Die Wöhlerschüler bezogen bei der Gedenkveranstaltung zur Auschwitz-Befreiung mit ihren in die Luft gehaltenen Karten klar Stellung: „we remember“ ist da zu lesen, „wir erinnern“ soll das heißen. Oder aber auch: Wir vergessen nicht. FOTO:alexandra flieth
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Die Wöhlerschüler bezogen bei der Gedenkveranstaltung zur Auschwitz-Befreiung mit ihren in die Luft gehaltenen Karten klar Stellung: „we remember“ ist da zu lesen, „wir erinnern“ soll das heißen. Oder aber auch: Wir vergessen nicht. FOTO:alexandra flieth

Wider das Vergessen in Frankfurt

Nicht möglich, einen Schlussstrich zu ziehen

  • VonAlexandra Flieth
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Wöhler erinnert an ermordeten Schüler - Zeitzeugen berichten von NS-Gräuel

Es ist die Geschichte von Friedrich Schafranek (1924 - 2013), eines ehemaligen jüdischen Schülers der Wöhlerschule, der mit 17 Jahren deportiert wurde und Auschwitz überlebte. Erzählt wird sein Leben zunächst vor und während der NS-Zeit als Podcast, den die schon in den 1980er Jahren gegründete Arbeitsgemeinschaft (AG) Spurensuche der Wöhlerschule seit Mai des vergangenen Jahres mit Schülern realisiert hat. Für ihr Projekt ist das Gymnasium mit dem Beni-Bloch-Preis der jüdischen Gemeinde Frankfurt ausgezeichnet worden.

Zwei Teile sind bisher entstanden, die am gestrigen Freitagvormittag aus Anlass des Internationalen Gedenktages an die Opfer des Holocausts in der Aula vorgespielt werden. Die Veranstaltung wird von Klaus Schilling moderiert, Bundeskoordinator des Netzwerkes UNESCO-Projektschulen, zu denen die Wöhlerschule gehört.

Unter den Gästen ist auch die Holocaust-Überlebende Eva Szepesi (90) mit ihren Töchtern Anita Schwarz und Judith Szepesi. Als Zwölfjährige überlebte Eva das Vernichtungslager Auschwitz nur, weil sie von den Aufsehern für Tod gehalten wurde, als diese vor der Roten Armee flüchteten, erzählt es Anita Schwarz. Die erste Wärme, die ihre Mutter einige Tage später gespürt habe, sei das Lächeln eines Soldaten der Roten Armee gewesen, durch die am 27. Januar 1945 Auschwitz befreit wurde. 78 Jahre ist das her.

Eva Szepesi sprach viele Jahrzehnte nicht über das Erlebte, erstmals anlässlich der Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz. Seitdem engagiert sie sich als Zeitzeugin, geht in Schulen und ist eine unermüdliche Kämpferin dafür, die Erinnerung am Leben zu halten. Für ihr Engagement wurde sie 2017 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.

Der Holocaust begann mit Worten

Anita Schwarz erzählt an diesem Vormittag aber auch ihre Geschichte, dass, was sie als Kind der zweiten Generation wahrgenommen hat. „Wir haben zuhause nie über die Shoah gesprochen“, sagt sie. Als sie in den jüdischen Kindergarten und später in die jüdische Grundschule gekommen sei, wurden beide Einrichtungen stets von der Polizei bewacht. Dies habe sich erst mit ihrem Wechsel auf die Wöhlerschule geändert. So lange auch heute noch jüdischen Einrichtungen in Deutschland von der Polizei bewacht werden müssten, sei es nicht möglich einen Schlussstrich zu ziehen. „Der Holocaust begann nicht in den Vernichtungslagern, sondern auf dem Schulhof, auf Fußballplätzen oder am Stammtisch mit Worten“, betont Schwarz weiter.

Antisemitismus gebe es bis heute an ganz unterschiedlichen Stellen und Orten. Statt Schweigen wünscht sie sich, dass jeder, der dies wahrnimmt, ganz klar Stellung dagegen bezieht. Und spricht damit auch ihrer Mutter aus dem Herzen, die betont, dass die jetzige Generation nichts für die Vergangenheit könne, jedoch bestimme, wie es in Zukunft weitergehen werde. Dass es wichtig ist, nie zu vergessen, macht auch Rechtsanwalt Benjamin Graumann deutlich, der sagt, dass es heute Antisemitismus sowohl von links als auch von rechts gebe und es am Ende ganz egal sei, von welcher Seite dieser komme. Es mache deutlich, dass Gefahr für das jüdische Leben in Deutschland drohe, das sich heute so vielfältig und bunt wie nie zeige. „Es ist ein Spagat zwischen Zuversicht und Vorsicht.“

Einer, der jüdisches Leben in Deutschland seit gut vier Jahrzehnten dokumentiert, ist der in Frankfurt lebende Fotograf Rafael Herlich. Er porträtiert jüdische Familien und hat eine Auswahl seiner Fotografien mit in die Schule gebracht, die in den kommenden zwei Wochen in der Bibliothek des Gymnasiums ausgestellt werden. Zusätzlich hat er eine weitere Arbeit mit dabei: Das Foto zeigt ein jüdisches Geschwisterpaares. Bei einer Ausstellung in Berlin wurde es von der Wand gerissen und mit Füßen getreten. Für Herlich ein Erlebnis, das deutlich zeigt, wie wichtig es auch in Zukunft ist, nicht zu vergessen. Alexandra Flieth

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