Per Business-Class von Frankfurt nach Eskisehir?
Von der Stadt bezuschusste Reise einer Awo-Delegation in die türkische Partnerstadt wirft Fragen auf
Frankfurt -Es war eine der letzten Reisen, die Jürgen Richter in seiner Funktion als Geschäftsführer der Frankfurter Arbeiterwohlfahrt (Awo) unternommen hat, im Februar 2019, kurz vor Bekanntwerden dessen, was inzwischen längst bundesweit als Awo-Skandal bekannt ist. Der Trip führte in die Türkei, nach Eskisehir. Seit 2013 ist die mit knapp 900 000 Einwohnern größte Stadt Anatoliens Partnerstadt von Frankfurt. Eskisehir hat einen Flughafen, ein Meerschaumpfeifen-Museum und zwei Universitäten mit insgesamt rund 70 000 Studenten.
Jürgen Richter soll die Reise unter die Überschrift "Fachkräftemangel" und die Idee gestellt haben, in der türkischen Partnerstadt Fachkräfte für die Altenpflege und pädagogisches Personal für Awo-Kitas in Frankfurt zu gewinnen. Der Awo-Boss reiste nicht allein. In seiner Begleitung befanden sich seine Ehefrau Hannelore sowie deren enge Vertraute, seine Stellvertreterin, ferner der damalige Abteilungsleiter Kindertagesstätten sowie ein Mitarbeiter mit Kontakten und Funktion als Projekt-Koordinator in der türkischen Gemeinde Deutschland.
Zur Gruppe, die sich also im Februar 2019 aufmachte nach Eskisihir, gehörte auch, als siebenter Teilnehmer, der Bildungsattaché des türkischen Generalkonsulats in Frankfurt.
In der Rückschau wirft der Trip einige Fragen auf. Sie beginnen, was auf den ersten Blick trivial erscheinen mag, schon beim Reisedatum: laut den Unterlagen der Awo Frankfurt war die Gruppe vom 18. bis 20. Februar 2019 unterwegs. In den Unterlagen der Stadt Frankfurt ist die Reise für die Zeit vom 17. bis 20. Februar vermerkt, als "Dienstreise in die Partnerstadt Eskisehir", wie das Büro von Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) auf Anfrage mitteilt.
Pauschaler Zuschuss aus der Stadtkasse
Dass die Stadt Frankfurt von einer Dienstreise der Awo überhaupt Notiz genommen hat, hat einen Grund: Sie hat einen Teil der Reisekosten getragen - aus der Stadtkasse, aus Steuermitteln. "Es wurde ein Zuschuss im Rahmen der üblichen Förderung des Austauschs mit Partnerstädten seitens des Referats für Internationale Angelegenheiten beschieden", heißt es dazu aus dem OB-Büro. "Es handelte sich um einen pauschalen Reisekostenzuschuss in Höhe von 2500 Euro."
Die Stadt sei weder in die Gestaltung des Reiseprogramms noch in die Auswahl der Delegation eingebunden gewesen. Die Stadt Frankfurt habe die Awo weder beauftragt mit der Reise noch ihr eine offizielle Mission für die türkische Partnerstadt mit auf den Weg gegeben.
"Warum die Stadt aus Steuermitteln der Awo eine Dienstreise subventioniert, nur weil diese in eine der Frankfurter Partnerstädte führt, ist schwer vermittelbar", kommentiert Yanki Pürsün, sozialpolitischer Sprecher der FDP, die Angelegenheit. Im Akteneinsichtsausschuss, dem Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) Unterlagen über dienstliche Termine, Gespräche und Anweisungen überlassen musste, habe er Notizen zu der Reise gefunden: neben einer Teilnehmerliste auch die Reisebestätigung eines Frankfurter Reiseunternehmens für die Flugtickets. Auffällig sei, dass dort Flugscheine als "Eco Ticket mit Sitzplatzreservierung" verzeichnet seien, der Code auf den Tickets indessen "eindeutig", so Pürsün, auf solche der Business Class hinweise.
Pürsün beruft sich mit dieser Beurteilung auf seine professionellen Kenntnisse. Er ist ausgebildeter Luftverkehrskaufmann. Er will in den OB-Unterlagen eine Abrechnung der Awo-Dienstreise über 3844 Euro gesehen haben. Pürsün sagt, die von der Awo der Stadt vorgelegte Bescheinigung für die Flugtickets sei "allem Anschein nach frisiert". Grund der von ihm angenommenen Manipulation sei die Absicht, sich unter Vorspiegelung einer Flugreise in der Economy-Class tatsächlich einen Transfer in der Business-Klasse gegönnt zu haben.
Abrechnung manipuliert?
Dass die Stadt bei Prüfung der eingereichten Awo-Unterlagen dies nicht bemerkt habe, sei an sich schon beklagenswert. Dass es keinerlei Dokumentation der Dienstreise seitens der Awo für die aus öffentlichen Mitteln bezuschusste Reise gibt, sei skandalös. Dass die Awo sich selbst den Auftrag gegeben habe, "durch die Weltgeschichte zu reisen", um etwas gegen Fachkräftemangel zu tun, findet er geradezu abenteuerlich. "Wie kommt das Awo-Führungspersonal dazu, selbstständig und selbstherrlich etwas zu unternehmen gegen Fachkräftemangel, ohne dass man sich in dieser Stadt zuvor darauf überhaupt gesellschaftlich geeinigt hat?", fragt Pürsün. Er sieht Klärungsbedarf, was der der Awo und seinem früheren Spitzenpersonal nahe stehende Oberbürgermeister gewusst oder geduldet habe. Ob diese Reise tatsächlich dem vorgegebenen Thema gewidmet war oder doch eher das war, was die Awo jetzt ihrem früheren Geschäftsführer Jürgen Richter vorwirft: eine Vergnügungsreise.
Jürgen Richter hat auf Anfragen dieser Zeitung dazu nicht geantwortet. Die Reise nach Eskisehir hat die Awo als einen der Kündigungsgründe gegen ihn angeführt. Im Juni wird vor dem Landesarbeitsgericht die Auseinandersetzung zwischen Richter und der Awo eine Fortsetzung finden.
"Der Oberbürgermeister hat sich von Anfang an dazu entschieden, zu Fragen und Vorwürfen zu schweigen oder nur nichtssagende Formeln zu wiederholen", kritisiert Pürsün. Diese Taktik sei zum Scheitern verurteilt: "Weil die Aufklärung auch ohne sein Zutun voranschreitet. Angesichts der staatsanwaltlichen Ermittlungen ist die Glaubwürdigkeit des Oberbürgermeisters zunehmend anzuzweifeln."
Sylvia A. Menzdorf