Pilotprojekt: Infraserv soll Taunusbahnen antreiben

Der Fahrplanwechsel im Dezember 2022 liegt in weiter Ferne. Doch weil für den Eisenbahnverkehr im Taunus dann eine neue Epoche beginnt, laufen bei Infraserv Höchst bereits seit zwei Jahren Planungen.
Der RMV und das Land Hessen haben den Taunus als hessische Pilotregion für einen komplett emissionsfreien Zugverkehr vorgesehen. Ab Dezember 2022 sollen auf den vier Bahnlinien im Taunus sogenannte Wasserstoff-Züge die alten Dieselzüge ersetzen. Dafür muss aber erst die Infrastruktur geschaffen werden. Denn es ist nicht möglich, an den Bahnhöfen Königstein und Usingen statt Diesel Wasserstoff in Tanks neuer Züge zu füllen.
Vor Vertragsschluss
Die neue Antriebstechnologie benötigt eine neue Infrastruktur für die Betankung. Nach Angaben von RMV-Sprecherin Vanessa Rehermann sieht die europaweite Ausschreibung vor, im ersten Halbjahr die Verträge für den Kauf der Triebfahrzeuge und deren Instandhaltung zu unterzeichnen. Zur Instandhaltung zählt auch die Wasserstoff-Betankung der Züge. Für die erforderliche Infrastruktur werden derzeit verschiedene Optionen geprüft. Eine davon befindet sich im Industriepark Höchst. „Dort fallen jeden Tag sieben Tonnen Wasserstoff als Nebenprodukt an – eine Menge, die für den voraussichtlich benötigten Verbrauch mehr als ausreicht. Das passende Tankstellen-Konzept liegt bereits vor“, teilt dazu der RMV mit.
Laut Prof. Dr. Thomas Bayer, dem Projektleiter der Infraserv, verfügt Infraserv Höchst über die notwendige Expertise in der Wasserstoffproduktion und den Betrieb von Wasserstoff-Infrastrukturanlagen. „Einige Firmen im Industriepark beziehen den verfügbaren Wasserstoff für die Produktion von Chemikalien oder Pharmazeutika“, erläutert Bayer. „An der Agip-Tankstelle am südlichen Rand des Industrieparks können Autos mit Brennstoffzellen-Technologie den für den Antrieb benötigten Wasserstoff tanken.“
Auch beim innerbetrieblichen Busverkehr im Industriepark sind drei Busse mit der Brennstoffzellen-Technologie im Einsatz. Da immer noch Wasserstoff zur Verfügung steht, suchte man nach weiteren Nutzungsmöglichkeiten. „Das Ergebnis einer 2015 in Auftrag gegebenen Machbarkeitsstudie attestierte die Realisierbarkeit des Nahverkehrskonzeptes basierend auf Wasserstoffzügen“, erläutert Bayer.
Neue Gleise bauen
Der spätere Betreiber des Zugverkehrs wolle Gewissheit haben, dass das Infrastrukturunternehmen die Kompetenz und die Erfahrung in der Wasserstoff-Betankung hat. „Infraserv Höchst hat beides“, verspricht Bayer. Die für den Zugverkehr vorgesehenen 26 Triebfahrzeuge verbrauchen demnach werktags 1000 m³ Wasserstoff pro Stunde, was 90 Kilogramm entspricht.
„Wasserstoff ist das leichteste aller chemischen Elemente“, sagt Bayer. „Deshalb ist das Volumen sehr groß, das Gewicht aber sehr klein.“ Am nördlichen Rand des Industrieparks muss bis 2022 die benötigte Infrastruktur samt Gleisanlagen gebaut werden. „Voraussetzung ist ein Tank, der den Druck bis zu 500 bar garantiert, bei dem die Betankung erfolgt“, erläutert der Projektleiter. „Wir investieren dafür im zweistelligen Millionenbereich. Das Pilotprojekt wird aber mit Fördermitteln vom Bund bezuschusst.“
Die künftig im Taunus eingesetzten Züge müssen alle zwei Tage im Industriepark Höchst einen Tankstopp einlegen. „Mit einer Tankfüllung fährt der Triebwagen bis zu 1000 Kilometer weit – und bis zu 140 Kilometer pro Stunde schnell“, teilt der RMV mit.
Die emissionsfreien Züge haben auf dem Dach einen Wasserstofftank und eine Brennstoffzelle. Diese gewinnt elektrische Energie aus der Reaktion von Wasserstoff mit Sauerstoff zu Wasser – wodurch Strom entsteht. Der wiederum lädt die Lithium-Akkus an Bord auf und treibt den E-Motor an. Anstelle von Dieselschwaden kommt Wasserdampf aus dem Auspuff. Außerdem ist der Zug mit einer Batterie ausgestattet, welche die an Bord erzeugte elektrische Energie zwischenspeichert und Bremsenergie rückgewinnt.
Bei Wasserstoff kommen die Bilder der Zeppelin-Katastrophe von Lakehurst in den Sinn. Doch Bayer versucht Ängste zu zerstreuen: „Gefahren gibt es auch bei klassischen Verbrennungsmotoren. Bei Benzinmotoren besteht demnach auch die Gefahr einer Explosion, wenn ein Tank leckt und eine Gas- und Dampfwolke entweicht und diese mit einer Flamme entzündet werde. „Der Vorteil beim Wasserstoff ist es, dass dieser bei einem Leck nach oben austritt“, erläutert der Projektleiter. Da sich der Tank auf dem Dach befindet, würde das Gas über dem Zug wie eine Fackel verbrennen.