Musik, die wachrütteln soll

Drogennutzer und Studierende der Frankfurt University of Applied Science zeigten im Gallus Theater Kunstprojekte in der Drogenhilfe. Ihre Songs wurden auf der CD „High Life Frankfurt“ veröffentlicht.
Etwas Lampenfieber hat Marcus Steinhäuser (29) schon, bevor er die Bühne betritt. „Ich geb nie auf und lauf Richtung Traum hoch“, rappt er vor 280 Zuschauern. Dabei hätte ihn seine Drogensucht fast hinter Gitter gebracht. Dort saß Michael Meireles-Coelho zwei Jahre lang. „Es fühlt sich gut an, wieder frei zu sein!“, heißt seine Botschaft. „Wenn man Lampenfieber hat und der Puls rast, spürt man, dass man voll da ist“, ermutigt HR-Moderator Matthias Münch, die Interpreten des „High Life Frankfurt“.
Autobiografisch
„Solche Kunsterfahrungen können im Kampf gegen Drogen durchaus stärkend und kompensierend wirken“, sagt Ulrike Pfeifer, Professorin an der Frankfurt University of Applied Science (ehemals Fachhochschule). Auf Initiative von David Lang, der Musiker und als Arzt bei der Malteser Suchthilfe beschäftigt ist, konnten rund 100 ehemalige und substituierte Drogenabhängige mit Studierenden des Fachbereichs Soziale Arbeit mit Kultur und Medien ihre Biografien und Erfahrungen mit Therapieinrichtungen aufarbeiten: So entstanden Lieder, Zeichnungen, Fotos, Theaterstücke, Trick- und Dokumentarfilme. Die Lieder hat Lang im Tonstudio für eine CD eingespielt.
Beteiligt am Projekt „High Life“ sind unter anderem die Integrative Drogenhilfe (Betreutes Wohnen Kriegkstraße JuBAZ), das Bildungszentrum Hermann Hesse, die Therapieeinrichtung Basis, die Fleckenbühler und die Malteser Suchthilfe Frankfurt (Eastside, Freid A24). Finanziell unterstützt wird das Projekt von den Malteser Werken und dem Pharmaunternehmen Indivior. In den Dokumentarfilmen werden unter anderem der Biogarten von Basis in Heddernheim vorgestellt, der Drogennutzern die Ableistung von Sozialstunden ermöglicht, und das Angebot des Bildungszentrums Hermann Hesse, um Schulabschlüsse nachzuholen.
Verstörend wirkt ein Video, in dem Passanten die Biografien von Drogennutzern vortragen. „Darunter sind ziemlich krasse Erfahrungsberichte. Aber wir wollten die Öffentlichkeit mit der Lebenswirklichkeit des Drogenmilieus konfrontieren, das nur an wenigen Orten im Bahnhofsviertel noch im Straßenbild sichtbar ist“, sagt die Studentin Leonore Liese. Beispielhaft ist die Aussage einer Nutzerin, selbst Erbrechen nach Unverträglichkeit einer Droge gleiche einem „Orgasmus im Hals“.
Wahrnehmungen, die auch Marcus Neuhäuser nicht ganz fremd sind. „Man lebt nur noch für die Droge, Würgereize gehören mit dazu.“ Schon mit 16 Jahren konsumierte er Alkohol, Ecstasy und Amphetamine, arbeitete zwischendurch im Marketing, doch am Ende finanzierte er damit nur noch seine Drogenpartys. Er dealte mit Kokain, wurde festgenommen und stand mit dem Rücken zur Wand: Entweder eine mehrjährige Haftstrafe oder eine betreute Therapie in einer Einrichtung, in der seine Gerichtsstunden ableisten konnte.
Disziplin ist notwendig
Marcus entschloss sich für die Fleckenbühler, bei denen er im Bamberger Hof wohnt und im Umzugs- und Transportunternehmen arbeitet. „Mit dem körperlichen Entzug kam ich noch einigermaßen klar, musste dabei aber vor allem lernen, mich selbst auszuhalten“, sagt er. Michael Meireles-Coelho saß wegen Beschaffungsdelikten zwei Jahre in der JVA Rockenberg ein, brachte sich danach die Rappmusik selbst bei und nutzte das Kulturprojekt, um seine Geschichte im Song aufzuarbeiten. Michael und Marcus haben eine klare Botschaft: Der Ausstieg aus der Drogensucht ist zu schaffen – allerdings mit sehr viel Willenskraft, Geduld und Disziplin.
Der Erfolg ist auch für die Frankfurt University of Applied Sciences ein Ansporn: „Wir wollen das Projekt auf jeden Fall im kommenden Herbst fortsetzen und suchen derzeit noch nach Sponsoren“, sagt der Dozent Bernhard Kayser. got
Die CD „High Life Frankfurt“ gibt es für 10 Euro per Mail an ulrike.pfeifer@fb4.fra-uas.de.
(got)