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Interview: „Ästhetik ist wichtig“

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Dr. Ulrich Rieger
Dr. Ulrich Rieger © Heike Lyding

Wie kann die Brust nach einer Krebsoperation wiederhergestellt werden? Und wann sollte Brustgewebe vorsorglich entfernt werden? Darüber sprechen die Privatdozenten Dr. Marc Thill und Dr. Ulrich Rieger vom Agaplesion Markus Krankenhaus im Interview.

Für Frauen bedeutet eine Brust-OP auch einen Angriff auf ihre Schönheit. Wie gehen Sie damit um?

PD DR. MARC THILL: Sie müssen diesen Aspekt neben dem medizinischen immer mitberücksichtigen: Wenn Sie kein Ästhet sind, können Sie kein Senologe sein.

Wie erleben Sie die Gespräche mit den Patientinnen in diesem Punkt?

PD DR. ULRICH RIEGER: Die Hauptangst der Patientin besteht sicherlich vor dem Tumor. Aber gleich darauf folgt die Frage, wie es mit der körperlichen Integrität aussieht. Wie ist meine Weiblichkeit nach der Operation?

Wann raten Sie einer Frau zur Rekonstruktion der Brust?

THILL: Beispielsweise, wenn der Tumor eine bestimmte Ausdehnung hat. Brusterhaltend zu operieren ist häufig möglich, aber nicht immer ästhetisch die schönste Lösung, weil die Brüste danach unterschiedlich aussehen. Die erste Hausaufgabe für die Patientin in dieser Situation ist, sich zu überlegen, ob und wenn ja, wie die Brust rekonstruiert werden soll. Die Frau muss selbst entscheiden, ob sie ein Implantat oder Eigengewebe bevorzugt.

Noch sind Implantate der Standard. Warum?

THILL: Häufig sind Patientinnen zunächst eher abgeschreckt von der Idee, mit Eigengewebe die Brust wieder aufzubauen. Die Operation ist aufwändiger.

Wenn die Frauen eine Bestrahlung nach der Operation brauchen, kann die Rekonstruktion erst später erfolgen?

RIEGER: Bestrahlung und Implantat – das passt ganz schlecht zusammen. Denn die Bestrahlung schädigt ja das noch vorhandene Gewebe. Das birgt ein erhebliches Risiko für Komplikationen. Im schlimmsten Fall muss das Implantat wieder entfernt werden. Das ist die Domäne des Eigengewebes.

THILL: Zu bedenken ist außerdem: Es ist schlimm für die Frauen, ohne ihre Brust aufzuwachen. Radikale Operationen macht man heute zum Glück weniger. Im Idealfall erfolgen onkologische Operation und Rekonstruktion in einer Operation. So kommt das Brustverlustsyndrom für die Patientin nicht zum Tragen.

Sie befürworten stark den Brustaufbau mit Eigengewebe. Die Operation ist wesentlich komplizierter – worin liegt der Vorteil?

RIEGER: Das Fettgewebe von Unterbauch oder Oberschenkelinnenseite ist dem Brustdrüsengewebe sehr ähnlich. Nimmt man es für die Rekonstruktion, verhält sich das Gewebe wie vorher. Die Brust verändert die Form im Alter, ein Implantat nicht. Das Eigengewebe vollzieht dagegen den Alterungsprozess mit.

Seit Angelina Jolies Fall machen sich viele Frauen Gedanken um einen Gentest und die prophylaktische Brustgewebeentfernung bei erblichem Brustkrebs – wann ist das sinnvoll?

RIEGER: Zunächst sollten sich die Frauen einer genetischen Beratung unterziehen, um eine Stammbaumanalyse durchzuführen. Je nachdem, wie viele Erkrankungen es in welcher Linie des Stammbaums gab, kann das Risiko berechnet werden. Erst danach wird entschieden, ob eine genetische Testung sinnvoll ist. Allerdings können auch Patientinnen ohne diese bekannten Mutationen in den Genen BRCA 1 und 2 bei familiärer Belastung ein erhöhtes Risiko in sich tragen.

Allein die genetische Disposition reicht nicht, damit Sie eine prophylaktische Brustgewebsentfernung empfehlen?

THILL: So ist es. Liegt eine BRCA1 oder 2 Mutation vor, besprechen wir eine prophylaktische Brustentfernung, allerdings nehmen wir dies nicht allein zum Anlass, eine so weitreichende Entscheidung mit der Patientin zu treffen. Es gibt zum Beispiel viele unklassifizierte Gene, von denen wir zur Zeit nicht wissen, ob und wie sehr sie für den Krebs verantwortlich sind. Bei einem erhöhten Risiko für die Entwicklung eines Eierstockkrebses raten wir ab dem 40. Lebensjahr allerdings definitiv zur Entfernung der Eierstöcke.

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