Jugendliche erkranken häufiger an Diabetes

Die Zahl junger Typ-1-Patienten steigt laut Frankfurter Fachärzten „signifikant“ - doch die Ursache ist unklar.
Frankfurt. Die Zahl junger Patienten mit Typ-1-Diabetes Typ steigt auch in Frankfurt „signifikant“, heißt es an der Uniklinik Frankfurt. Als mögliche Ursache dafür nennen Fachmediziner die Corona-Pandemie und Folgen für das Immunsystem.
Philipp ist ein solcher Patient. Er ist ein sportlicher Junge. Er schwimmt im Verein, nimmt auch an Wettkämpfen teil, spielt Eishockey. Philipp, der eigentlich anders heißt, hat sich in den vergangenen Wochen verändert. Statt des fröhlichen Zehnjährigen habe sie plötzlich ein Kind mit melancholischem Gesichtsausdruck gehabt, sagt seine Mutter. „Er ist leistungsmäßig abgefallen im Sport, klagte über Kopfschmerzen und Schwindel.“ Auch, als er erzählte, er habe nachts acht mal zur Toilette gemusst, mochten die Eltern nicht recht an eine körperliche Ursache glauben. Sie dachten an seelisch Belastendes, daran, etwas vorgefallen sein könnte in der Umkleidekabine. „Man hört ja so viele kranke Sachen“, sagt die Mutter.
Als Philipp einnässte, vermuteten die Eltern eine Blasenentzündung, vielleicht vom letzten Schwimmwettkampf, und machten einen Termin beim Urologen. Nach dem Urintest dort kam die für alle völlig überraschende Diagnose. Philipp hat eine Typ-1-Diabetes. „Das war ein totaler Schock“, sagt die Mutter. Wenn Wörter fielen wie „unheilbar“ und „ein Leben lang“, mache das eben Angst.
Mittlerweile hat die Familie viel von dieser Angst überwunden. Denn in der Kinderdiabetologie im Varisano-Klinikum Höchst, wo Philipp stationär aufgenommen wurde, hat sie medizinisch wie auch menschlich alle Hilfe erfahren, die es in dieser Situation braucht. Plötzlich ein Kind mit einer chronischen Krankheit zu haben, das mussten die Eltern erst einmal verdauen. „Du kriegst persönlich eine Verantwortung, die ist erdrückend“, sagt die Mutter. Je mehr sie alle lernen über die Diabetes, desto mehr wächst aber die Erkenntnis: Das können wir schaffen.
„Es ist ein harter Einschnitt ins Leben. Aber wir können aufzeigen, dass es heute ganz tolle Behandlungsoptionen gibt“, sagt Chefarzt Daniel Lorenz von der Kinderklinik im Varisano-Krankenhaus Höchst. Sie ist neben der Uni-Klinik und dem Clementine-Kinderhospital eine von drei Fachkliniken in Frankfurt, die Kinder mit Typ-1-Diabetes stationär aufnimmt. Das sei für Kinder wie Eltern wichtig, um alle „so fit zu machen, dass sie sich danach zu Hause sicher fühlen“, was den Umgang mit der chronischen Erkrankung angeht. Das brauche Zeit und sei ambulant so nicht leistbar, sagt der Chefarzt.
Genug Betten: Kliniken stellen sich auf Lage ein
Er als Diabetologe und sein Team, zu dem etwa auch Ernährungsberater, Psychologen und Physiotherapeuten gehören, wirke daran mit, das Kind und die Eltern auf das Leben mit der Diabetes einzustellen. „Es ist eine multimodale Behandlung“, sagt Lorenz. Zehn Tage Klinikaufenthalt sind die Regel, dann sind die jungen Patienten und ihre Familie so weit, dass sie mit der neuen Situation zurechtkommen.
Die aktuelle Therapie, mit der auch Philipp künftig seinen Blutzucker auf einem guten Level halten kann, sei nicht mehr vergleichbar mit Therapien vor 20 und sogar zehn Jahren, erläutert Lorenz. KI-gestützt ist das System zur laufenden Blutzuckerkontrolle und automatischen Insulin-Dosierung heute, die Kosten dafür tragen die Krankenkassen. Dass für junge Typ1-Diabetiker kein Bett frei ist, ist laut Lorenz die Ausnahme. Einen Platz bekomme jeder, die drei Fachkliniken pflegten eine enge Absprache und tauschten sich auch in medizinischen Fragen aus.
„Signifikant“ nennt Professor Jan-Henning Klusmann, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin an der Universitätsklinik Frankfurt, den Anstieg bei jungen Patienten mit Typ-1-Diabetes in seinem Haus. Um über 25 Prozent sei die Zahl der stationären Behandlungen seit 2020 gestiegen. Das Clementine-Kinderhospital beobachtet laut Sprecher Silvio Wagner ebenfalls eine kontinuierliche Fall-Zunahme. 280 Kinder- und Jugendliche mit Diabetes-Typ-1 werden hier mittlerweile in der Ambulanz kontinuierlich behandelt.
Eine der Erklärungen, die derzeit diskutiert wird: Abstandsregeln und andere Maßnahmen in der Pandemie haben dazu geführt, dass sich das Immunsystem wenig mit Infektionen auseinandersetzen musste. Das habe anschließend zu „überschießenden Immunreaktionen - auch gegen den eigenen Körper“ geführt, erläutert Klusmann, betont aber, dass dies bislang nur eine Hypothese sei. Weil für die Behandlung stationär nur eingeschränkt Betten zur Verfügung stehen, hat die Uniklinik eine Tagesstation mit 20 Betten und einen neuen Ambulanzbereich eröffnet. Das kompensiere zumindest teilweise die Bettenknappheit. Als besondere Herausforderung sieht Professor Klusmann die Gewinnung von Fachkräften an.
Philipp wird ein weitgehend normales Leben führen. Da sind sich seine Eltern nach dem ersten Schreck mittlerweile sicher. Seinen geliebten Sport könne er weiter betreiben, sagt seine Mutter. Und auch das Lächeln ist zurück. babs