Frankfurter Wohnungsbau in Not: „Neue Projekte sind nicht mehr finanzierbar“

ABG-Chef Frank Junker über Vorhaben, die auf Eis liegen, und düstere Aussichten für die nahe Zukunft. Das Interview.
Frankfurt – Private Wohnbauinvestoren kehren gerade Frankfurt den Rücken, weil Bauen unrentabel teuer geworden ist. Das Problem betrifft auch im großen Stil die städtische Wohnungsbaugesellschaft ABG. Geschäftsführer Frank Junker erklärt im Interview mit Dennis Pfeiffer-Goldmann, warum die enormen Baukosten den Wohnungsbau bremsen.
Seit 2016 gilt ein Mietenstopp bei der ABG und noch bis 2026. Wie sehr hilft das Ihren Mietern aktuell in einer solch finanziell schwierigen Situation mit den derzeit massiv steigenden Gaspreisen, Herr Junker?
Dadurch kommen neben den aktuellen erheblichen Energiekostensteigerungen wenigstens nicht auch noch enorme Mieterhöhungen auf die Mieterinnen und Mieter zu, die bis zu 15 Prozent pro Jahr betragen könnten. Der Mietenstopp lässt ja nur Steigerungen von im Mittel ein Prozent im Jahr zu. Das ist auf der einen Seite Geld für den Mieter. Auf der anderen Seite ist es aber nicht auskömmlich für die ABG, auch im Verhältnis zur Inflationsrate und den dadurch auch für uns stark steigenden Kosten.
Wie viel fehlt denn dann in der Kasse der ABG?
Bei einer Inflationsrate von sieben bis acht Prozent - mit steigenden Gaspreisen dann wohl bald noch mehr - und Einnahmen, die auf eine Erhöhung von einem Prozent gedeckelt sind, kann man sich unschwer ausmalen, dass die Schere weit auseinander geht. Das kann die ABG im Moment noch ertragen. Wenn sich das aber auf diesem hohen Niveau verfestigt, wird das auch für die ABG problematisch.
Forderung in Frankfurt: Von Sozialwohnungsbau hält Frank Junker „gar nichts“.
Nun gibt es von Sozialwissenschaftlern und von der politisch linken Seite hingegen sogar Forderungen, die ABG solle nur noch Sozialwohnungen bauen. Was halten Sie davon?
Davon halte ich gar nichts. Erstens realisieren wir Wohnen für alle: für den Sozialwohnungsberechtigten wie für den Menschen aus dem Mittelstand, der auch höhere Mieten zahlen kann und ebenfalls in Frankfurt wohnen möchte. Zweitens ist geförderter Wohnungsbau aufgrund der drastisch um 50, 60 Prozent gestiegenen Preise für die Grundstücke und schon um 30 Prozent und mehr gestiegener und noch immer steigender Baukosten einfach nicht mehr zu realisieren.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Förderbedingungen statisch auf dem Stand von 2017 liegen. Was damals auskömmlich war, reicht heute nicht mehr. Dann gibt es keine KfW-Fördermittel mehr und die Zinsen sind gestiegen von 0,5 auf 2,7 Prozent. Und dann kommt noch die Inflation dazu. Da ist geförderter Wohnungsbau nicht mehr darstellbar.
Sie brauchen also die Einnahmen aus den anderen Bereichen, um Sozialwohnungen zu finanzieren?
Ja. Wir müssen preisfreie Wohnungen nicht nur realisieren, weil wir Wohnen für alle bieten wollen. Sondern wir benötigen diese Einnahmen auch, um das querzusubventionieren, was wir beim geförderten Wohnungsbau nicht verdienen können.
Bauen in Frankfurt: Der Stadt wird der Rücken gekehrt
Nun sind die Kosten fürs Bauen in Frankfurt inzwischen so hoch, dass private Investoren der Stadt den Rücken kehren. Dennoch sind laut Stadt 70.000 neue Wohnungen bis 2030 nötig. Wie kann die ABG diese Lücke füllen?
Wir haben einiges an Grundstücksbevorratung vorgenommen, zum Beispiel am Römerhof, das Lurgi-Areal oder das Hilgenfeld. Damit ist der Grundstein für Wohnungsbau gelegt, sobald es Planungsrecht dafür gibt. Wenn ich aber nicht über die entsprechenden Einnahmen verfüge und die Fördermittel nicht erhöht werden, dann lässt sich das nicht umsetzen. Das ist auch Planungsdezernent Josef bekannt. Er hat auch schon geäußert, dass er da rangehen muss, damit geförderter Wohnungsbau wieder ermöglicht werden kann.
Zur Person:
Frank Junker (65) kam 1991 als Prokurist zur neu gegründeten Frankfurt Holding, dem Wohnungsbaukonzern der Stadt, und führt diesen seit 1993. 1996 wurde die Holding mit der schon 1890 gegründeten ABG zur ABG Frankfurt Holding verschmolzen, seither ist Junker Vorsitzender der Geschäftsführung. Junker hatte zunächst Jura studiert, arbeitete danach als Steuerfahnder beim Land Hessen. 1991 wurde er Referent im Römer beim damaligen Stadtkämmerer Martin Grüber (SPD). Die ABG ist eine der größten Wohnungsgesellschaften in Deutschland. Ihr gehören mehr als 54.000 Wohnungen: genug Wohnraum für fast ein Viertel der Frankfurter Bevölkerung. Zudem vermietet die ABG mehr als 37.000 weitere Einheiten wie Ladenlokale und Büros. 800 Mitarbeiter arbeiten für den Konzern. Zum ABG-Konzern gehören unter anderem die Saalbau, die Wohnheim-GmbH, eine Tochter für den Bäderbau, die Betreibergesellschaft der städtischen Parkhäuser sowie ein Drittel des Carsharing-Unternehmens Book-n-drive.
Die ABG hatte angekündigt, 2022/23 zwei Milliarden Euro investieren und bis 2026 5000 Wohnungen bauen zu wollen. Das genügt wohl nicht, um das auszugleichen, was die privaten Investoren nicht mehr bauen. Wie viel muss und kann die ABG noch mehr realisieren?
Das lässt sich derzeit nicht absehen, da wir nicht wissen, wie sich die Baupreise und die Materialverfügbarkeit weiterentwickeln. Wir müssen aktuell, wie alle anderen auch, Projekte strecken wegen der drastisch gestiegenen Preise und der Nichtauskömmlichkeit der Fördermittel. Wir können unser Programm nicht so durchziehen, wie wir es geplant hatten, sondern müssen die Projekte zeitlich nach hinten ziehen.
Mieten in Frankfurt: Teilweise „jenseits von Gut und Böse“
Also baut die ABG nicht etwa mehr, sondern sogar langsamer?
Die Projekte, die jetzt nicht mehr zu stoppen sind und bei denen wir bei der Vergabe noch ganz gut unterwegs waren, laufen schon weiter – wie der Rebstock, wo wir mit dem Partner LBBW rund 1000 Wohnungen realisieren, oder an der Sandelmühle. Aber neue Projekte sind so nicht mehr finanzierbar – oder es kommen Mieten heraus, die mit 20 Euro aufwärts jenseits von Gut und Böse sind.
Das klingt nach einem Planungsstopp.
Nein, die Schaffung von Planungsrecht zusammen mit der Stadt Frankfurt läuft weiter. Aber bei der Realisierung und Beauftragung von Bauunternehmen legen wir den Leerlauf ein und warten die Entwicklung ab. Ich hoffe, dass sich die Marktlage gegen Mitte/Ende 2023 wieder ein Stück weit beruhigen wird.
Dann könnten wir hoffentlich 2024 wieder im üblichen Fahrwasser sein. Aber wenn wir heute entscheiden müssten, ob ein Projekt umgesetzt wird, dann müssten wir Nein sagen, weil es einfach nicht finanzierbar ist.
Welchen Einfluss hat das für schon konkretere Projekte wie das Hilgenfeld?
Im Hilgenfeld werden wir demnächst mit den Erschließungsmaßnahmen beginnen, das läuft. Dort sind wir schon so weit in der Planung, dass wir es nicht stoppen. Aber andere Projekte werden wir auf Hold On stellen müssen.
Römerhof zum Beispiel?
Da kommt uns zu pass, dass erst der Busbetriebshof an die Lorscher Straße angebunden werden muss. Bis das umgesetzt ist, wären wir wohl bei 2024/25. Bis dahin hat sich der Markt hoffentlich wieder so beruhigt, dass wir dann mit dem Römerhof durchstarten können.
Strategie in Frankfurt: Partnerschaft zwischen LBBW und ABG für beide wichtig
Wie wichtig sind Partner für die Vorhaben der ABG wie die LBBW am Rebstock?
Diese strategischen Partnerschaften sind für beide Seiten wichtig, das sind zum Teil langjährige Geschäftsbeziehungen. Wir ergänzen uns gegenseitig, wenn der Partner zum Beispiel Wert legt auf Eigentumswohnungen oder höherpreisige Wohnungen. Und wir realisieren die geförderten Wohnungen und preisfreien Wohnungen, die nicht im High-End-Bereich liegen. Es geht da um das Wohnen für alle.
Wieso halten Sie an dieser Mischung fest, anstatt nur Sozialwohnungen zu bauen?
Wir haben alle die negativen Erfahrungen aus den Sechziger- und Siebzigerjahren mit Vierteln ausschließlich mit Sozialwohnungen im Kopf wie die Neue Vahr in Bremen oder Köln-Chorweiler. Diesen Fehler würde man heute nicht mehr machen.
Wir legen Wert auf eine sozialverträgliche Bewohnermischung in den Quartieren. Gerade wenn es größere Quartiere wie der Römerhof oder das Lurgi-Areal sind, spielt es schon eine erhebliche Rolle, dass man in einem ausgewogenen Umfeld wohnt und sich dort auch wohlfühlt.
Die Stadt will viele neue Wohnungen durch Aufstockung und Nachverdichtung schaffen. Die ABG ist da Vorreiterin mit der Aufstockung in der Plattensiedlung. In welchen Quartieren machen Sie weiter?
Darüber sprechen wir gerade mit der Stadt Frankfurt. Es bieten sich eine ganze Reihe von Gebieten an. Da kam bei uns ein Potenzial von 4000 bis 5000 Wohnungen heraus. Wir haben das dann noch einmal eingedampft, denn es wäre ja nicht vertretbar, wenn man dafür großkronige, alte Bäume wegreißt oder Dachflächen erst frisch mit Photovoltaik belegt wurden.
Wir sehen aber ein Potenzial von 2000 bis 3000 Wohnungen durch Aufstockung und Nachverdichtung. Erste Projekte wollen wir demnächst in Griesheim und Schwanheim angehen. Die Stadt muss aber auch für die soziale Infrastruktur sorgen, wenn man sehr stark nachverdichtet wie in der Platensiedlung.
Die Zahl klingt niedrig, die Stadt will ja 60 Prozent des Bedarfs von 70 000 neuen Wohnungen bis 2030 durch Aufstockung und Nachverdichtung decken. Wie realistisch ist das?
60 Prozent sind schon sehr ambitioniert. Wenn überall ein Bebauungsplan notwendig ist, wird es schwierig, denn dann dauert es ja viele Jahre, bis das realisiert werden kann. Wenn ich Nachverdichtung ernstnehme, muss ich das forcierter angehen. Dann wird man auch die eine oder andere heilige Kuh schlachten müssen. Wobei nicht alle Bäume wegkönnen, auch an das Mikro- und Markoklima muss man denken.
A5 in Frankfurt: Hier sieht die ABG Potenziale
Was ist die Alternative, wo möchte die ABG bauen?
Wir haben uns eingedeckt mit Grundstücken im Stadtteil an der A5. Dort sehe ich Potenziale.
Lässt sich denn Wohnungsbau und Klimaschutz überhaupt in Einklang bringen?
Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit, bei Neubauten Fassaden zu begrünen. Richtig und wichtig ist auch, dass Regenwasser im Quartier einsickert, statt übers Abwasser abzuleiten. So etwas ist sehr wichtig.
Wo setzt die ABG das konkret um?
Das Hilgenfeld wird ein klimafreundliches Quartier. Dort setzen wir zu großen Teilen das um, was wir in der Speicherstraße mit dem Aktiv-Stadthaus schon realisiert haben. Die Energie zum Heizen wird möglichst regenerativ und möglichst vor Ort erzeugt.
Im Hilgenfeld wollen Sie einige der Vorgaben bereits realisieren, die die Stadt mit dem Baulandbeschluss allen künftigen Vorhaben nun verpflichtend vorgibt, zum Beispiel genossenschaftliche Wohnungen. Wie läuft das?
Das hat zunächst ganz gut geklappt. Die Wohngruppen sind nun aber zum Teil abgesprungen vor dem Hintergrund der drastischen Baupreissteigerungen. Inzwischen zeigt sich, dass Mieten von 20 Euro und mehr herauskommen. Da haben sich nun einige Interessenten wieder verabschiedet, weil sie sich das einfach nicht leisten können.
Stadt Frankfurt zu streng?
Sollte sich die Stadt dann ihre strengen Vorgaben nicht besser noch einmal ansehen?
Ich bin kein Freund ganz starrer Regelungen, man kann das auch flexibler lösen. Ich finde es im Grundsatz in Ordnung, wenn man eine Quartiersmischung erreichen möchte. Man kann nur die Augen nicht vor der Realität verschließen: Wenn ich das heute realisieren muss, kommen eben Preise raus, die man im Markt wohl nicht umsetzen kann.
Wagen Sie doch mal eine Prognose: Welchen Quadratmeterpreis werden Mieter im Hilgenfeld in einer nicht geförderten Wohnung zahlen?
Wenn wir heute mit dem Bau beginnen müssten oder würden, kommt sicher ein Mietzins von 16 bis 17 Euro heraus.
Ist das die Höhe, mit der Sie gerne arbeiten?
Nein, das ist nicht der Mietzins, den wir anpeilen. Wir peilen 13 bis 14 Euro an. Das ist immer noch unverschämt teuer, aber drunter geht es einfach nicht. (Dennis Pfeiffer-Goldmann)
Die Gefahr einer Immobilienblase in Frankfurt ist bereits sehr längerem hoch.