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Notruf in Frankfurt: Immer mehr Bagatelleinsätze - Der Krankenwagen als Taxi

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Nicht nur die Zahl an Rettungseinsätzen in der Mainmetropole steigt. Darunter sind auch mehr Fälle, bei denen eine Fahrt mit dem Taxi gereicht hätte.

Frankfurt - „Es gibt derzeit nur eine Richtung, und die zeigt steil nach oben“, sagt Benedikt Hart, Rettungsdienstleiter beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) in Frankfurt. Die Zahl, von der er spricht, ist die der Rettungseinsätze in der Stadt. Mehr als 150 000 seien es im vergangenen Jahr gewesen. Laut Berufsfeuerwehr, der die Zentrale Rettungsleitstelle untersteht, waren es nach ersten Hochrechnungen sogar über 160 000 Einsätze. Zum Vergleich: 2021 seien es 144 712 Einsätze gewesen.

Mit Blaulicht ist ein Rettungswagen auf dem Weg zum Einsatzort. Nicht nur die Anzahl der Einsätze ist gestiegen, auch sind immer mehr Bagatellfälle darunter.
Mit Blaulicht ist ein Rettungswagen auf dem Weg zum Einsatzort. Nicht nur die Anzahl der Einsätze ist gestiegen, auch sind immer mehr Bagatellfälle darunter. © picture alliance/dpa

Viel zu oft würden Rettungskräfte angefordert für Bagatelleinsätze, beklagt Hart. Eine Ursache sieht er im gestiegenen Komfort- und Anspruchsdenken von Hilfesuchenden, die etwa lange Wartezeiten auf Arzttermine zu umgehen suchten oder sich eine zeitlich bevorzugte Behandlung in der Klinik erhofften.

Überflüssige Notanrufe in Frankfurt: Nicht jede Verletzung braucht einen Rettungswagen

„Rettungskräfte werden gerufen, weil beispielsweise jemand seit drei Tagen Rückenschmerzen und der Hausarzt ihm erst für die nächste Woche einen Termin gegeben hat“, beschreibt Hart aus seiner Erfahrung eine der typischen überflüssigen Anforderungen. Eine andere: Jemand hat sich den Arm gebrochen und will mit dem Rettungswagen zum Röntgen in die Klinik.

Hart: „In solch einem Fall kann man mit dem Taxi fahren.“ Überhaupt sei der Transport per Taxi oftmals die angemessenere Entscheidung. „Die Leitstelle könnte das veranlassen und direkt das Taxi zum Hilfesuchenden schicken“, schlägt er vor. Die Taxi-Kosten sollten die Krankenkassen tragen.

Frankfurt: „Versorgung von Patienten in lebensbedrohlicher Lage ist in Gefahr“

„Die schnelle Versorgung von Patienten in lebensbedrohlicher Lage ist ernsthaft in Gefahr, wenn es nicht gelingt, die Zahl unnötiger Anforderungen spürbar zu reduzieren“, warnt Hart. Um das zu erreichen, ruft er auch die Kassenärztliche Vereinigung zur Unterstützung auf: „Der Rettungsdienst wird zu vielen Einsätzen gerufen, die eigentlich Aufgabe der hausärztlichen Versorgung wären.“ Es sollte wieder ärztliche Hausbesuche „rund um die Uhr“ geben, damit Patienten mit nicht lebensbedrohlicher Erkrankung direkt zu Hause versorgt werden könnten, anstatt den Notruf zu wählen.

Dieser Vorschlag findet die Zustimmung von Thomas Müller-Witte, Geschäftsführer des Arbeitersamariterbundes (ASB), selbst ausgebildeter Notfallsanitäter und seit über 30 Jahren im Rettungsdienst unterwegs. „So gut wie keine Hausbesuche mehr“ machten die in Frankfurter niedergelassenen Ärzte, bestätigt er. Weil die Patienten aber Hilfe wünschten und bräuchten, wachse der Druck auf die Notfallsanitäter.

Unnötige Anrufe belasten Frankfurter Rettungsdienste

„Der Versorgungsbedarf hat sich längst auf Rettungsdienste und Kliniken verlagert“, so Müller-Witte. Die Notaufnahmen der Kliniken ächzten vielfach ebenso unter der großen Zahl Hilfesuchender wie die Notfallsanitäter. „Da ist eine gehörige Schieflage entstanden“, so Müller-Witte. Zusätzlich entfalte das Fehlen von Pflegekräften in der ambulanten Versorgung alter Menschen eine fatale Wirkung auf die Frankfurter Rettungsdienste: wenn sich alte Menschen nicht anders zu helfen wüssten, als den Notruf zu wählen, auch wenn dies objektiv nicht notwendig sei.

Demografische Effekte auf der einen Seite, zunehmender Mangel an Fachkräften auf der anderen, übrigens auch bei den Rettungskräften, seien also eine weitere Belastung für die Einsatz-Teams. „In Teilen ist das Gesundheitssystem bereits kollabiert“, stellt Müller-Witte nüchtern fest. Der ASB ist nach der Feuerwehr der größte der insgesamt sechs Leistungserbringer im Frankfurter Rettungsdienst.

Frankfurt: Leitstelle muss verschiedene Transportmöglichkeit anbieten

Die Frankfurter müssten dafür sensibilisiert werden, den Rettungsdienst tatsächlich nur in Notfällen zu rufen, fordert Benedikt Hart. Die Politik sei gefordert, die Bevölkerung im Rahmen einer Kampagne über Alternativen zu informieren, nämlich über ambulante Versorgungsmöglichkeiten wie den ärztlichen Notdienst mit der Rufnummer 116 117, zusätzlich Pilotversuche starten, um auch medizinische Versorgungszentren in den Stadtteilen einzubinden.

Wichtig sei zudem, den Disponenten in der Leitstelle mehr Rechtssicherheit dafür zu geben, Hilfesuchende auf eine andere Versorgungs- oder Transportmöglichkeiten als ein Rettungsfahrzeug hinzuweisen. Ein in der Leitstelle anwesender Arzt, der gleichsam eine Filterfunktion übernehme bei der Entscheidung, ob und welches Rettungsmittel erforderlich sei, könnte die Lösung sein, findet Hart.

Diskussion über Entlastung der Frankfurter Notfall-Dienste müsse öffentlich geführt werden

Aktuell entsendeten die Disponenten auch dann Rettungsfahrzeuge, obwohl diese nicht erforderlich seien. „Um sich vor möglichen rechtlichen Risiken zu schützen“, so Hart. Wie heikel das mitunter sei, bestätigt Andreas Mohn, Sprecher der Berufsfeuerwehr. Fallen gewisse Stichworte, erwähnt der Anrufer gar konkrete Diagnosen, können Disponenten oft kaum anders entscheiden, um sich nicht juristisch angreifbar zu machen.

Benedikt Hart fordert nun in einem Positionspapier „Hilfe für den Frankfurter Rettungsdienst“ die offene Diskussion über Möglichkeiten der Entlastung der Notfall-Dienste, auch mit der Politik. Ordnungsdezernentin Annette Rinn (FDP), auch zuständig für die Berufsfeuerwehr, hat den Impuls bereits umgesetzt. Sie habe in dieser Angelegenheit mit dem Gesundheitsdezernenten Stefan Majer (Grüne) ein Gespräch vereinbart. (Sylvia Amanda Menzdorf)

Doch was erleben Rettungssanitäter in einer Nacht in Frankfurt? Meistens ist die Arbeit hart und wird unterschätzt.

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