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„Neue Quartiere sind nicht das Wichtigste“

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Bis zu 900 Wohnungen sollen im Hilgenfeld am Frankfurter Berg entstehen - direkt neben dem S-Bahnhof Frankfurter Berg. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft ABG möchte dieses Jahr endlich loslegen können.
Bis zu 900 Wohnungen sollen im Hilgenfeld am Frankfurter Berg entstehen - direkt neben dem S-Bahnhof Frankfurter Berg. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft ABG möchte dieses Jahr endlich loslegen können. © Hamerski

Die Römer-Koalition in Frankfurt setzt beim Wohnungsbau auf Nachverdichtung. Die CDU spricht von Stillstand.

Mehr als 14 Monate ist es her, dass die Stadtverordneten letztmals den Bau eines neuen Quartiers auf den Weg gebracht haben, das Schönhofviertel auf dem ehemaligen Siemens-Areal in Bockenheim. Seitdem hat die Römer-Politik kein weiteres, größeres Wohnviertel genehmigt. Dabei treibt das Fehlen von Bauland zusätzlich die Preise für Wohnungen und die Mieten hinauf.

Auf das Problem hatten zuletzt Projektentwickler und Architekten hingewiesen: In einer Melange aus steigenden Zinsen, sprunghaften Baupreisen und Lieferschwierigkeiten machten im Baulandbeschluss verschärften Vorgaben der Stadt neue Projekte unkalkulierbar. Laut Immobilienanalyst Bulwiengesa ist das Volumen im Markt der Wohnungsprojektentwicklung seit 2019 um 16,6 Prozent eingebrochen.

Das Problem zeigen auch städtische Zahlen: 2018 hatte die Stadt noch den Bau von 7329 Wohnungen genehmigt, ein Rekord. 2020 waren es nur noch 4228 Wohnungen, der niedrigste Wert seit 2013. 2021 lag die Zahl mit 4819 Wohnungen nicht viel höher. Mehr gebaut werden könne aktuell auch gar nicht, weil kein Bauland da ist, hatte Architekt Stefan Forster in dieser Zeitung erklärt. Letztmals hatten die Stadtverordneten Anfang Juli ein neues Quartier genehmigt: Im Schönhofviertel drehen sich inzwischen auch überall die Bagger für 2000 neue Wohnungen.

Obwohl die Stadt jedoch selbst einen Bedarf von 90 000 Wohnungen bis 2030 sieht, wurde seither kein weiteres größeres Quartier baureif. „Wir rätseln, woran es liegt“, sagt Albrecht Kochsiek, planungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. Es sei nicht erkennbar, ob die Koalition aus Grünen, SPD, FDP und Volt nicht wolle oder Planungsdezernent Mike Josef (SPD) seine Planungen „nicht durchgesetzt bekommt“.

So seien beispielsweise die Pläne fürs Baugebiet Hilgenfeld nahe dem Frankfurter Berg schon 2020 offengelegt worden, der letzte Planungsschritt. Die finale Entscheidung aber stehe noch immer aus, erinnert Kochsiek. Die Planung für den Römerhof sei bereits 2018, für das Ernst-May-Viertel zwischen Bornheim und Seckbach 2011 und für Bonames-Ost schon 1991 begonnen worden. Es gebe „viele Rahmenplanungen und viele Ankündigungen, aber es wird nichts umgesetzt“.

Zum Teil liege das sicher auch daran, dass es schon länger nicht mehr genug qualifiziertes Personal im Amt gebe. „Wir haben vorgeschlagen, zusätzlich externe Büros einzusetzen“, erinnert der CDU-Planungspolitiker. Das habe Dezernent Josef aber bisher stets zurückgewiesen. Vor allem kritisiert Albrecht Kochsiek die lange „Findungsphase“, mit der die von den Grünen geführte Koalition für Stillstand beim Bauland sorge.

Das weist Mike Josef zurück. „Es gibt keinen Stillstand.“ Es seien „in den letzten zwölf Monaten“ drei große neue Quartiere im Schönhof, Rebstock und an der Sandelmühle genehmigt worden, „damit es keinen Bruch gibt“ durch den Wechsel der Regierung. Von der neuen Koalition sei nur deshalb nichts zu hören, da deren Abstimmung „geräuschlos“ laufe. „Vieles läuft“, beteuert der Planungsdezernent.

Potenzial für 19 000 bis 20 000 Wohnungen

Konkret werde noch in diesem Jahr die finale Genehmigung für das Hilgenfeld mit 900 Wohnungen den Stadtverordneten vorgelegt, kündigt Josef an. Für die Baugebiete in Nieder-Eschbach mit 800 Wohnungen solle das im Lauf des nächsten Jahres geschehen. Zudem laufe die Abstimmung, um in der Innenentwicklung weiterzukommen. Mit Aufstockungen und Nachverdichtung ließen sich 19 000 bis 20 000 Wohnungen schaffen, erklärt Josef. Das soll vor allem in den großen Wohnblocksiedlungen im Mittleren Norden geschehen.

Ebenso wolle die Koalition noch dieses Jahr den nächsten Planungsschritt für den Nordwest-Stadtteil einleiten, betont der Dezernent. Für die Quartiere östlich der A5 nach Praunheim und Niederursel hin solle das Zielabweichungsverfahren beantragt werden, also die Zustimmung der Region eingeholt werden. Dort gibt es allerdings starken Widerstand gegen das Vorhaben. Den gebe es aber nicht bei den Frankfurter Grünen, betont deren Chefin Julia Frank, die zugleich planungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Römer ist. „Wir stehen dazu“, und den Nordwest-Stadtteil zu realisieren stehe auch im Koalitionsvertrag.

Was aber macht die Politik konkret gegen den stockenden Wohnungsbau? „Wir haben schon einiges an Bauland in die Pipeline gesetzt“, beteuert Mike Josef. „Aber die Entwickler sind vorsichtig wegen der Zinssituation, den Lieferengpässen und den starken Schwankungen bei den Baukosten.“ Daher wolle die Stadt „erst einmal abarbeiten, was an Bebauungsplänen schon existiert“.

Diesen „Überhang“ kalkuliert Julia Frank auf 15 000 recht schnell realisierbare Wohnungen, von denen 12 000 genehmigt und 9000 in Bau seien. Neue Quartiere seien momentan nicht das Wichtigste, ist die grüne Planungsexpertin überzeugt. „Wir könnten fröhlich Bebauungspläne machen, aber es wird doch nicht gebaut.“

KOMMENTAR

Frankfurt braucht Bauland, Bauland, Bauland

Die Zahlen sind deutlich: Jedes Jahr genehmigt die Stadt an die 5000 Wohnungen, es müsste aber mehr als das Doppelte sein. Bis 2030 braucht sie 90 000 Wohnungen, um den Zuzug zu bewältigen. Diesen Zuzug, die Freiheit der Menschen, kann die Stadt nicht bremsen. Die Stadtpolitik beeinflusst nur, wer sich künftig das Wohnen in der Stadt noch leisten kann. Das werden nur die Reichsten können, wenn Bauland und Wohnungen knapp sind. Für diesen unsozialen Weg stehen die Grünen seit ihrem radikalen Kurswechsel in der Planungspolitik Ende 2020 - bei den Günthersburghöfen: Ja zum Grün zu jedem Preis, und damit auch Ja dazu, dass Wohnen immer teurer wird. Seit die Grünen die Regierungskoalition anführen, hat die Partei diese Ausrichtung noch nicht durch gegenteiliges Handeln revidiert. Im Gegenteil: 14 Monate Stillstand bei der Quartiersentwicklung befeuern die Sorge, dass dieser Partei die Umwelt wichtiger ist als Menschen, kompromisslos.

Obwohl ausgleichende Lösungen auf dem Tisch liegen: Etwa die rundweg stimmige Planung für die Günthersburghöfe mit ihrem vielen Grün. Und erst recht der Nordwest-Stadtteil, ein Musterbeispiel für klimafreundliche, moderne Quartiere. Beides und noch mehr müssen die Grünen mit ihrer Koalition schnell baureif machen. Wegen der Krise eine Pause einzulegen, wäre der genau falsche Weg. Die Stadt muss Investoren nun den Weg ebnen. Dafür müssen zu strenge städtische Vorgaben geschreddert werden.

Und die Stadt braucht Bauland, Bauland, Bauland. Wenn die Preise für Grundstücke dadurch sinken, kann wenigstens überhaupt weiter gebaut werden.

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