1. Startseite
  2. Frankfurt

Kritische Töne eines Erzbischofs im Dom: „Wir brauchen keine Kirche der Macht“

Kommentare

In Erinnerung an Kaiser Karl den Großen, der nicht nur Gründervater Europas ist, sondern auch Patron der Stadt und des Kaiserdoms, feierte die katholische Stadtkirche am Samstag das traditionelle Karlsamt. Hauptzelebrant und Prediger war Erzbischof Éric de Moulins-Beaufort aus Reims (Mitte). Ganz links Georg Bätzing, Bischof von Limburg.
In Erinnerung an Kaiser Karl den Großen, der nicht nur Gründervater Europas ist, sondern auch Patron der Stadt und des Kaiserdoms, feierte die katholische Stadtkirche am Samstag das traditionelle Karlsamt. Hauptzelebrant und Prediger war Erzbischof Éric de Moulins-Beaufort aus Reims (Mitte). Ganz links Georg Bätzing, Bischof von Limburg. © rainer rüffer

Éric de Moulins-Beaufort, der Erzbischof von Reims, zelebriert im Frankfurter Bartholomäusdom das Karlsamt. Und auch die Eintracht-Hymne erklingt.

Frankfurt -Wenn die mächtige Gloriosa vorab mit ihren elf Tonnen zum Karlsamt läutet, schwingt sich der Kaiserdom Sankt Bartholomäus zu wahrer Größe auf. Zwar bringt es besagte Bronzeglocke nur auf Rang drei hinter der Petersglocke im Kölner und der Großen Glocke im Paderborner Dom. Doch als Krönungskirche spielt der Frankfurter Dom tatsächlich in einer Liga mit der Westminsterabtei zu London und der Kathedrale zu Reims.

Dieses Jahr zelebriert der Erzbischof von Reims und Vorsitzende der Französischen Bischofskonferenz Éric de Moulins-Beaufort das Karlsamt und gibt den 729 Dombesuchern eine wichtige Botschaft mit: „Wir befinden uns in einem Europa, in dem die Staaten einander helfen, in Wohlstand und Gerechtigkeit in einer universellen Bewegung wirtschaftlicher und kultureller Globalisierung zu leben.“ Und in dem die Kirche „nicht mehr die Mutter ist, die Menschen zum Leben im Geist befähigt.“ Darauf solle man sich besinnen, wenn man den Frankenkaiser Karl den Großen als Vater eines christlichen Europas feiert, das heute nicht mehr die dominierende Größe der Welt ist.

Doch ist ein kaiserliches Pontifikalamt in einem modernen, demokratischen Frankfurt, das dieses Jahr 175 Jahre Paulskirchenparlament feiert, überhaupt noch zeitgemäß? „Wir alle brauchen Rituale, im Alltag, in unserer Erinnerungskultur, Politik und auch in der Religion“, betont Stadtrat Bernd Heidenreich beim Empfang im Römer.

„So spiegelt sich im Besuch des Erzbischofs von Reims in Frankfurt und in der Feier des Karlsamts nicht nur unser gemeinsames kulturelles Erbe, sondern auch die wechselvolle Geschichte von Deutschen und Franzosen“, unterstreicht Heidenreich und übergibt dem Ehrengast eine Replik der Goldenen Bulle, des vielleicht ersten Staatsgrundgesetzes in Europa. Und erinnert an die Aussöhnung und Völkerfreundschaft der einstigen „Erbfeinde“, die vor 60 Jahren auch in der Reimser Kathedrale besiegelt wurde.

Ehrfürchtig geht es im Kaiserdom zu, als Bischöfe, Damen und Ehrenritter des Deutschen Ordens, der Malteser, Johanniter und weiterer geistlicher Orden zur Intrada (Eröffnungsstück) der Domorgel einziehen und die Eröffnungshymne „Carols Magnus, Kaiser“ ertönt, getextet vor acht Jahren von Lutz Riehl zur Melodie von „Ein Haus voll Glorie schauet“. „Dramatik, das können wir wirklich gut“, kommentiert eine Besucherin schmunzelnd.

Getragener klingt dafür die Karlssequenz „Francfordensis, urbs regalis“ (Frankfurt, königliche Stadt) durch Domkantorin Hermia Schlichtmann, die ebenso wie die Kaiserlaudes mit Bittrufen für Kirche, Papst, Bischof und das deutsche Volk im Mittelalter aus der Karlsstadt Aachen übernommen und bis zur Reformation auch in Zürich gesungen wurde, wie der Priester und Kirchenhistoriker Matthias Kloft anmerkt. Karl der Große, dem Frankfurt durch die 794 abgehaltene Reichs- und Kirchensynode die erste urkundliche Erwähnung verdankt, wurde 1165 auf Betreiben von Kaiser Friedrich Barbarossa von Gegenpapst Paschalis III. heiliggesprochen, was in der katholischen Kirche nicht allgemein anerkannt wurde. Daher wird Karl der Große heute nur noch lokal verehrt, in Frankfurt als zweiter Dompatron neben Bartholomäus und früher als legendärer Stadtgründer.

Beaufort erinnert augenzwinkernd an sein Studiensemester an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen, als er 1990 das Karlsamt erstmals „in einer der hinteren Reihen“ erlebte. In der Homilie wie auch im vorangegangenen Domgespräch findet er demütige und kritische Worte für seine Glaubensgemeinschaft, in der 2021 auch in Frankreich langjähriger sexueller Missbrauch bekannt wurde: „Wir brauchen keine Kirche der Macht, sondern eine reine Kirche der Nächstenliebe durch Jesus Christus.“

Doch selbst in Europa werde der christliche Glaube in Frage gestellt: „Er gibt der Mehrheit der Menschen in unseren Ländern keine Grundlage mehr für ihr Leben, ihr Handeln, für die Abwägung von Entscheidungen, für ihre Vorstellungen von der Welt“, stellt Beaufort in der Homilie fest. Gerade jetzt sollte die Kirche erkennen, dass sie sich in einer Phase der Reinigung befindet, damit das Evangelium wieder als das Feuer erscheint, das die Vorstellungen von der Welt erneuert und den Blick auf Fremde und Arme lenkt.

Beaufort schließt das Hochamt mit der Aufforderung, wenn Deutschland und Frankreich sich aussöhnen können, dann könnten das andere Völker im Krieg in Europa auch.

An die Hymne des Auszugs schließt sich die Eintrachthymne zum Empfang im Haus am Dom an, wo „Carolus der Starke“ zum Büfett in den Kelchen perlt und Stadtdekan Johannes zu Eltz seine Hoffnung äußert, die Quelle am Sachsenhäuser Berg möge doch nicht versiegen.

Auch interessant

Kommentare