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Zwangsräumung eine „Schikane“: Mieterin in Frankfurt droht die Obdachlosigkeit

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Gabrielle Kinateder weiß nicht, wo sie hin soll.
Gabrielle Kinateder weiß nicht, wo sie hin soll. © Peter Jülich

Die Betroffene einer Zwangsräumung in Niederrad sieht „Schikane“. Die Nassauische Heimstätte als Vermieterin widerspricht und führt mehrere Gründe an.

Frankfurt – Wenn nicht noch ein Wunder geschieht, dann wird Gabrielle Kinateder am 27. September obdachlos. Für diesen Tag ist die Zwangsräumung durch ihre Vermieterin, die Nassauische Heimstätte Wohnstadt (NHW), angesetzt. Und wenn man sie fragt, ob sie woanders unterkommen kann, sagt sie mit Tränen in den Augen: „Nein“.

Kinateder wohnt seit 1979 in der Jugenheimer Straße 53, quasi ihr gesamtes Leben. Bis Anfang dieses Jahres mit ihrer Mutter, die auch Mieterin der Wohnung war und dann mit 99 Jahren verstarb. Wie es zur Eskalation im Verhältnis zur NHW kam, darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen.

Mieterin in Frankfurt sieht sich „systematisch fertiggemacht“

Die Mieterin selbst ist davon überzeugt, Opfer von Schikane zu sein. Sie sei „systematisch fertiggemacht“ worden; manchmal benutzt sie sogar das Wort „Folter“. Aus ihrer Sicht ist klar, dass es für die Kündigung und anschließende Zwangsräumung vor allem einen Grund gibt: „Ich habe einer Sanierung meiner Wohnung nicht zugestimmt. Und das ist mein gutes Recht.“

Gabrielle Kinateder schildert die Abläufe wie folgt. Die Sanierung sei 2019 erstmals angekündigt worden, in einem formlosen Schreiben. Ihre Mutter – Pflegestufe 5 – habe Widerspruch eingelegt. Gleiches habe sie bezüglich einer ebenfalls angekündigten Besichtigung ihrer Wohnung getan. Denn, so Kinateder, „mit Besuchen seitens der NHW hatten wir schlechte Erfahrungen“. 2016 habe ein Handwerker unerlaubt Fotos ihrer Wohnung gemacht. Das nächste Schreiben der NHW sei dann die Absage eines geplanten Besichtigungstermins wegen Corona gewesen, ein Jahr später habe sich eine Kanzlei gemeldet und eine weitere Besichtigung „angedroht“.

NHW-Mitarbeiter stand wegen Beleidigung vor Gericht

Im Oktober 2021 kam es schließlich zu einer Besichtigung, sie endete ziemlich chaotisch, ein Mitarbeiter der NHW stand später wegen Beleidigung vor Gericht. Das Verfahren wurde gegen Zahlung von 500 Euro eingestellt. Im Februar 2022 trudelte die Kündigung ein, Kinateders Einspruch führte – nach dem Tod der Mutter – zu einer Gerichtsverhandlung, in der die Kündigung bestätigt wurde. Nun soll die Zwangsräumung folgen. Und das, obwohl, wie Gabrielle Kinateder klarstellt, „wir nie Mietrückstände und immer pünktlich gezahlt hatten“.

Soli-Demo

Unter dem Motto „Zwangsräumung verhindern! Solidarität mit Gabrielle!“ organisiert die Initiative „Eine Stadt für Alle!“ eine Solidaritäts-Demo für die von der Zwangsräumung betroffene Mieterin.

In dem Aufruf heißt es: „Wir [...] fordern die NH auf, die Kündigung mit sofortiger Wirkung zurückzunehmen.“

Sollte das nicht passieren, soll die Kundgebung am Tag der Zwangsräumung, am 27. September, um 9.30 Uhr vor der Jugenheimer Straße 53 in Niederrad stattfinden. bö

Das streitet die NHW auch nicht ab. Aber das Wohnungsbauunternehmen beruft sich auf „mehrere Gründe, die letztendlich zur Kündigung geführt haben“, wie Sprecherin Isabelle Stier erklärt. Zu den konkreten Gründen will sie nichts sagen, diese gehen aber aus mehreren Dokumenten hervor, die der FR vorliegen.

Vorwürfe von NHW gegen Mieterin: Termine ohne Grund abgelehnt

Zum einen geht es um die Verweigerung der Modernisierung durch die Mieterin. Diese habe aber, so führt die NHW in ihrem Kündigungsschreiben vom 18. Februar 2022 an, die Gründe dafür „nur allgemein und nicht konkret angegeben“. Ob das aber wirklich ein schuldhaftes Verhalten darstellt, ist laut Urteil des Amtsgerichts Frankfurt, das die Rechtmäßigkeit der Kündigung bestätigt, unklar.

Dieses Urteil listet dafür auf elf Seiten auf, was alles sonst noch vorgefallen ist. Dazu zählen – detailliert aufgeführt – vor allem mehrfache Anfragen seitens der Nassauischen Heimstätte nach einer Wohnungsbesichtigung, die von der Mieterin entweder ignoriert oder ohne Angabe von Gründen abgelehnt worden seien. Als es im Oktober 2021 doch zu besagtem Termin kam, sei die Wohnung vollständig mit grauen Plastikplanen abgehängt gewesen. Eine angebotene Ersatzwohnung sei nicht akzeptiert worden, erneut ohne Angabe von Gründen. Auch ein offener Brief an den Aufsichtsrat der NHW, den die Mieterin verfasst hat, und in dem die Wohnungsbaugesellschaft scharf kritisiert wird, findet Erwähnung.

In der Jugenheimer Straße wurden Wohnungen saniert.
In der Jugenheimer Straße wurden Wohnungen saniert. © christoph boeckheler*

Frankfurt: Gericht sieht „Fortsetzung des Mietverhältnisses unzumutbar“

So kommt das Gericht zu dem Fazit, dass Umstände vorlägen, „die eine Fortsetzung des Mietverhältnisses unzumutbar machen“. Und weiter: Die Beklagte – in diesem Fall zunächst die Mutter – habe „durch verschiedene Verhaltensweisen gezeigt, dass eine Zerrüttung des Mietverhältnisses vorliegt“. Dass sich im Mietverhältnis, das nach dem Tod der Mutter auf Gabrielle Kinateder überging, etwas ändern würde, glaubt das Gericht nicht. Der NHW sei „nicht zumutbar, weiterhin das Risiko zu tragen, mit einer sich nicht an ihre mietvertraglichen Pflichten haltenden Mieterin zu kontrahieren“.

Nun kommt es also zur Zwangsräumung. Für Rolf Janßen vom Mieterschutzverein Frankfurt ist das Vorgehen nicht nachvollziehbar. „Ich würde die Rechtmäßigkeit erst einmal anzweifeln.“ Schadensersatz für die erschwerten Umstände der Modernisierung könnte die NHW zwar fordern, mehr aber nicht. Für besonders bedauerlich hält er es, dass der offene Brief, den die Mieterin an den Aufsichtsrat der NHW geschrieben hat, angeführt wird. „Damit gibt die Nassauische Heimstatt zu verstehen, dass sie keine Kritik an ihrem Gebaren duldet.“ (Fabian Böker)

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