Schulen muss Ausgleich gelingen

Der Nationale Bildungsbericht vom 22. Juni hat gezeigt, dass die Kluft zwischen Kindern und Jugendlichen mit großen Bildungserfolg und jenen mit schlechten Chancen für das Arbeitsleben immer größer wird. Wer Schwächeren eine Chance geben will, muss bereit sein, sich das etwas kosten lassen. Doch Geld allein schafft auch nicht mehr Chancengleichheit. Wir müssen auch darüber nachdenken, welches Menschenbild wir vermitteln wollen, sagen Bildungswissenschaftler.
Wenn auffällt, dass die einen Schüler Defizite haben, die anderen aber nicht – oft am Übergang von einer Schulform zur nächsten –, dann ist es oft schon zu spät. „Im Prinzip ist die Messe da schon gesungen.“ Kai Maaz ist Projektleiter des Nationalen Bildungsberichts. Alle zwei Jahre liefert er eine empirische Bestandsaufnahme des deutschen Bildungswesens. Der Direktor der Abteilung „Struktur und Steuerung des Bildungswesens“ am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung in Frankfurt und zugleich Professor für Soziologie mit dem Schwerpunkt Bildungssysteme und Gesellschaft an der Goethe-Universität. „Viele Dispositionen werden schon im vorschulischen Bereich gelegt, und die Ungleichheiten tragen sich dann weiter, von einer Bildungsetappe zur nächsten.“
Selbstbildnis ist wichtig
Das sagt auch Meltem Kulaçatan, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Erziehungswissenschaften. Die soziale Disposition ist gegeben. Die Schule kann allenfalls versuchen, Defizite auszugleichen.
Damit meint sie gar nicht einmal Wissenslücken, sondern sehr basal die Ausbildung des Selbstbildes. Für viele Schüler ist eine Selbstverständlichkeit, dass sie „es schaffen“ werden. Für solche aus Haushalten, in denen sich die Eltern weniger gut um die Kinder kümmern können oder gar für Flüchtlinge mit zum Teil ungesichertem Aufenthaltsstatus ist das ganz anders. Der „Druck, sich beweisen zu müssen“, so Kulaçatan, sei oft erheblich. Aus Untersuchungen und Schülerbefragungen weiß sie: „Wenn wir gefragt haben: Wann hat sich etwas geändert für dich, wann gab es einen Turn?, kam immer wieder der Verweis auf einen Lehrer, „der an mich geglaubt hat und sagte: Du schaffst das!“
Man kann, damit das gelingt, „die strukturellen Bedingungen“ verbessern, sagt die Wissenschaftlerin: Rückzugsräume sind dafür wichtig, man braucht mehr Personal und eine bessere Ausstattung. Auch Ganztagsschulen, zeigen Studien, seien sinnvoll – aber nur mit einem guten Konzept: Wenn man die Schule nicht nur als Unterbringungsort, sondern als Lebensraum begreift.
Umgang mit Heterogenität
Auch Kai Maaz sagt: „Die Ganztagsbeschulung kann kompensatorisch wirken, sie muss aber anders angelegt sein als bei uns.“ Und: „Chancengleichheit kann ich nur durch Investitionen erreichen.“ Er erläutert das am Beispiel Inklusion: Um die umzusetzen, brauche es mehr Personal. Gleichzeitig habe ein Lehrer mit Inklusionskindern in der Klasse aber auch leistungsschwächere Schüler aus anderen Zusammenhängen, auf die er reagieren müsse. „Da kann ich nicht sparen – auch nicht in den flankierenden Dingen.“
Gleichzeitig gibt er zu bedenken: „Einfach nur mehr Geld ins System zu pumpen führt zu gar nichts.“ Die Erfordernisse müssten vielmehr gezielt und bedarfsorientiert eingesetzt werden. Es gelte, die Herausforderung der Heterogenität anzunehmen und den Unterricht individueller zu gestalten. Meltem Kulaçatan setzt vor allem darauf, dass Schulen in Brennpunkten das Gleiche leisten können wie Schulen in bessergestellten Regionen. Dafür müssten sie personell wie materiell besser ausgestattet werden.
Kai Maaz hingegen gibt zu bedenken: Wer optimal fördern will, darf sich nicht auf den unteren Bereich beschränken. Gegebenenfalls könne dies sogar bedeuten, dass sich die Ungleichheit zwischen den Besten und den Schlechtesten vergrößere. „Das müssen wir dann in Kauf nehmen.“