Interview mit Markus Leben und Volker Kilian: „Ein Traumprojekt“

Sie haben die Schwanenhallen und das Foyer des Römers saniert, das Bockenheimer Depot, die Zuschauerräume im Schauspiel und Kammerspiel: Mit öffentlichen Bauprojekten und Kulturtempeln kennen sich die Frankfurter Architekten Markus Leben und Volker Kilian aus. Anlässlich des Tages der Architektur am kommenden Wochenende hat Redakteurin Stefanie Liedtke mit ihnen über die Städtischen Bühnen gesprochen.
Hand aufs Herz: Als Sie die Summe von mehr als 800 Millionen Euro gehört haben, die für die Sanierung oder einen Neubau der Städtischen Bühnen und der Oper notwendig sein sollen, haben Sie da geschluckt oder gedacht „Endlich sagt mal einer, was es wirklich kostet“?
MARKUS LEBEN: Das ist natürlich eine gigantische Zahl, aber wir haben uns das, was von der Machbarkeitsstudie öffentlich zugänglich ist, sehr genau angeschaut. Das ist alles sehr vernünftig. Da sind immer wieder Risikozuschläge für Unvorhergesehenes eingerechnet und allein 113 Millionen Euro für Kostensteigerungen. Die Stadt hat jetzt eine gute Entscheidungsgrundlage an der Hand.
Also halten Sie die Summe von über 800 Millionen Euro für realistisch?
LEBEN: Wenn Sie ein Haus haben wollen, das in der ersten Liga spielt und Preise einheimst, müssen Sie ihm auch die Möglichkeiten dafür bieten.
Es ginge aber auch billiger.
LEBEN: Natürlich kann man das auf andere Beine stellen. Aber dann werden Sie nicht zu den Häusern gehören, die europaweit führend sind. Wenn es die Zielrichtung der Stadt ist, den Brexit für sich zu nutzen und künftig in einem Atemzug mit Metropolen wie Paris oder Madrid genannt zu werden, dann braucht sie ein erstklassiges Schauspiel und eine erstklassige Oper.
Von dem Vorschlag der SPD-Kulturdezernentin Ina Hartwig, noch einmal eine Sparvariante zu berechnen, halten Sie demnach nichts?
LEBEN: Sie bekommen, was Sie bezahlen. Es schadet sicherlich nichts, eine breitgefächerte Entscheidungsgrundlage zu haben. Aber dann muss man sich entscheiden, was man will: das große oder das kleine Kino. Dieses Projekt ist eine enorme Chance für die Stadt. Schauen Sie sich das Museumsufer an: Was hat das heute für eine Strahlkraft! Das war damals eine gute Entscheidung. Manchmal muss man mutig sein. Wir sollten den Bühnen eine Chance geben.
Seit der Veröffentlichung der Machbarkeitsstudie steht der Standort am Willy-Brandt-Platz wieder in Frage. Was halten Sie davon?
KILIAN: Nichts. Das ist kein x-beliebiger Standort. Aus städtebaulicher Sicht ist es ganz wichtig, dass die Bühnen dort bleiben, wo sie sind. Das Gebäude stellt eine gelungene Verbindung zwischen den grünen Wallanlagen auf der einen und dem raueren Bahnhofsviertel auf der anderen Seite dar. Auch der Blick vom Goldwolken-Foyer auf die Wallanlagen ist etwas Besonderes. Ich bin zudem fest davon überzeugt, dass Orte, die über Jahrzehnte einer bestimmten Nutzung unterliegen, einen besonderen Geist entwickeln. Das Schauspiel ist solch ein Ort. Klares Plädoyer für den Standort.
Sind Sie auch so meinungsfreudig, wenn es um die Frage Sanierung oder Neubau geht?
LEBEN: Wir wissen, wie schwierig es ist, einen Umbau im laufenden Betrieb zu bewältigen – gerade bei den Bühnen. In der spielfreien Zeit kann man viel machen, wenn man es gut vorbereitet, aber nach zehn, elf Wochen läuft die Theatermaschinerie wieder unerbittlich an. Man kann ein solches Haus nicht in der spielfreien Zeit komplett sanieren. Das würde sich ewig hinziehen und eine lange Leidenszeit für die mehr als tausend Bühnenmitarbeiter bedeuten.
Also abreißen und neu bauen? Sie haben doch gerade vom Goldwolken-Himmel geschwärmt . . .
KILIAN: Es ist ja auch denkbar, den Goldwolken-Himmel neu zu interpretieren.
LEBEN: Aus bautechnischer Sicht würde man ein solches Gebäude freiwillig eher nicht sanieren, wenn nicht ein gewisser Wert dahinter steht. Deshalb stellt sich immer die Frage: Welcher Wert steht dahinter?
Und wie ist das bei den Bühnen?
LEBEN: Die Fassade prägt das Stadtbild am Willy-Brandt-Platz. Solche Identifikationspunkte sind in einer schnelllebigen Stadt wie Frankfurt enorm wichtig. Aber die restlichen Fassaden – mit Ausnahme des Werkstattneubaus – sind doch sehr schlicht. Deshalb sind wir da im Zwiespalt.
KILIAN: Architektonisch ist die Doppelanlage mit Oper und Schauspiel schon etwas Besonderes, diese Großzügigkeit, wie damals mit Fläche umgegangen wurde. Lange Zeit waren das die größten Glasscheiben in ganz Frankfurt.
Warum nicht die Fassade erhalten und den Rest abreißen?
LEBEN: Das wäre denkbar. Aber ein Umbau ist immer mit Kompromissen behaftet. Man kann sich dem Neubaustandard immer nur annähern. Das Gebäude ist 115 Jahre alt. Mit einem effizienten Neubau spart man langfristig Kosten.
Bietet die Kalkulation in der Machbarkeitsstudie Raum für eine besondere Architektur oder hat man da eher einen Zweckbau kalkuliert?
LEBEN: Da ist schon Spielraum vorhanden. Die Zahlen, die zum Vergleich herangezogen werden, sind die anderer bundesweit renommierter Theater.
Warum sind öffentliche Bauprojekte eigentlich immer so teuer?
KILIAN: Öffentliches Bauen war noch nie günstig. Dabei geht es aber auch um Gebäude, die trotz einer intensiven Nutzung eine überdurchschnittliche Lebensdauer haben. Es gibt in Frankfurt Schulen, die sind 120 Jahre alt. Warum? Weil sie nach damaligem Standard qualitativ hochwertig gebaut wurden.
LEBEN: Ein öffentlicher Auftraggeber hat andere Interessen als ein privater. Nur ein Beispiel: Dem privaten Investor ist es relativ egal, wie hoch die Heizkosten seiner Mieter sind. Die Stadt muss diese Heizkosten selbst zahlen. Deshalb investiert sie nachhaltiger.
Hohe Standards sind das eine, Kostenexplosionen etwas anderes . . .
KILIAN: Natürlich. Das kocht dann immer wieder hoch, wenn es um extreme Projekte wie den Berliner Flughafen oder die Elbphilharmonie geht. Aber schauen wir uns die Elbphilharmonie an: Die Kosten sind natürlich völlig aus dem Ruder gelaufen. Trotzdem werden die Hamburger auch in 30, 40 Jahren noch gerne in die Philharmonie gehen oder vom Hafen aus deren Anblick genießen. Dann wird das niemand mehr hinterfragen. In Sidney war es bei der Oper ganz ähnlich. Es gibt übrigens auch viele öffentliche Großprojekte, bei denen alles nach Plan läuft. Über diese spricht nur niemand.
Welche denn?
KILIAN: Die Rekonstruktion der Altstadt zum Beispiel. Das ist ein komplexes Projekt an einem schwierigen Standort. Aber größere Probleme sind bislang keine aufgetreten, weil das professionell gemanagt wird.
Worauf kommt es an, damit Großprojekte im Kostenrahmen bleiben?
KILIAN: Auf das Projektmanagement – und zwar bevor die Baumaschinen anrollen. Die Leute denken immer, man könne ein Projekt in der Bauphase noch steuern. Dem ist jedoch nicht so, da kann man allenfalls noch kleinere Anpassungen machen. Das muss alles vorher passieren.
So, wie es jetzt bei den Städtischen Bühnen geschieht?
LEBEN: Ja. Aus unserer Sicht macht die Stadt Frankfurt bei den Bühnen alles richtig.
Wenn es irgendwann einen Architektenwettbewerb für die Bühnen gibt – machen Sie mit?
LEBEN: Das wäre schon ein Traumprojekt . . .