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In Frankfurt lehrt die erste Professorin für Soziale Ökologie und Transdisziplinarität Deutschlands

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Flurina Schneider weiß ganz genau, wie erfolgreiche Kooperation funktioniert. FOTO: Enrico Sauda
Flurina Schneider weiß ganz genau, wie erfolgreiche Kooperation funktioniert. © Enrico Sauda

Flurina Schneider weiß, wie man Menschen zusammenbringt, die sonst gar nicht miteinander oder aneinander vorbei reden würden. Dieses Wissen vermittelt sie Frankfurter Studierenden - hat aber auch Kooperationsprojekte mit der Stadt Frankfurt selbst.

Frankfurt -Seit April 2021 ist Flurina Schneider Geschäftsführerin des Frankfurter Instituts für sozial-ökologische Forschung (ISOE), das sich vor allem mit Wassermanagement, Biodiversität, Energienutzung und der Verkehrswende befasst. Zum aktuellen Wintersemester hat Schneider außerdem eine Professur für Soziale Ökologie und Transdisziplinarität an der Goethe-Universität angetreten, die erste Professur mit dieser Ausrichtung in Deutschland überhaupt. Im Interview mit Redakteurin Sarah Bernhard spricht sie über die schwierige Suche nach Lösungen für globale Probleme, die Verantwortung des Einzelnen und das Geheimnis einer guten Zusammenarbeit.

Frau Schneider, Ihr Fachgebiet ist zumindest in Deutschland ziemlich neu. Was ist Soziale Ökologie?

Es geht um die Beziehungen zwischen Mensch und Natur, besonders um die Fälle, in denen sie problematisch sind, weil sie zum Beispiel zu Wasserknappheit, Rückgang der Biodiversität oder Klimawandel führen. Wir versuchen, diese Beziehungen zu verstehen und nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Das funktioniert unserer Meinung nach nur, wenn verschiedene wissenschaftliche Disziplinen sowie Forschung und Praxis zusammenarbeiten.

Klingt nach vielen verschiedenen Denkweisen und Interessen - und damit ziemlich anstrengend.

Unsere Stärke ist, dass wir Konzepte entwickelt haben, um die vielfältigen Perspektiven zusammenzubringen und eine gemeinsame Sprache zu entwickeln.

Ein Beispiel, bitte.

Eines meiner Forschungsprojekte beschäftigte sich mit nachhaltigem Wassermanagement in einem der trockensten Gebiete der Schweiz. Zunächst erforschten Hydrologinnen, wie viel Wasser es wo genau gibt. Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler ermittelten, wer die Wassernutzer sind, wie viel Wasser sie brauchen und wie sie Wasser sparen können. Und Soziologinnen, wer eigentlich darüber entscheidet, wer wann Wasser nutzen darf. Das Ergebnis waren verschiedene Arten von Daten.

Soweit kann ich folgen. Jetzt verraten Sie mir Ihr Geheimnis.

Gemeinsam mit den Beteiligten haben wir drei Zukunftsszenarien erarbeitet: "Wachstum", in dem Wirtschaft und Wintertourismus boomen. "Optimierung", in dem die Infrastruktur verbessert und das Wasser so sparsam wie möglich eingesetzt wird. Und "Degrowth", in dem die Lebensqualität ohne Wirtschaftswachstum gesteigert wird. Dann haben wir die verschiedenen Aspekte für jedes Szenario durchgerechnet. Beim Tourismus hieße das zum Beispiel: Mehr Schneekanonen für das erste Szenario, Stärkung des sanfteren Sommertourismus für die beiden anderen. Bei den Wasserrechten, dass sie beim ersten Szenario unverändert bleiben können, für die anderen beiden aber eine Neuverteilung zum Wohl der wasserarmen Gemeinden nötig ist. In einem Visionsworkshop haben wir dann gefragt: Wenn Ihre Kinder so alt sind wie Sie, wie soll die Region ausschauen?

Und?

Wir dachten, dass das "Degrowth"-Szenario auf wenig Zustimmung stoßen würde, aber am Ende haben viele diese Variante gewählt. Es ist nicht einfach, zuzuordnen, welche Veränderungen es dann tatsächlich aufgrund des Projekts gab. Auf jeden Fall kann ich sagen: Einige Jahre später sind einige der beteiligten Gemeinden fusioniert. Natürlich nicht nur wegen des Projekts, aber mehrere Akteure haben gesagt: Es war wichtig, gezeigt zu bekommen, dass wir bei der Ressourcenverteilung enger zusammenarbeiten müssen.

Dass alle Beteiligten zusammenarbeiten müssen, kommt mir logisch vor. Wieso gibt es dafür nicht längst Konzepte?

Wissenschaft und Verwaltung bearbeiten Probleme oft aus ihrer jeweiligen Sicht. Das hat durchaus Vorteile, man braucht ja auch Fachexpertise. Aber man muss auch über die Ränder schauen und kooperieren.

Nun kommt es ja leider öfter vor, dass die Lösung des einen Konflikts einen anderen verschärft. Wasserkraft zum Beispiel spart als erneuerbare Energieform CO2 ein, kann sich aber negativ auf die Biodiversität auswirken, weil Flächen überflutet werden und sich das Flussökosystem verändert.

Deshalb ist es wichtig, solche Wechselwirkungen transparent zu machen. Manchmal gibt es "Synergien", also positive Effekte für beide, manchmal "Trade-Offs", also für den einen positive, für den anderen negative Effekte. Die Vereinten Nationen haben 17 Ziele definiert, die für eine nachhaltige Entwicklung zu berücksichtigen sind. Biodiversitäts- und Klimaschutz sind zwei davon, kein Hunger und weniger Ungleichheiten zwei weitere. Auch da müssen wir nach Wechselwirkungen schauen. Und wir müssen verstehen, was die betroffenen Menschen wollen. In Ihrem Beispiel kann eine Lösung sein, dass ein Teil des Wassers im ursprünglichen Bachbett weiterfließt und so das Flussökosystem teilweise erhalten bleibt.

Viele der angesprochenen Konflikte gibt es auch in Frankfurt. Welche Lösungen kann das ISOE bieten?

In Frankfurt sind zentrale Themen Hitze, Trockenheit, Überflutungen, Wassernutzungs- und Flächenkonflikte. Dazu kommen die Folgen des hohen Pendleraufkommens. Bei solchen Konflikten können wir mit empirischen Untersuchungen helfen, die Situation besser zu verstehen, dann die Interessen der Akteure sichtbar machen und schließlich alle zusammenbringen, um tragfähige Lösungen zu finden. Dazu haben wir immer wieder auch Forschungsprojekte in Kooperation mit der Stadt. Gerade haben wir die grün-blaue Infrastruktur, also die bepflanzten und die Wasserflächen betrachtet. Parallel dazu haben wir in einem Forschungsverbund ein Tool entwickelt, das Kommunen helfen kann, bessere Lösungen zur Anpassung an den Klimawandel zu finden.

Schneider breitet einen Stadtplan auf dem Tisch aus und holt dann einen Packen größere Kärtchen sowie kleine, runde Chips hervor. Auf den Kärtchen stehen Maßnahmen und deren Wechselwirkungen. Bewässerung der Grünflächen etwa ist gut fürs Stadtklima, aber nicht ideal fürs Grundwasser.

Zum Beispiel bei einem Bürgerbeteiligungsverfahren kann man auf Basis der Karten überlegen, wo man trotz der Auswirkungen aufs Grundwasser bewässern sollte. Grünflächen wirken aus mehreren Gründen kühlend, deshalb sind sie in Gebieten wichtig, in denen besonders viele hitzeempfindliche Menschen leben, also Ältere, Menschen mit Vorerkrankungen und Kleinkinder.

Sie legt einen Chip, auf dem ein Kinderwagen zu sehen ist, in ein Wohngebiet, in den Grünstreifen daneben legt sie einen weiteren Chip mit einer Gießkanne.

So kann man versuchen, die hohe Komplexität solcher Projekte herunterzubrechen und in der ganz konkreten Planung handhabbar zu machen. Auch hier muss man aber natürlich wieder schauen, wie das Mosaik im Gesamten aussieht.

Einer Ihrer Schwerpunkte ist die Gerechtigkeit zwischen den Generationen und im globalen Maßstab. Beißt es sich nicht, wenn einerseits alle das gleiche Wohlstandslevel wollen, der Wohlstand aber andererseits die Umwelt zerstört?

Es ist herausfordernd, aber das heißt nicht, dass wir es nicht versuchen sollten. Damit auch die kommenden Generationen ein gutes Leben führen können, müssen wir CO2 sparen. Aber können wir das im gleichen Maße vom globalen Süden fordern? Schließlich haben den Klimawandel in erster Linie die Industrieländer mit ihrem hohen CO2-Ausstoß verursacht. Hier gilt es, neue, nachhaltige Entwicklungspfade mit geringeren Effekten auf die Umwelt zu erproben und auch unseren eigenen westlichen Wohlstandsmaßstab zu hinterfragen.

Ich hoffte auf eine allgemeingültige Antwort auf die Gerechtigkeitsfrage. Die werde ich nicht bekommen, oder?

Leider nein. Lösungen müssen immer für konkrete Situationen entwickelt werden, und dabei müssen auch die Gerechtigkeitsvorstellungen der Betroffenen mit einbezogen werden. Grundsätzlich kann man aber sagen, dass sozialer Ausgleich und damit Gerechtigkeit bis zu einem gewissen Grad durch Staaten garantiert werden muss. Es braucht dafür legitimierte Institutionen, von denen wir auf internationaler Ebene aber relativ wenige haben. Eine mögliche Lösung sind bilaterale Abkommen. Die Schweiz etwa hat im vergangenen Jahr als erstes Land überhaupt ein Freihandelsabkommen mit Indonesien geschlossen, in dem explizit Nachhaltigkeitsauflagen enthalten waren. Indonesien hält jetzt beim Palmölanbau bestimmte Kriterien ein, dafür bekommt es Handelsvorzüge.

Wenn es für Gerechtigkeit Institutionen braucht, heißt das, ich als Einzelne bin aus dem Schneider?

Auch der Einzelne hat ein großes Wirkungspotenzial. Viele technische und soziale Innovationen haben ihren Ursprung letztlich im Engagement Einzelner. Am Anfang haben zum Beispiel nur wenige den Zusammenhang zwischen Fleischkonsum und Klimaschutz erkannt und sich konsequent fleischlos ernährt. Inzwischen sind viele diesem Beispiel gefolgt. Über unsere Kaufentscheidungen können wir also vieles bewirken. Das wird alleine aber nicht reichen. Zum Beispiel kann ich als Mieterin nicht entscheiden, ob ich mit Öl oder Holz heize. Das kann nur der Hauseigentümer, aber der hat oft kein Interesse, eine größere Investition zu tätigen. Hier braucht es Anreize von der Politik.

Zur Person

Prof. Flurina Schneider studierte Geografie, Botanik und Recht an der Universität Basel und habilitierte an der Universität Bern zum Thema Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit. Bis 2020 leitete die 45-jährige Schweizerin das Cluster Landressourcen des Zentrums für Entwicklung und Umwelt (CDE) der Universität Bern. Sie ist verheiratet und für ihre neuen Aufgaben inzwischen nach Frankfurt gezogen.

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