsrat der Crespo Foundation. Es reiche nicht, sich auf TikTok oder Instagram auszukennen; vor allem die Schnittstelle zwischen Analogem und Digitalem verursache Probleme, erklärt die scheidende Quartiersmanagerin Angela Freiberg.
Preungesheim mit seinen mehr als 150 000 Einwohnern aus 118 Nationen eigne sich besonders gut für so ein Pilotprojekt, so Freiberg weiter. Das „FlieKü“ könne den Menschen vermitteln, dass sie mitgestalten und mitbewirken können.
„Es ist ein toller Lernraum, in dem niemand ausgegrenzt wird“, ergänzt Henrik Philipsen von der Diakonie Frankfurt und Offenbach, die das Quartiersmanagement trägt. Angesichts der aktuellen „Armutstendenzen“, so Sozialdezernentin Elke Voitl (Grüne), sei es wichtig, auch jenen mit weniger Mitteln kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Dazu müsse man „die Kultur zu den Leuten bringen“.
Doch nicht nur die Preungesheimer sollen von dem Spielraum profitieren. „Die Art, wie sich hier Ideen ausbreiten und ausarbeiten lassen“, sagt Grillmair, will sie mitnehmen und vielleicht auch auf Projekte übertragen, bei denen sie weniger unter Beobachtung steht. Katja Sturm