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Rödelheimer Friedhof ist auch für die Lebenden da

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Friedhöfe sind nicht nur Ort der Trauer, sondern auch Orte der Begegnung. Auf Initiative einer kleinen Gruppe von Angehörigen und mit Unterstützung des Quartiersmanagements gab es jetzt dort erstmals einen Kaffeetreff.
Friedhöfe sind nicht nur Ort der Trauer, sondern auch Orte der Begegnung. Auf Initiative einer kleinen Gruppe von Angehörigen und mit Unterstützung des Quartiersmanagements gab es jetzt dort erstmals einen Kaffeetreff. © rüffer

Weil Trauernde oft einsam sind, können sie sich nun auf einem Frankfurter Gottesacker zu Kaffee und Kuchen treffen.

Frankfurt -Im Laub riesiger Buchen und Linden zwitschern Amseln ihr Lied. Eichhörnchen spielen Fangen und huschen unbefangen zwischen Gräbern und Baumstämmen hin und her. Auf einem Tischchen mit Tischdecke warten frisch gebackener Zitronen- und Mandarinenkuchen, Bienenstich, Muffins und Guglhupf und zart bedruckte Servietten. Auf dem rollenden Nachbarschaftsmobil stehen ordentlich Kaffeekannen, Tassen, Milch, Zucker, Wasser und Apfelsaftschorle aufgereiht. „Sonntags ist oft der schlimmste Tag für einsame Menschen“, sagt Quartiersmanagerin Heike Hecker. „Die Idee der behutsamen Begegnung am Ort der Trauer ist eine wunderschöne“, sagt sie mit Blick auf die Frauen, die auf Bänken sitzen und miteinander ins Gespräch kommen. Einige von ihnen treffen sich schon seit Jahren, um gemeinsam Laub zu kehren, nach Nachbargräbern zu schauen und um ihren Friedhof schön zu halten.

Friedhof schon fast 150 Jahre alt

1879 wurde der Rödelheimer Friedhof auf 1,1 Hektar Fläche eingeweiht, 1150 Gräber sind hier zu finden. „Mama würde jetzt so gern auch ein Stück Kuchen essen. Sie schaut uns von oben zu und hat Kuchen geliebt“, sagt eine Frau und lächelt beim ersten Kaffeetreff auf dem Friedhof. Nach und nach kommen etwa 20 Frauen und Männer, manche haben Kinder dabei, andere Rollatoren. Man plaudert über Gräber und verstorbene Angehörige, über Gefühle und Hoffnung.

Viele kennen sich nicht und sind dankbar darüber, Gleichgesinnte zu treffen. Ihre Eltern, Großeltern, Lebenspartner, Kinder oder Freunde sind hier beerdigt. Viele sind allein gelassen mit ihrer Trauer. „Ich finde die Idee sehr begrüßenswert und die Umsetzung toll“, so Beate Korenke-Baum vom Grünflächenamt, die für den Friedhofsbezirk Nord mit acht kommunalen und fünf jüdischen Friedhöfen zuständig ist. „Es gibt Länder, die sogar eigene Ministerien für Einsamkeit haben“, weiß sie und beantwortet geduldig Fragen zu Grabsteinen und Pflanzen, zu Sorgen und Vorschlägen.

Es wirkt, als würden sich alle ewig kennen

Es wirkt, als würden sich alle schon ewig kennen, das Gefühl der Vertrautheit macht sich breit. Es geht um Leben und Sterben, um Segen und Fluch künstlicher Intelligenz und um die, die nicht mehr unter ihnen sind. Altbekannte nehmen andere sofort auf in die Runde, die sich leise und angeregt unterhält.

Erika Wolter ist täglich und Brigitte Kraus-Müller oft auf dem Friedhof. „Er ist einfach schön und wir kümmern uns“, sagen sie, wobei Kraus-Müller die Frau in dem geringelten T-Shirt als „guten Geist des Friedhofs“ lobt. „Sie guckt und kümmert sich überall. Wenn jemand aus irgendwelchen Gründen sein Grab nicht pflegen kann, gießt sie dort mit, wenn sie sieht, dass irgendetwas rumliegt, hebt sie auf.“ Wolter wehrt ab. „Das ist doch selbstverständlich. Wir wollen es doch schön haben hier.“

Die Frauen erzählen, dass der Friedhof der einzige schattige Platz in der Gegend ist und finden es gut, dass im Sommer Mütter mit ihren Kindern kommen und unter Bäumen ein Buch lesen, dass Menschen, die in der Gegend arbeiten den Schatten für ihre Mittagspause nutzen und die Bewohner des Altenheims die kühle Luft genießen. „Friedhöfe sind oft besser gepflegt als Parks. Die Leute achten darauf“, sind sie sicher.

Nicht nur Idylle, auch Beschwerden

Auch beim Kaffeetreff wirft niemand etwas achtlos weg. „Wir machen nichts Böses“, sagen sie und spielen an auf jemanden, der sich bereits im Vorfeld beschwert hat, dass sich Leute auf Kaffee und Kuchen hier treffen. Die Totenruhe sehe die Person gefährdet. Kopfschütteln zeigen die Menschen, die ihre Liebsten hier begraben haben. „Wir wissen, dass es unseren Verwandten und Freunden gefällt, wenn wir hier sind. Wir machen nichts Böses. Im Gegenteil. Wir helfen uns untereinander ein bisschen gegen Einsamkeit. Niemand hat etwas dagegen, dass wir Laub harken oder Unkraut rupfen. Warum soll jemand etwas gegen Kaffee und Kuchen im Andenken an unsere Liebsten haben?“ Auch Besuchern, die zufällig vorbeikommen, gefällt die Idee. Sie lauschen den Amseln, den Gesprächen, bewundern die Gräber und beobachten huschende Eichhörnchen, die weiter Fangen spielen.

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