Pflegeheime in Frankfurt: „Geld ist da - aber es ist traurig, was da passiert“

Steigende Kosten bereiten in vielen Pflegeheimen in Frankfurt weniger Sorgen, als die sinkende Qualität. Auch das Sozialdezernat spricht von einer sich verschärfenden Situation.
Frankfurt - Die steigenden Pflegeheimkosten bringen auch in Frankfurt viele alte Menschen, die bislang mit ihrer Rente die Eigenleistung gerade so stemmen konnten, an ihre Grenzen. In Hessen zahlen stationär Versorgte im Schnitt 2503 Euro im Monat, 384 Euro mehr als im vergangenen Jahr. Das Personal verdient mehr, Energiepreise sind zwischenzeitlich explodiert, die Lebensmittel verteuerten sich bis zum Frühjahr rapide mit der hohen Inflation.
Sozialverbände schlagen Alarm: Schließlich kommen längst auch alte Leute ins Trudeln, die eine vergleichsweise gute Rente haben. Für künftige Generationen wird sich das Missverhältnis aus hohen Pflegekosten und niedrigen Altersbezügen noch verschärfen - und damit möglicherweise auch die finanzielle Belastung für deren Kinder.
Hört man sich in Frankfurt sporadisch um, stößt man überwiegend auf eine überraschende Gelassenheit und pragmatische Herangehensweise. Die Eheleute Riemann (Name von der Redaktion geändert) , Anfang 50, zwei Kinder, sind beispielhaft dafür: Seine 83-jährige Mutter konnte den Platz im Alten- und Pflegeheim von ihrer Rente plus Witwenrente noch nie bezahlen, Ersparnisse über dem Schonvermögen hat sie keine. Die Entlastungszuschläge, die ihr gesetzlich zustehen und ab 2024 steigen, haben die Lücke nur geringfügig verkleinert. „Wir mussten für unsere Mutter Sozialhilfe beantragen. Die Stadt zahlt, was meine Mutter nicht zahlen kann“, sagt Stefan Riemann. „Das machen viele so, weil ihnen gar nichts anderes übrig bleibt.“
Pflegeheime in Frankfurt: Die Mutter musste ihre Wohnung verkaufen
Mutter Riemann bleibt nichts anderes übrig, weil ihr Sohn nicht zur Kasse gebeten werden darf. Er verdient nicht genügend. Nur wer über einem zu versteuernden Einkommen von 100 000 Euro liegt, muss für seine Eltern aufkommen. Und wer das Reihenhaus beizeiten von Vater und Mutter geschenkt bekommen hat und selbst bewohnt, darf es behalten.
„Zugegeben, das hat meine Mutter damals clever angestellt“, sagt Stefan Riemann. Freunde von ihm haben da weniger Glück gehabt. „Deren Mutter musste ihre nach dem plötzlichen Umzug ins Heim leerstehende Eigentumswohnung verkaufen, um das Pflegeheim zu bezahlen.“
Dass die Stadt sie im Notfall nicht im Regen stehen lässt, ist indes für viele alte Menschen gar kein Trost. Für sie bedeutet der Gang zum Sozialamt eine persönliche Niederlage, entsprechend hoch ist die Scham. 60 Prozent aller berechtigten Rentner stellten keinen Antrag auf Sozialhilfe, will das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Ende 2021 herausgefunden haben.
Wer gepflegt werden muss, hat aber keine andere Wahl. So müssen die Kommunen jedes Jahr eine beträchtliche Summe an sogenannter Hilfe zur Pflege, ob im Heim oder ambulant, zahlen. In Frankfurt waren es laut Sozialdezernat von 2018 bis 2022 jährlich 32,5 Millionen Euro. Im Schnitt beantragten in diesen Jahren jeweils 1683 Menschen die Übernahme von ungedeckten Heimkosten. Angesichts der älter werdenden Gesellschaft und dramatischer Rentenlücken dürften die Zahlen künftig eher stark steigen.
Frankfurt: Sozialhilfe ist heute schon der Normalfall
Bislang tragen die Kommunen diese Kosten alleine. „Die Stadt Frankfurt ist derzeit in engen Gesprächen mit dem Deutschen Städtetag, um gemeinsam mit ihm in den nächsten Monaten eine Positionierung mit Lösungsansätzen und Forderungen zu erarbeiten“, teilt das Sozialdezernat auf Anfrage mit. Dass die Forderungen an Bund und Länder gestellt werden dürften, lässt das Dezernat in seiner Antwort unerwähnt.
„Die meisten unserer Bewohner sind nicht so gut betucht“, sagt Esther Manuel, die Leiterin des Frankfurter Verbandes, der in der Stadt mehrere Häuser trägt, in denen die Kosten für die Bewohner im Schnitt um etwa 300 Euro gestiegen sind im vergangenen Jahr. Hilfe zur Pflege sei heute schon der Normalfall, sagt Manuel. Und für jene Nachkommen, die sich die Unterstützung bislang gut leisten konnten, dürften auch die Erhöhungen aus jüngster Zeit keine Schwierigkeit darstellen, sagt die Verbandsleiterin.
Heike Schneider (Name von der Redaktion geändert) kann da nur zustimmen. „Geld ist da, ich habe aber ganz andere Sorgen.“ Ihre 90-jährige Mutter hat eine gute Rente, die restlichen paar Hundert Euro fürs Heim tun Heike Schneider nicht weh. Dass sie 350 Euro mehr zahlt als vor zwei Jahren, findet sie sogar prima - „weil die Pflegefachkräfte endlich angemessen verdienen und es in Frankfurt hoffentlich bald genügend gibt“. Im Heim ihrer Mutter nehme die Qualität nämlich stetig ab. „Da sind fast nur noch Zeitarbeitskräfte, die kommen und gehen“, sagt Schneider, die schon erlebt habe, wie Medikationen verwechselt worden seien. „Es ist gefährlich und traurig, was da passiert.“
Frankfurter Sozialdezernat spricht von einer sich verschärfenden Situation
Auch das Sozialdezernat spricht von einer sich verschärfenden Situation, sieht Frankfurt aber gut aufgestellt. 250 ambulante Pflegedienste gebe es, mehr als in anderen Städten vergleichbarer Größe. Und immer mehr Frankfurter, vor allem unterer Pflegegrade, ließen sich zu Hause versorgen. Fast 2000 Personen haben dafür allein im ersten Quartal 2023 Hilfe vom Sozialamt beantragt. Die Stadt sieht’s gerne: „Ambulant vor stationär“, lautet ihre Devise.
Stefan Riemann und seine Frau würden sich später auch lieber daheim pflegen lassen; dass auch sie dafür Stütze brauchen werden, schreckt sie nicht. Viele jüngere Generationen, die streng haushalten müssen, sehen das so pragmatisch und verschwenden auch keinen Gedanken an eine private Pflegeversicherung. „Das Geld“, sagt Riemann, „gebe ich lieber für was anderes aus, solange ich noch tun kann, was mir Spaß macht.“ (Mark Obert)
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