In Frankfurt startet die größte Wasserstoff-Zugflotte der Welt

2022 will die Deutsche Bahn mit einer Wasserstoff-Zugflotte in Frankfurt an den Start gehen – eine Weltpremiere.
Frankfurt – Im Industriepark Höchst werden sie betankt, im Instandhaltungswerk von DB Regio in Griesheim werden die Züge gewartet: Die Zeichen stehen auf Zukunft. Von Ende kommenden Jahres an werden 27 Züge des neuen Fahrzeugtyps Coradia iLINT der Firma Alstom auf den Taunus-Linien RB 11, RB 12, RB 15 und RB 16 emissionsfrei mit Wasserstoff-Technologie die bisherigen Diesel-Züge ersetzen - das wird die größte Wasserstoff-Zugflotte weltweit sein und die erste im dauerhaften Regelbetrieb. Gestern war ein Vorserienzug erstmals auf Stippvisite im „Gleis 460 Ost“ des Reparaturwerks. „Hier entsteht ein Zentrum für die Zukunftstechnologie“, sagte Oliver Teerhag, Produktionsvorstand der AG für den Personennahverkehr der Deutschen Bahn.
Deutsche Bahn entwickelt Wasserstoff-Technik in Frankfurt weiter
Damit entwickeln die DB Regio, der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV), Alstom und Infraserv Höchst als Betreiber des Industrieparks die Wasserstoff-Infrastruktur im Rhein-Main-Gebiet weiter. Der erste Spatenstich für die Wasserstoff-Zugtankstelle im Industriepark ist bereits im Oktober gesetzt worden; im dritten Quartal 2022 sollen die Alstom-Züge ausgeliefert werden. Bis dahin muss allerdings noch geklärt werden, wer die Züge betreibt. Der Auftrag werde in den nächsten Wochen ausgeschrieben, sagte RMV-Geschäftsführer Knut Ringat - einer der Bewerber wird die DB Regio sein. „Das Projekt ist voll im Zeitplan“, freut sich Ringat. Jörg Nikutta, Managing Director der Alstom Österreich, pflichtet bei: „Mit der Ausschreibung für Wasserstoffzüge hat das Land Hessen mit dem RMV grundlegende Weichen gestellt.“
Noch werden 30 bis 35 Prozent aller RMV-Strecken mit Dieselloks befahren - weil Oberleitungen fehlen oder baulich nicht umsetzbar sind. "2040 will die Deutsche Bahn klimaneutral sein", sagt Oliver Terhaag. Das heißt: keine Dieselloks mehr, auch keine Diesel-Busse. Die Loks werden durch Akku- oder Wasserstoffzüge ersetzt. Akku-Züge sind auf Strecken sinnvoll, auf denen es nur kurze Oberleitungs-Unterbrechungen gibt. Auf gänzlich nicht elektrifizierten Strecken ist die Wasserstofftechnologie vorteilhafter. Denn: Mit einer Wasserstoff-Füllung kommen die Züge 1000 Kilometer weit - auch bei laufender Klimaanlage im Sommer oder bullernder Heizung im Winter. Die Spitzengeschwindigkeit liegt bei 140 Kilometern pro Stunde, die Beschleunigung ist etwas sportlicher - aber im Gegensatz zum Diesel geräuscharm. Jeweils die Hälfte der Flotte soll pro Tag im Industriepark betankt werden; jeder Tankvorgang dauert - wie bei einer Diesellok - etwa 15 Minuten. Damit die Züge problemloser in den Industriepark gelangen, werden auf Höhe des früheren Höchster Güterbahnhofs noch vier neue Weichen installiert.
Deutsche Bahn: Neue Wasserstoff-Züge zwischen dem Taunus und Frankfurt
Der Wasserstoff ist ein Abfallprodukt; rund sieben Tonnen fallen davon täglich im Industriepark Höchst an. Es ist kein "grüner" Wasserstoff, also nicht völlig emissionsfrei produziert; noch fällt er unter die Klassifizierung "grau". Aber neben der Tankstelle wird ein Fünf-Megawatt-Elektrolyseur gebaut, der die Umweltbilanz verbessern soll. Dass der Wasserstoff dann aus mehreren Quellen kommt, dient auch der Betriebssicherheit der Züge: Sollte die Produktion, bei der im Industriepark Wasserstoff als Abfallprodukt anfällt, einmal stillstehen, können die Züge trotzdem weiterrollen.
Dass sie rollen, dafür sorgt die Griesheimer Werkstatt, wo rund 220 Beschäftigte an 365 Tagen im Jahr fast rund um die Uhr im Einsatz sind, um jeden Tag im Schnitt 60 Fahrzeuge für ihren Einsatz im Rhein-Main-Gebiet fit zu machen. Immerhin 25 Jahre sollen die Wasserstoff-Züge halten - bei rund 2,5 Millionen Flottenkilometern pro Jahr. Die Mitarbeiter dort werden jetzt von Alstom-Kollegen geschult. Da der iLINT auf einer Dieselvariante basiert, sind viele Wartungsschritte - etwa bei Drehgestellen oder Bremssystemen - gleich, unabhängig vom Antrieb. Neu sind Arbeiten an der Brennstoffzelle, dem Tank oder der großen Batterie. Um die spezifischen Wasserstoffkomponenten warten zu können, wird ein Arbeitsbereich im Werk angepasst.

Wasserstoff-Züge zwischen dem Taunus und Frankfurt: Deutsche Bahn schafft mehr Platz für Pendler
Der Zug ist pro Einheit 45 Meter lang, bietet 160 Sitzplätze und Platz für insgesamt 300 Fahrgäste. Auf den vier Taunus-Strecken wird meist in Doppeltraktion gefahren, also mit zwei gekoppelten Einheiten. Die derzeitigen Dieselzüge haben nur 120 Sitzplätze pro Einheit - es gibt also mehr Kapazität auf den Pendlerstrecken. Die Züge wechseln selbsttätig zwischen der Brennstoffzelle als Hauptstromquelle und der Pufferbatterie, in der überschüssige Energie - etwa beim Bremsen - gespeichert wird. Der Zug scannt seine Strecke per GPS ab und weiß, wann eine Steigung kommt und mehr Energie benötigt wird. Für den Menschen im Führerstand wird der Wechsel von Diesel zu Wasserstoff eher unspektakulär: Der Knopf "Starte Dieselmotor" heißt künftig einfach "Starte Energiesystem". (Holger Vonhof)
Während die klimafreundlichen Züge erst nächstes Jahr in Einsatz gehen sollen, ist bereits ein Wasserstoffbus testweise in Frankfurt im Einsatz.