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„Jede falsche Bewegung kann tödlich sein“: So ist der Alltag als Sanitäter in Frankfurt

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Die ASB-Rettungssanitäter Ahmad Fraz und Chris Grüne sind sich einig: „Routine und Erfahrung ersetzen keine Empathie.“
Die ASB-Rettungssanitäter Ahmad Fraz und Chris Grüne sind sich einig: „Routine und Erfahrung ersetzen keine Empathie.“ © Schramek

Chris Grüne und Ahmad Fraz sind in Frankfurt als Rettungssanitäter unterwegs. Wir haben sie zwölf Stunden lang begleitet.

Frankfurt – Der Tag beginnt schlecht für Notfallsanitäter, wenn die Krankenhausliste in Frankfurt viel Rot zeigt. „Es ist schon wieder alles voll“, seufzt Chris Grüne (43). Die Fahrt geht nach Darmstadt, weil kein Frankfurter Krankenhaus Platz hat für einen Mann, der Durchfall hat und völlig dehydriert und desorientiert in seiner Wohnung gefunden wird. „Die Kombination aus Internisten, Neurologen und Ansteckungsverdacht gibt hier gerade nichts her“, erklärt der Mann in roten Hosen und weißem Polohemd, der eben noch gemeinsam mit Ahmad Fraz (26) sanft geduldig auf den Patienten eingeredet hat, bevor sie ihm ein paar Sachen eingepackt und ihn die Treppe hinuntergetragen haben.

Rettungssanitäter in Frankfurt: Ein Notruf folgt dem nächsten

Das Martinshorn schrillt, Blaulicht blinkt, das EKG im Behandlungsabteil des Rettungswagens läuft und zeigt merkwürdige Ausschläge, die zurückgehen, weil die Infusion mit Kochsalz Wirkung zeigt. Statt in zehn Minuten eine Notaufnahme in Frankfurt zu erreichen, müssen sie weit über die Autobahn fahren. Grüne steuert den Rettungswagen schnell durch den Verkehr und schüttelt den Kopf, wenn Autofahrer keinen Platz machen. Fraz betreut den geschwächten Mann auf der Liege, und wechselt mehrfach die blauen Latexhandschuhe, wenn er zwischen Berichte schreiben und Patientenhautkontakt wechselt. Freundlich werden Patient und Sanitäter begrüßt, Fraz erzählt knapp und präzise, was dem Mann fehlt und wie er aufgefunden wurde. Die Ärzte übernehmen.

Zwölf Stunden lang dauert eine Schicht, die die Männer vom Arbeiter Samariter Bund (ASB) im Dienst sind. Der Notfallsanitäter Grüne ist seit 13 Jahren dabei, Fraz steht im dritten Lehrjahr als Notfallsanitäter kurz vor der Prüfung. Freundlich, hilfsbereit, geduldig, routiniert, erfahren und mit dem einzigen Wunsch, im Notfall Menschen helfen zu können, sind sie unterwegs.

Bei Dienstbeginn weiß niemand, was sie erwartet. Die gemeldete hilflose Person im Bahnhofsviertel am frühen Morgen ist eine Frau, die auf dem Trottoir geschlafen hat. Sie wird von den beiden geweckt und mit Wasser versorgt, bevor sie ohne Hilfe weiterzieht. „Das war unnötig“, so Grüne. „Der Melder hätte sie ebenfalls einfach ansprechen können. Aber viele Leute trauen sich das nicht und rufen lieber die 112 an. Das ist aus Sicht des Anrufers nachvollziehbar, für uns relativ sinnlos.“ Viel zu wenige Rettungssanitäter gebe es. 45 Rettungswagen sind tagsüber in der Stadt, in der täglich 380 Mal die Rettung gerufen wird. Manchmal auch 600 Mal. Solange der Wagen 01/83-3 im Einsatz ist, schweigt das Funkgerät.

Frankfurt: Sanitäter berichten von ihrem Alltag – „Jede falsche Bewegung kann tödlich sein“

In dem Moment, in der er vorbei ist, kommt der nächste Notruf. Ein „Fahrradunfall“ wird gemeldet, das Team rast mit Blaulicht los. Schmerzen an den Beinen, am Kopf und am Brustkorb schildert die blasse junge Frau leise, die auf dem Weg zur Arbeit über den Lenker gestürzt ist. Zwei Krankenhäuser zeigen „grün“. Grüne wählt die näher liegende Klinik, Fraz kümmert sich um die Frau, beruhigt sie mit sanfter Stimme. Der Kreislauf ist stabil, es gibt keine besonderen Lungengeräusche, gebrochen ist nichts. Zur genauen Untersuchung kommt sie in die Klinik. „Falls es doch eine versteckte innere Blutung gibt“, so Fraz.

In einem Behandlungsraum schreit ein Mann, der von Bekannten gebracht wurde vor Schmerz. Er muss in ein anderes Krankenhaus, weil es keinen Schockraum gibt. Herzinfarkt, Schlaganfall und eingerissene Arterien lautet die Diagnose. „Jede falsche Bewegung kann tödlich sein“, wissen die Sanis und fahren mit Blaulicht wie auf rohen Eiern, vermeiden Gullideckel und Schlaglöcher. Fraz hält die Hand des Mannes und beobachtet das EKG. Die Stimmung ist angespannt. Der Patient kommt lebend an, seine grünen Augen zeigen, dass er nicht versteht, was mit ihm passiert ist. „Ich kann nicht mehr“, sagt er und wird sofort 13 Stunden lang notoperiert. Zwei Tage später wird er dennoch sterben. Wieder schrillt der Funk. 90 Sekunden Zeit bleiben, bis sich der Wagen in Bewegung setzen muss, spätestens zehn Minuten später muss er am Einsatzort sein. An Pause ist nicht zu denken. Kinder, Jugendliche, Berufstätige und Rentner brauchen Hilfe. Es gibt kaum Infos, wie es am Einsatzort aussieht.

„Es kommt vor, dass wir angegriffen werden“: Frankfurter Rettungssanitäter berichten

Ob jemand gewalttätig oder aggressiv ist, ob die Situation lebensbedrohlich ist oder nicht: „Es kommt vor, dass wir angegriffen werden“, so Grüne. „Zum Glück eher selten. Die Verantwortung für den Patienten haben wir immer.“ Grüne wünscht sich „seine 50. Geburt im RTW“. Stattdessen fährt er mit Fraz unerfreuliche Notfälle in Krankenhäuser. „Es ist anstrengend und es ist schön“, sind sich Grüne und Fraz einig.

Manche Bilder bleiben lange im Gedächtnis. „Routine und Erfahrung ersetzen keine Empathie“, sind sich die Sanitäter einig. Wenn sie zum nächsten Patienten unterwegs sind, sprechen sie miteinander. Darüber, was sie erleben und darüber, dass der tägliche Stress weniger wäre, wenn es mehr Notfallsanitäter und mehr freie Kapazitäten in den Notaufnahmen gäbe. „Meine 50. Geburt kommt bestimmt“, so Grüne lachend. Den Rest bezweifelt er, stellt das Martinshorn an und rast zu einem jungen Mädchen, das bewusstlos in einem Supermarkt zusammengebrochen ist.

Der 21-jährige Tim braucht dringend Stammzellen. Zwei Kollegen vom Rettungsdienst wollen bei einer Aktion in Frankfurt einen passenden Spender finden.

Zwölf Stunden Dienst gehen um wie im Flug. Bei Tag ist die Schicht leichter durchzuhalten als in der Nacht. Die nächste Nachtschicht für Grüne und Fraz ist schon am nächsten Tag. In der Zwischenzeit informiert Grüne, der in sozialen Medien eine gewisse Bekanntheit genießt, seine fast 30.000 Follower auf Instagram unter #notruf.frankfurt. (Sabine Schramek)

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